Vor gar nicht all zu langer Zeit verfasste ich einen Text mit der Über-Überschrift „fantastischer Unsinn“. In diesem Text sprach ich der heutigen Welt und ihren Bewohnern ab, einen Sinn für fantastischen Unsinn und damit den Zugang zur magischen Welt verloren zu haben. Auch heute bin ich noch dieser Meinung und das, obwohl oder gerade weil ich mich in der Zwischenzeit intensiv mit Mystikern aller Konfessionen und Zeiten auseinandergesetzt habe. Aber nicht nur das, ich habe mich an die Rockzipfel von Menschen gehängt, die von sich behaupten mit Engeln sprechen oder sogenannte Lichtkörper erschaffen zu können. Ich habe Leute gesehen, gehört und gelesen, die Theorien von Schmerzkörpern verbreiten und den Weg zum ewigem, allumfassenden und unumstößlichen Glück lehren. Bei gefühlt 99 Prozent der Beobachtungen wurde mir nicht nur übel, sondern richtiggehend schlecht. Die abstrusen, manipulativen und teilweise verlogenen Theorien sind inhaltlich größtenteils nicht nur falsch, sondern gefährlich – liegt ihnen allen doch eine Spaltung zu Grunde. Eine Spaltung in Gut und Böse. Eine Spaltung in Glück und Unglück. Egal ob Gefühle, Gedanken oder Zustände. Alles ist entweder gut oder böse. Gehört angenommen oder abgelehnt. Selbst vermeintlich positiv formulierte Ziele, wie das Streben nach dem absoluten Glück, beinhalten das Abstoßen, die Abwehr von Zuständen, die eben kein Glück bedeuten. Doch eine Frage sei hier erlaubt: Erscheint dauerhaftes Glück in deinen Augen tatsächlich als natürlich? Als erstrebenswert? Oder klingt das eher nach einem künstlich erzeugten, unnatürlichen Zustand, der uns vom eigentlichen Menschsein nur – noch weiter – entfernt?
Vor wenigen Wochen durfte ich Indiens Träne, das wunderbar bunte Sri Lanka besuchen. Dort wird der Buddhismus in einer ursprünglichen Form gelebt und gelehrt. Bei einem Tempelbesuch, der selbst für uns Gäste, für uns „Fremde“, ein beeindruckendes spirituelles Erlebnis war, wurden uns die Grundzüge der Lehre Buddhas einmal mehr erläutert. Life is suffering. Alles Leben ist Leiden. Ja, die buddhistische Botschaft ist keine Botschaft der Liebe, keine Botschaft des Glücks, sondern eine Botschaft des Leidens. Wieso auf dieser Erkenntnis, die Siddhartha Gautama unter dem Bodhibaum gekommen sein soll, eine ganze Religion fußt, ist für einen westlich geprägten Verstand nur schwer erklärbar. Life is suffering, ist nicht gerade die Botschaft, die man von einem heilbringenden Wesen erwartet. Und doch steckt bei zweiter Betrachtung viel Wahrheit der Aussage. Wenn Leben Leiden heißt und Leiden zum Leben einfach dazugehört, müssen wir es nicht mehr wegschieben, nicht mehr unterdrücken, sondern schlicht und einfach zulassen. Scheiß Tag gehabt? Na und? Die schöne Nachricht ist, nicht nur du hattest einen Scheiß Tag. In der Früh aufgewacht und schon gerädert gefühlt? Na und? Mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit ging es zur selben Zeit zig tausenden Menschen genau gleich. Und die beste Nachricht zum Schluss: auch das vergeht. Wie ein Eis in der Sonne oder in meiner Hand, jeder Zustand, sei er noch so glücklich, noch so leidvoll, er vergeht am Ende. Nichts ist greifbar, absolut gar nichts.
Aus diesen profanen, unwissenschaftlichen und unchristlichen Überlegungen heraus bleiben für mich zwei Schlüsse stehen. Wenn zwei Individuen im Alltag aufeinander treffen, beide schlecht gelaunt, beide gerädert von der Nacht, beide mit einem Scheiß Tag, lieber mal nachfragen, ob es dem anderen gleich ergangen ist und auf einen Frontalangriff verzichten. So geht es am Ende beiden besser. Denk immer daran, du bist nicht allein. Und Zweitens. Wir brauchen mehr fantastischen Unsinn auf dieser Welt. Mehr Magie. Wer immer nur innerhalb der Grenzen des Möglichen agiert, sich innerhalb der Grenzen des eigenen Verstandes aufhält, seine Wahrnehmungsfähigkeiten klein hält, verzichtet auf den Großteil der Farben, Formen und Facetten, die diese Welt zu bieten hat. Hin zu den Quellen. Hin zur Musik. Hin zur Kultur. Rein ins Gespräch. Wenn Life ja ohnehin schon suffering bedeutet, wieso dann nicht bis in den letzten Winkel des Unmöglichen ausreizen? Fantastischer Unsinn beginnt dort, wo der Verstand aufhört, dort wo die Vorstellung endet. Und dort kann jeder hin. Ganz ohne Gebet und Meditation. Einfach mal die Augen schließen, den Verstand auf Urlaub schicken, atmen und die Grenzen sprengen. Life is suffering, aber eben nur so lange man daran denkt und glaubt.
Geheimnisse des "fantastischen Unsinns": Wieso wir in die magische Welt eintauchen sollten
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