Bleibt barmherzig!
Am 8. Dezember 2015 eröffnete Papst Franziskus das „Heilige Jahr der Barmherzigkeit“, das am 20. November 2016 geendet hat, nur wenige Tage vor Beginn der Adventzeit, in der wir uns auf die Geburt Christi vorbereiten, und uns daran erinnern, dass Gott einer von uns wurde, dass er ganz Mensch wurde.
Dieser wunderbaren Fügung – dem Ende des heiligen Jahres und dem Anfang des Advents – möchte ich nun einige Gedanken widmen:
Als das „Heilige Jahr der Barmherzigkeit“ von Papst Franziskus ausgerufen wurde, schrieb ich in Reaktion darauf einen Beitrag mit dem Titel „Seid barmherzig und …“; darin versuchte ich knapp darzustellen, was mit dem Begriff „Barmherzigkeit“ überhaupt gemeint ist, und zog dafür eine Passage des Matthäus-Evangeliums heran, in der Jesus Christus neben der Nächstenliebe auch die Barmherzigkeit, die Gerechtigkeit und die Treue als „das Wichtigste im Gesetz“ benennt: „Man muss das eine tun, ohne das andere zu lassen.“[1]
Vieles davon wurde in den folgenden Monaten mehrfach diskutiert, ausgelegt und vor dem wechselhaften Hintergrund der Weltsituation – Flüchtlingsströme, Terrorismus, Kulturkampf usw. – neu bewertet; mit einem Satz: Das Wort „Barmherzigkeit“ wurde zur allgemeinen Forderung, diese zur lebendigen Tat und jene wiederum zur Verpflichtung des gläubigen Herzens.
Aber was geschieht jetzt, nach dem Ende des heiligen Jahres, wenn wieder andere Schlagworte laut werden und vermeintlich Neues unsere Aufmerksamkeit auf sich zieht?
Ich halte es für keinen Zufall, dass in diesen Tagen der Advent beginnt, die Zeit, in der wir uns auf die „Ankunft des Herrn“ (adventus domini) einstimmen, das Kommen des Menschensohns, nach dessen Geboten wir leben, u. a. jenem: „Liebt einander! Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben!“[2]
Im Rückblick auf das vergangene „Heilige Jahr der Barmherzigkeit“ lese ich darin eine Aufforderung, nicht nur ganz allgemein, sondern konkret, damit weiterzumachen, was in der letzten Monaten wiederbelebt wurde; wiederbelebt in einer Zeit, in der der Nächste meist man selbst ist, und man sich lieber selbst etwas Gutes tut, als dem Anderen, dem Fremden; wiederbelebt gegen Egoismus, Narzissmus, Vorteilsdenken, Neid und Gier; wiederbelebt durch die einfache, durchdringende Formel: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst!“[3]
Mit der Geburt Jesus kommt dieses Denken in die Welt, und es ist Mittelpunkt unseres Glaubens; im Advent werden wir uns dessen wieder bewusst, während wir uns auf Weihnachten einstimmen, als das Wort Fleisch geworden ist, und wir die Barmherzigkeit Gottes[4] erfahren durften.
So soll sich der Dank für das „Heilige Jahr der Barmherzigkeit“, durch welches das Gute in der Welt wiederbelebt wurde, mit der Vorfreude auf Weihnachten verbinden, die wir während des Adventzeit haben, weil uns der Heilland geboren wird, der uns durch seine Liebe für uns die Kraft gibt, barmherzig zu sein und barmherzig zu bleiben.
Martin Kolozs, 25. November 2016
(Die nächste Folge erscheint zur Monatsmitte Dezember 2016)
[1] Vgl. http://localhost/trigger/afeu2018/2015/12/seid-barmherzig-und/
[2] Joh 13,34
[3] Mt 22,39
[4] Vgl. Lk 6,36