Wie ich Anfang der 70er Jahre zum Forum für aktuelle Kunst kam, ist mir nicht mehr in Erinnerung. Stadt Innsbruck und Land Tirol wurden damals kulturell beherrscht von altschwarzer, allerschwärzester Kulturpolitik unter der Aufsicht von Fritz Prior, der bestimmte, was die Tiroler zu sehen und zu hören bekommen sollten und was nicht. Und dem wollten ein paar junge Leute etwas entgegenstellen.
Sie versammelten sich im Forum für aktuelle Kunst, um sich in einem Zusammenschluss verschiedener Sparten für Neues stark zu machen und dem Land dafür Subventionen zu entlocken. In der damaligen Galerie Krinzinger am Adolf Pichler Platz traf man sich: Ursula Krinzinger und Peter Weiermair standen ein für Gegenwartskunst und Performance, Gerhard Crepaz für Moderne Musik, Norbert Pleifer für Jazz, insgesamt waren wir einfach eine gute Handvoll Leute, denen das Kulturangebot in Innsbruck nicht reichte. Die Galerie Krinzinger, das Otto Preminger Institut und das KOMM der ÖH waren die ersten Orte, an denen Anfang der 1970er Jahre Gegenwärtiges in Innsbruck ein Plätzchen fand und wo man sich zu Kulturdebatten traf. Und ich saß irgendwie eines Tages als Vertreterin der Literatur dabei und versuchte in diesem Rahmen so etwas wie einen Lesebetrieb für Gegenwartsliteratur aufzuziehen. Das hieß, dass ich mit einer Budgetzuteilung von ein paar hundert Schilling monatlich eine Lesung organisierte. Ich erinnere mich noch an das Ächzen meines 2CV und meiner Muskeln, wenn ich jeweils mausalleine zwanzig Bierbänke vom Adambräu in die Galerie Krinzinger und retour transportierte. Und ich erinnere mich noch schmerzlich an gescheiterte Honorarverhandlungen mit Schriftstellern, die ich gerne den Innsbruckern vorgestellt hätte, welche aber ein Honorar verlangten, das mein Jahresbudget überstieg, wie etwa Norbert Gstrein nach seinem ersten Romanerfolg. Sogar Größen wie Handke versuchte ich in meinem jugendlichen Enthusiasmus – natürlich vergebens – mit ausschließlich schönen Worten nach Innsbruck zu locken, sobald sie irgendwo in der Nähe auf Tour waren.
Ansonsten saß ich staunend bei den Vereinsversammlungen und hörte zu, wie Krinzinger, Weiermair und Crepaz mit Namen von Kulturphilosophen um sich warfen, von denen ich nicht mal den Vornamen je gehört hatte. Ich war ein kleines Licht in der Szene moderner Kunst, aber ich tat mein Bestes. Mein allerehrgeizigstes Projekt scheiterte. Monatelang plante ich ein Zusammentreffen von DDR-Autoren in Innsbruck — von solchen, die hinter dem Eisernen Vorhang geblieben waren, und solchen, die im Exil im Westen lebten. Ich sammelte Namen, schrieb Briefe und Ansuchen. Es kam sogar der zweite oder dritte stellvertretende DDR-Kulturminister nach Innsbruck und fraß einen Gutteil meines Literaturbudgets in Form von Sachertorten (3 Stück mit Schlag an einem Nachmittag!) und Kaffee auf, ohne dass das etwas genützt hätte, die von mir anvisierten Autoren nach Innsbruck zu bekommen. Stattdessen wurden mir bloß systemkonforme Schriftsteller angeboten, denen der Arbeiter- und Bauerstaat eine Reise in den Westen gönnen wollte. Es wurde viel drumherum geredet, aber die Sache war klar: Die Politik hatte kein Interesse an einem Zusammentreffen unterschiedlicher Kulturauffassungen.
Am Ende scheiterte das ganze Projekt dann sowieso grandios am Veto von Landeshauptmannstellvertreter Fritz Prior, der mit einer solchen Veranstaltung eine linke Unterwanderung Tirols befürchtete. Klar, denn auch hierzulande hatte die Politik kein Interesse am Aufeinandertreffen unterschiedlicher Kulturauffassungen. Prior redete allerdings, im Gegensatz zum DDR-Politiker, unverhohlen Klartext: Sollte die Veranstaltung ohne finanzielle Unterstützung vom Land Tirol dennoch stattfinden, würde er dem Forum für aktuelle Kunst die Subventionen in Zukunft streichen. Also wurde alles abgesagt. Und mir war die selbstausbeuterische Kulturarbeit für einige Zeit verleidet. Ich gab die Literatursparte beim Forum ab, mein Nachfolger zweigte sich als Erstes vom Jahresbudget einen Fixbetrag für Organisation und Bürokosten ab, wodurch nur noch zwei oder drei Veranstaltungen jährlich zustande kamen, und dann eben keine mehr.
Das Forum für aktuelle Kunst löste sich auf. Innsbruck war ein allzu hartes Pflaster. Ursula Krinzinger übersiedelte mit ihrer Galerie zuerst teilweise, dann ganz nach Wien, Gerhard Crepaz flüchtete nach Hall, wo wenigstens nicht auf jedes Ticket auch noch städtische Abgaben verlangt wurden. Peter Weiermair verließ das Land, das ihn nicht schätzte, und ging auf einen gutbezahlten und ehrenvollen Posten nach Frankfurt. Nur der Cinematograph und Norbert Pleifer haben in Innsbruck bis heute durchgehalten. Immer noch unbedankt. Die letzten tapferen Überlebenden des Forum für aktuelle Kunst, die Helden des ausdauernden kulturellen Widerstands, wären aber doch langsam reif für das Goldene Ehrenzeichen, bevor auch sie das Zeitliche segnen, denke ich. Sie haben, wie auch Crepaz und Weiermair, Größeres für Tirol geleistet als die Politiker und Industriellen, die für bestens bezahlte Pflichterledigung damit ausgezeichnet wurden.