Wir haben den Alpinisten, Extrembergsteiger und Bergführer Simon Gietl im Zuge seines Vortrags getroffen und zum Gespräch gebeten.
Interviewer: Felix Kozubek und Martin Senfter
Text: Martin Senfter
AFEU: Einstiegsfrage: Wie bist du zum Klettern gekommen?
Simon Gietl: Ich habe eigentlich relativ spät damit angefangen, erst mit 18 Jahren. Das war auch mehr ein Zufall, ich habe Autogestoppt und bin mit jemandem mitgefahren der klettern war. Der hat mir dann von den zwei verschiedenen Arten erzählt. Sport- und Alpinklettern. Und der hat dann gesagt: „Sportklettern ist was für Muschis. Alpinklettern was für richtige Burschen.“ Als dann noch die Aussage kam: „Wenn du beim Alpinklettern abstürzt, bist du wahrscheinlich tot“, habe ich mir gesagt, dass muss ich einfach nur probieren. Auch wenn ich es dann lasse. Das hat mich dann gepackt und nicht mehr losgelassen. Natürlich ist dann aber auch schnell die Erkenntnis gekommen: wenn du nicht Sport-kletterst, lebst du beim Alpinklettern nicht sehr lange.
AFEU: Auf deiner Website gibt es ein Video von dir, wo es um die Faszination Berg geht. Du sprichst dabei von „Fühl dich stark, aber nicht unsterblich“ und dass der wichtigste Muskel beim Klettern der Kopf sei.
Gietl: „Fühl dich stark, aber nicht unsterblich“ ist ein Leitspruch von mir. Das mit dem Muskel ist nicht von mir, sondern vom bekannten Bergsteiger Wolfgang Güllich.
AFEU: Aber der Spruch ist der sehr viel wert?
Gietl: Ja ganz klar. Es entspricht auch einfach den Tatsachen. Der Spruch „Fühl dich stark, aber nicht unsterblich“, geht zurück auf die Zeit, als mein Bruder und ich mit anspruchsvollen Alpinklettertouren begonnen haben. Mein Bruder hat dann einen ganz schweren Kletterunfall gehabt, der ihn eineinhalb Jahre außer Gefecht gesetzt hat. Das Becken war verschoben und der Ischiasnerv war fast durchtrennt, was eine halbseitige Lähmung bedeutet hätte. Und genau eine Woche später, fast zur selben Uhrzeit bin dann auch noch ich abgestürzt. Dann sind wir beide mit den Krücken herumgegangen.
Als ich dann wieder im Keller auf der Kletterwand mit dem Training angefangen habe, war das der erste Satz der mir eingefallen ist: „Fühl dich stark, aber nicht unsterblich“. Den habe ich dann ganz groß auf die Tafel hinauf geschrieben. In Patagonien habe ich dann auch eine Route danach benannt.
AFEU: Vor dem Alpinklettern warst du Tischler von Beruf. Du sagst in deinem Video, als du dich mit dem Bergfieber „infiziert“ hast, wurde der Berg zur Berufung. Was kann man sich darunter vorstellen?
Gietl: Ich habe mir in der Tischlerei oft gedacht: „Ob ich jetzt da bin oder nicht, das macht keinen großen Unterschied“. Da hätte man gleich einen Stein statt mir hineinstellen können. Von Anfang bis Mitte der Woche habe ich mich mehr mit dem vergangenem Wochenende beschäftigt, und ab Donnerstag habe ich dann an’s nächste Wochenende gedacht. Also mit dem Kopf war ich nicht wirklich bei der Arbeit. Das hat auch mein Chef inoffiziell recht schnell verstanden, dass ich nicht sehr lange beim ihm Tischler sein werde. Er hat das aber sehr positiv aufgenommen und zu mir gesagt: „Jeder soll seinen Weg gehen.“
AFEU: Das heißt, er hat dir keine Steine in den Weg gelegt, sondern dich eher in deinem Vorhaben zu Klettern bestärkt?
Gietl: Ja, er hat das verstanden. Als ich mit der Lehre anfing, waren wir zu dritt, alle ungefähr im gleichen Alter. Die zwei anderen haben einfach mehr Interesse gezeigt. Mir ist das eigentlich ziemlich egal gewesen, wenn ich den ganzen Tag nur die Werkstatt zusammengekehrt habe. (lacht).
AFEU: Hat dir der Beruf Tischler für das Klettern etwas gebracht? In beiden Feldern arbeitet man ja hauptsächlich mit den Händen.
Gietl: Speziell fürs Klettern würde ich nicht sagen, dass es mir etwas gebracht hat. Aber das Handwerk, zum Beispiel eine Tour zu eröffnen, da hat es mir schon geholfen. Da braucht es Tricks, da muss ich wissen wie ich einen Nagel schlage. So gesehen hat mir das Tischlern schon viel gebracht.
AFEU: Plakative Frage die man stellen muss: Was macht die „Faszination Bergsteigen“ aus für dich?
Gietl: (Denkt nach) Heuer zum Beispiel bin ich alleine die Nordwand der großen Zinne geklettert. Da war ich zwei Tage unterwegs, alleine und ohne Handy oder sonst etwas. Und obwohl es nicht sehr lustig, sondern eher abenteuerlich war, habe ich mich einfach wohl gefühlt.
