Die letzten Sonnentage im Herbst sind gezählt, als ich Muhammad, einen jungen Syrer der wegen des Krieges nach Österreich flüchten musste, in Innsbruck treffe. Trotz spätherbstlicher Temperaturen sitzen wir im Freien. Muhammad raucht viel. Ich umklammere meine heiße Teetasse, er sagt, er hätte nie zu kalt. Später würde ich noch verstehen warum. Und so beginnt er, seine Erlebnisse, die hier in drei Teilen veröffentlicht werden, zu erzählen:
Ich stamme aus Syrien, einem der schönen Länder am Mittelmeer. Syriens geografische Lage ist toll. Angrenzend an die Türkei ist es wie die Verbindung zwischen Europa und Asien aber liegt auch auf einer Brücke nach Afrika. Syrien ist sehr schön und vielfältig. Es gibt dort viel Landwirtschaft und fruchtbaren Boden. Weil es wenig regnet, ist Syrien nicht so grün wie Österreich, aber trotzdem ist das Land reich an kostbaren Spezialitäten, vor allem an Walnüssen! Aus dem Norden Syriens kommt wunderbares Olivenöl. Daraus wird in der Gegend um Aleppo eine ganz besondere Suppe gekocht. Rund um Damaskus wachsen Äpfel, Kirschen, Feigen und die vielen Walnüsse. An der Küste werden Zitronen und Orangen angebaut und dort wächst auch viel Getreide, das für das Backen von Brot benötigt wird. Schwarzbrot isst man in Syrien Keines, sondern nur Weißbrot, weshalb ich in Österreich am liebsten Semmeln esse.
Viele Bauten in Syrien sind wunderschön. Sie sind uralt! Das Gebäude, in der sich heute die große Moschee von Damaskus befindet, ist 3000 Jahre alt. Die Mauern sind von einem großartigen Mosaik verziert. Früher ging ich gerne dorthin weil es ein sehr schöner Ort ist. Auch die Museen in Syrien zeigen uralte Dinge. Ich war sehr glücklich in meiner Heimat und hatte einen tollen Job bei einem großen Unternehmen — es war mein Traumjob! Ich lebte in einer schönen Wohnung und hatte alles was ich brauchte, um meiner kleinen Tochter eine schöne Kindheit und ein gutes Leben zu bieten. Manchmal fuhren wir mit meinem Auto aufs Land und machten Picknicks.
Ich habe Bedenken, Muhammad könnte es unangenehm sein, über seine Heimat, seine Vergangenheit zu sprechen. Ich mache mir Sorgen, dass das Erzählen in ihm eine Traurigkeit weckt, die er im Alltag hier zu unterdrücken versucht. Doch der kräftig gebaute, selbstbewusst wirkende Mann, fährt fort:
Dann begann der Krieg. Einen Krieg zu erleben, ist furchtbar. Am schlimmsten ist es, wenn Bomben fallen. Es ist schrecklich wenn Kinder Angst haben, du sie aber weder beruhigen, noch beschützen kannst. Du bist einfach hilflos.
Plötzlich hören wir das Geräusch eines Flugzeugs und zwei laute Knalle. Beide zucken wir zusammen, die Menschen rundherum verstummen kurz, niemand weiß was passiert ist. Muhammad fragt mich ob ich Angst hätte, beschämt stimme ich zu. Es sei genau dieses Gefühl, das Menschen im Krieg Tag und Nacht erlebten, meint er. Später erfahre ich, dass zwei Abfangjäger über Innsbruck die Schallmauer durchbrochen hätten. Muhammad erzählt weiter:
Ich dachte damals noch nicht daran, Syrien zu verlassen und begann ein Masterstudium. Der Krieg wurde immer gefährlicher, ich wollte aber nicht weg. Da war meine Familie und außerdem hatte ich immer noch Hoffnung, dass der Präsident gestürzt werden würde. Ich wartete, denn ich wollte den Moment nicht verpassen, wenn die Rebellen gewinnen würden. Ich wollte auch auf die Straße gehen um zu feiern und zu tanzen wenn das Regime besiegt sein würde. Darauf habe ich drei Jahre lang gewartet. Ich wusste natürlich, dass mein Masterstudium meine Zukunft war und die wollte ich nicht einfach so wegschmeißen. Für mein Studium hatte ich den verpflichtenden Militärdienst aufgeschoben. In Syrien bedeutet das Absolvieren des Militärdienstes nicht nur für die Armee zu dienen, sondern manchmal muss man jemandem zu Hause dienen, der einen sehr schlecht und respektlos behandelt. Das war dem Regime natürlich egal. Bald brauchten die Befürworter Assads jeden Mann für den Bürgerkrieg. Ich wusste, dass es nun heißt töten oder getötet werden.
Schlagartig wird mir bewusst, dass Muhammad die erste Person ist, dir mir so direkt von einem Krieg erzählt. Ich höre still zu und fühle mich beklommen. Meine Problemchen erscheinen mir plötzlich absurd und ich merke wie schon das Erzählte allein mir zusetzt.