Nach elf Monaten des Wartens, in ständiger Sorge um meine Familie, habe ich dann einen positiven Asylbescheid bekommen. Ich habe jetzt ein österreichisches Reisedokument. Das sieht aus wie ein Österreichischer Reisepass, ist aber nicht das Gleiche. Es gilt für alle Länder, außer Syrien, für viele andere Länder brauche ich ein Visum. Selbstverständlich darf ich nach Syrien nicht mehr zurückkehren. Asyl heißt, das Österreich mir Schutz bietet, dass ich Anspruch auf Sozialhilfe habe und dass ich meine Frau und meine Tochter hierher bringen darf. Ich habe in den meisten Fällen die gleichen Rechte wie ein österreichischer Staatsbürger. Meine Frau hat dann sofort einen Antrag auf Familienzusammenführung gestellt. Ich war während meiner Zeit in Innsbruck sehr rege, habe viele Menschen die Hilfe brauchten zum Krankenhaus, zum BFA, zur Caritas, zum Roten Kreuz oder einfach zur Bank begleitet. Somit habe ich viele Leute in Innsbruck kennengelernt, hatte Erfahrung mit den vom Roten Kreuz organisierten Familienzusammenführungen. Außerdem hatte ich schon vor Erhalt meines positiven Bescheides, viel vorbereitet für Zeit wenn meine Frau und Tochter hier ankommen würden.
Die Wohnungssuche war sehr schwierig für mich. Kaum ein Vermieter möchte Flüchtlinge, die die Miete mit Sozialhilfe zahlen, einquartieren. Zuerst war ich hoffnungslos, hatte dann aber irgendwann Glück und fand eine kleine Garconiere für meine Familie und mich. In den folgenden Wochen bekam ich die Hürden, die die österreichische Bürokratie stellt, voll zu spüren.
Bevor Muhammad sich auf den Weg nach Wien macht um seine Familie vom Flughafen abzuholen, treffe ich ihn im Treibhaus. Er ist nervös, da zeitgleich seine Frau probiert von Syrien über die Grenze in den Libanon zu kommen. Er erreicht sie nicht am Handy und ruft seinen Bruder an. Später erfahren wir, der libanesische Grenzbeamte sei unfreundlich und wütend. Eine kilometerlange Autoschlange hätte sich vor der Grenze gebildet. Für Muhammads Ehefrau ist die Reise anstrengend und gefährlich. Noch nie war sie alleine unterwegs. Jetzt hat sie 60 kg Gepäck und ihre kleine Tochter mit sich. Trotzdem habe ich das Gefühl, Muhammads Odyssee hat nun ein Ende. Bald erfahre ich jedoch, wie sehr ich mich getäuscht habe. Ich begreife, dass Muhammad sein Leben vollkommen neu aufbauen muss. Zurück an den Start: was sich junge Österreicherinnen oder Österreicher über Jahre erarbeiten — berufliche Connections, soziale Kontakte und natürlich wichtige Ersparnisse — muss sich der dreißig jährige Muhammad erst wieder in einem mühsamen Prozess aneignen. Sein akademischer Titel ist hier nichts wert, genau so wenig wie sein Führerschein.
Ich möchte studieren und bin nach langem Hin und Her auch an der SOWI aufgenommen worden. Ich merke aber, dass jeder Schritt nach vorne auch zwei Schritte zurück bedeutet. Alles Organisatorische ist für mich eine große Herausforderung: bei einem passenden Kindergarten für meine Tochter angefangen bis hin zum finanziellen Überleben. Zur Zeit zahlt der ÖIF (Österreichischer Integrationsfonds) keine Deutschkurse mehr. Auch meine Frau muss jedoch Deutsch lernen; ich weiß nicht wie lange unser Geld noch reicht. Die nächsten Monate, werden schwierig. Aber ich weiß, dass nach allem was wir bis jetzt durchgemacht haben, ich die Hoffnung auf ein einfacheres Leben nicht aufgeben darf.
Zu Teil 1 und Teil 2