Wenn ich vom Klettern wieder Heim komme und am Abend ins Bett gehe, danke ich kurz vorm Einschlafen, dass ich das Leben leben darf, das ich habe und einen Tag in den Bergen verbringen habe dürfen.
AFEU: Wie würdest du die Faszination jemandem erklären, der noch nicht „infiziert“ ist?
Gietl: Jemandem das zu erklären, der gar nichts mit Klettern oder Berg zu tun hat ist sehr schwer. Es geht vermutlich nur über Leidenschaft. Wenn ich mit jemandem rede, der eine Leidenschaft für Kunst hat und ich merke das, dann steckt mich das auch an, obwohl ich mich überhaupt nicht in der Kunst auskenne. Ich denke es geht über diesen Weg. Fehlt die Leidenschaft, muss man es gleich lassen. Das geht dann einfach nicht.
AFEU: Wie sportlich ist die Familie Gietl?
Gietl: Meine Familie ist eine Sportlerfamilie: Die Eltern und die Schwester laufen Marathon. Bei meiner Freundin ist das ein bisschen anders. Sie war Skifahrerin und als Kind sogar im Nationalteam, aber das hat ihr dann keine Freude mehr gemacht. Aber jetzt genießt sie das Skifahren wieder, auch wenn es nur normale Abfahrten sind. Ich bin da anders: Leichte Kletterrouten befriedigen mich nicht. Man muss sich auch ein bisschen quälen, dann bin ich total happy.
AFEU: Noch einmal zur Leidenschaft. Wie war der Weg vom Tischler zum Kletterer?
Gietl: Nach dem Tischlern habe ich nie daran gedacht, vom Klettern leben zu können. Das erste Ziel war es, den Bergführer zu machen. Während der Ausbildung habe ich noch zusätzlich in einer Bäckerei gearbeitet. Ich habe also jeden Tag, drei Stunden bevor der Kurs begonnen hat, Brot ausgeliefert um den Lebensunterhalt für einen Monat zu sichern. Die Ausrüstung fürs Klettern habe ich damals schon von Sponsoren zur Verfügung gestellt bekommen. In dieser Zeit wollte ich mein Gedankenerlebnisbuch so dick wie möglich machen. Weil ich denke mir oft: sollte ich wirklich einmal 60 oder 70 Jahre alt werden dürfen, macht es sicher mehr Spaß in diesem Abenteuerbuch im Gedächtnis zu blättern, als das Kontobuch anzuschauen. Nach diesem Motto lebe ich.
AFEU: Du gehst auch auf Expeditionen: wie weiß man ob man fit ist?
Gietl: Da habe ich eine Aktion gestartet: von mir daheim mit dem Rad hinein zu den drei Zinnen, dort alle drei Zinnen-Nordwände klettern und dann wieder mit dem Rad nach Hause. Alles in 24 Stunden. Das war so ein Test um wieder Selbstbewusstsein aufzubauen. Da ist man dann fit (lacht).
AFEU: Auch diese Frage müssen wir stellen: Ist der Tod ein ständiger Begleiter am Berg? Kommt daher diese Dankbarkeit? Du sagst auch im Video, obwohl du jetzt ein Kind hast, bist du nicht wirklich vorsichtiger geworden, das warst du ja ohnehin schon.
Gietl: Die Sache ist die: wenn ich daheim unterwegs bin, in den Dolomiten, dann ist dieses Thema nicht so wirklich präsent. Anders ist es bei Expeditionen: Ich verabschiede mich prinzipiell sehr ungern, wenn ich dann auf Expedition gehe und in den Flieger einsteige, dann kommt unbewusst schon der Gedanke: „Hoffentlich ist das nicht das letzte mal, dass ich in einen Flieger einsteige.“ Wenn ich dann aber in dem Land bin, indem ich klettere, dann kann ich gut abschalten und mich auf’s wesentliche konzentrieren. Aber es ist auch klar: Je intensiver du dein Leben lebst, desto mehr spürst du es auch. Wenn es den Tod nicht gäbe, hätte das Leben keinen Wert.
AFEU: Wie geht es deiner Familie wenn du weg bist?
Gietl: Ich habe da wirklich großes Glück. Meine Familie und die Familie meiner Freundin verstehen sich sehr gut. Wenn ich unterwegs bin, ist meine Freundin mit unserem Sohn nicht allein. Das macht wirklich viel aus, da weiß ich auch, dass daheim alles im grünen Bereich ist. Ich bin Familienmensch, die Gewissheit, dass alles in Ordnung ist, ist mir sehr wichtig.
Vielen Dank für das Gespräch
Simon Gietl, geboren 1984 in Südtirol ist Bergführer und Alpinist. Seine Expeditionen führten ihn heuer nach Nordamerika und Peru. Aktuell ist er in Alaska unterwegs. Wenn er daheim ist, gibt er Vorträge zu seinen Touren. Weiter Informationen findet man unter: http://www.simongietl.it
Bilder von Andreas Friedle. Das Gespräch führten Felix Kozubek und Martin Senfter. Titelbild: Screenshot / Youtube