Die Überschrift war schon formuliert. Es hätte ein Text werden sollen über die vielen von uns, die in ihrer Doppelexistenz als Künstler und Geldverdienende, als Familienväter und -mütter irgendwo in der österreichischen Provinz zerrissen werden und doch nicht existieren können, ohne mit unendlichem Kraftaufwand zu schreiben, zu malen, zu komponieren. Der Text sollte davon handeln, dass den wenigsten Künstler*innen beschieden ist, aufgrund überragender Qualität plus den richtigen Netzwerken plus einem großen Quantum glücklicher Zufälle in die Riege der Berühmten und Erfolgreichen aufzusteigen. Denn die wenigsten, die ihr Geld außerhalb des Kunstbetriebs verdienen, weil sie nicht in Armut dahinvegetieren wollen, finden die Zeit für alles: Entweder man legt all seine Kräfte, die neben Beruf und sozialen Verpflichtungen bleiben, ins Schreiben (Malen, Komponieren, etc), oder ins Netzwerken und Vermarkten der eigenen Person und Werke. Alles gleichzeitig geht sich einfach nicht aus.
Und dann kam die Nachricht: H. W. Valerian ist in der Nacht auf Freitag verstorben. Er wusste, sein Leben würde demnächst den Endpunkt erreichen. Seine Freunde wussten es. Und trotzdem … Jetzt wird dies die Überschrift zu einem Nachruf auf einen jener Künstler, die so wie die meisten diesen Doppelspagat zwischen Kunst und „bürgerlicher“ Existenz gelebt haben. Er hat nie ganz aufgegeben, auch wenn ihm der Erfolg versagt blieb und er, wie wir alle, immer wieder an sich und seinen Texten zweifelte. Er hat sich früher als viele aus dem Literaturbetrieb zurückgezogen, hat aber weiter sein Ding gemacht, in völliger Freiheit und Selbstbestimmtheit, indem er seine Bücher selbst gelayoutet und herausgebracht hat. Er hat so seine Kräfte für das Wesentliche, das Schreiben, gespart — befreit von den Zwängen literarischer Moden. Modern war er nie, aber immer ganz er selbst. Sein stark autobiografisches Schreiben war stets stilsicher und exakt.
In unseren Begegnungen, früher sporadisch auf der Uni und bei Lesungen, später mit gewisser Regelmäßigkeit im Café Katzung, zuletzt im Hospiz, ging es immer um literarische wie gesellschaftspolitische Positionen, auch darum, wie man als Tiroler Autor*in halbwegs gelungene Texte und ein halbwegs gelungenes Leben in Einklang bringen könnte. „Halbwegs“ war dabei stets ein wichtiges Wort. Umso älter wir wurden, umso wichtiger wurde es, die Balance zu finden, zwischen der Freiheit, so zu schreiben und darüber, was man für sich selbst und für die Menschheit für wichtig genug hält, um dafür Papier zu verschwenden. Daneben konnten wir uns aber auch stundenlang über unsere ironisch-romantische Beziehung zur englischen Lebensart unterhalten, die wir beide seit dem Anglistikstudium mit uns herumtrugen, und die sich bei ihm in drei Bänden der „Bekenntnisse eines österreichischen Anglophilen“ *) niederschlug. Wir besprachen die uns gemeinsamen und doch so unterschiedlichen Erfahrungen als Lehrende, die lastende Geschichte der Elterngeneration auf unseren Schultern**) und unsere eigenen Jugenderfahrungen ***), kurzum: wir redeten über Gott und die Welt ****) – wir kamen aus ganz verschiedenen Richtungen vom Hundertsten ins Tausendste und trafen in der Gleichzeitigkeit unserer Leben doch immer wieder auf Punkte, die uns gemeinsam waren. Nur dass er es wagte seine privaten Lebenserfahrungen literarisch genau zu analysieren und stilsicher niederzuschreiben, während ich stets in Fiktionen daraus flüchtete, das trennte uns.
Jetzt ist mir H. W. Valerian als Gesprächspartner für immer verloren. Er wird mir fehlen. Doch es bleiben seine Bücher, die so ganz von ihm selbst sprechen. Er meinte in seiner Bescheidenheit, er schreibe größtenteils für die Schublade. Wir sollten seine Texte unbedingt daraus hervorholen.
*) H.W.Valerian,“Affidavit“,“Crossings“ und „Good To Be Back“, alle Verlag epubli Berlin. www.epubli.de
**) H.W. Valerian, „Mourir pour Dantzig“, ebda.
***) H.W.Valerian, „Im Kennedyhaus“, ebda.
****) H.W.Valerian „Nicht zu glauben. Briefe an einen katholischen Freund“, Limbus Verlag, Innsbruck
Weitere Werke: www.hw-valerian.at