Martin Nitsch: "Das Totgeglaubte lebt!"

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Martin Nitsch empfängt mich am Samstag in seiner Wohnung in Innsbruck. Wenige Tage zuvor hat er mich kontaktiert. Er habe „in kurzer Zeit viel neue Musik komponiert“, die in enger Verbindung mit seiner Erkrankung stehe. Mit ebendieser geht Martin Nitsch seit der Krebsdiagnose offensiv um, auch in den sozialen Netzwerken. Als er mir die Tür öffnet wirkt er entspannt, obwohl er mich kurz zuvor noch gebeten hatte das Gespräch um eine halbe Stunde nach hinten zu verschieben, weil seine Nacht „“schwierig“ gewesen sei. Seine mentale Stärke und seine gelassene Offenheit während des gesamten Gesprächs sind beeindruckend. Über eine Stunde reden wir über seine Diagnose, vor allem aber über Musik.


Diagnose und mögliche Heilung


„Das Totgeglaubte lebt“, sagt Martin Nitsch im Laufe des Gesprächs mit einem leichten Lächeln. Damit meint er nicht nur sich und seine Situation, sondern auch eine Rose von Jericho, die auf seinem Balkon jahrelang nicht gegossen wurde. Eines Tages nahm er sie zu sich in die Wohnung und goss sie. In dieser Nacht entstand auch das Stück „Rose of Jericho“, das bei seinem Konzert am 30.11. im „Rififi“  zu hören sein wird. „In der Früh ging sie dann auf“, erzählt Nitsch von dem symbolträchtigen Ereignis.
„Ich gehe davon aus, dass ich es überlebe“, meint der Musiker wenig später. Schulmedizinisch hat man Nitsch aber bereits aufgegeben. „Das war diesen Juli“, erinnert er sich. Anschließend holt er sich eine zweite Meinung im Haller Krankenhaus ein, in dem er nach wie vor in Behandlung ist. Dort unterzieht sich Martin Nitsch alle zwei Wochen einer „Antikörpertherapie“. „Es geht aber darum die Metastasen einzubremsen, von einer Heilung kann man nicht ausgehen“, berichtet er weiter.
Die Chemotherapie verlief an sich gut, bis man besagte Metastasen diagnostizierte. Seither hat Nitsch für sich neben der Behandlung im Haller Krankenhaus Wege einer möglichen Heilung abseits der Schulmedizin gefunden. „Ich probiere etwa Dinge wie Handauflegen. Allem voran steht aber die Meditation. Ich bin der Meinung, dass Materie materialisierte mentale Energie ist“, skizziert er seine Haltung. Mit Hilfe von Meditationstechniken versuche man in diesem Zusammenhang sozusagen gesunde Zellen wieder zu „re-implantieren“.


Musik als Halt


Halt gibt ihm aber nicht zuletzt die Musik. Bereits während seiner Chemotherapie, die er in Innsbruck begann und danach bald in Wien fortsetzte, wollte er live spielen. Im März 2017 trat Nitsch im Innsbrucker Lokal „the early bird“ in Trio-Besetzung auf. Das beschreibt der Musiker unumwunden als „körperlich schwierig“. Er habe Menschen gebraucht, die ihm etwa beim Verstärker tragen halfen. Bereits kurz nach der Diagnose übte er außerdem weiter und schickte seinen Studenten Übungen. „Ich wollte, dass es so normal wie möglich weitergeht“, sagt er in diesem Zusammenhang.
Mittlerweile lebt der jahrelang auch in Wien sesshaft Gewesene wieder ausschließlich in Innsbruck. Seine zwei Söhne, die weiterhin mit der Mutter in Wien leben, möchte er dennoch alle zwei Wochen besuchen. Die Pendlerei zwischen Innsbruck und Wien nennt Nitsch rückblickend eine „sehr anstregende Zeit“. Jetzt als „Single“ habe er wieder mehr Zeit, auch um zu komponieren.
Neben dieser neuen Situation macht er auch seine veränderte Einstellung zu Musik und Menschen für seine derzeit sprudelnde Kreativität verantwortlich: „Ich bin rigoroser geworden“. Musikalisch begann Nitsch sich auf „Dinge zu konzentrieren, die mir wirklich wichtig sind“. „Ich hörte auch auf gewisse Menschen zu kontaktieren, bei denen ich gespürt habe, dass etwas ´falsch´ ist“, sagt er.  Stressige Prestige-Jobs, etwa beim „Theater an der Josefstadt“ in Wien, hängte er einfach an den Nagel. „Ich habe jetzt wieder Zeit den Moment zu erwischen, in dem man eine Idee hat und diese auszuarbeiten“.
Ergebnis seiner neu gewonnenen Fokussierung und seiner neuen „Zeit-Situation“ ist unter anderem die Musik, die er für sein „New Life Quintet“ komponierte. „Ich hatte eine konkrete Besetzung im Kopf. Außerdem hat es mir geholfen, dass das Konzert am 30.11. schon seit längerer Zeit fixiert war“, sagt Nitsch. Zu hören sein werden Martin Ohrwalder an der Trompete und am Flügelhorn, Clemens Ebenbichler am Tenor-Saxophon, Dragan Trajkovski am Kontrabass und Klaus Hofer am Schlagzeug.
All diesen Musikern streut Martin Nitsch im Gespräch Rosen, beschreibt sie als virtuose Musiker, vor allem aber als“ Menschen, mit denen ich persönlich gut klarkomme“. Mit Musikern, die er als Personen überhaupt nicht mag, wolle er hingegen nicht mehr zusammenspielen. Erwarten darf man sich beim Konzert am 30.11. einiges an Jazz-Traditionen, aber auch brasilianische Einflüsse wie etwa Bossa Nova. „Ich werde jetzt nicht zum Jazz-Puristen“, sagt er. Dennoch möchte er das Projekt eingrenzen, er wolle in diesem nicht „Kraut und Rüben“ spielen. Auf den Ensemble-Sound will er sich außerdem „voll einlassen“, ein Stück spielt er auch auf der Western-Gitarre. Auch eine zweiteilige Suite für seine  beiden Söhne wird zu hören sein.
Martin Nitsch denkt ganz offensichtlich nicht daran zu resignieren oder gar aufzugeben. Nicht nur das anstehende Konzert gibt ihm Halt, sondern auch seine Unterrichtstätigkeit, die er im September diesen Jahres wieder aufgenommen hat. „Ich unterrichte nun wieder auf wöchentlicher Basis im Rahmen des ´Jazz-Lehrangs´ am Landeskonservatorium“, so Nitsch. „Ich muss dabei natürlich schauen, wie ich das von der Energie her hinbringe“, gibt er zu. „Aber ich bin auch da rigoroser geworden und lege mich in der Mittagspause einfach hin,“ meint er abschließend und schmunzelt dabei.

Titelbild: (c) Mia Maria Knoll

Elfenbeinturmbewohner, Musiknerd, Formfetischist, Diskursliebhaber. Vermutet die Schönheit des Schreibens und Denkens im Niemandsland zwischen asketischer Formstrenge und schöngeistiger Freiheitsliebe. Hat das ALPENFEUILLETON in seiner dritten Phase mitgestaltet und die Letztverantwortung für das Kulturressort getragen.

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