Foto von nikko macaspac auf Unsplash
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Ein Weg, der in ein Burnout führt

Funktionieren versus Spüren.

18 Minuten Lesedauer

Ab sofort dürfen wir eine neue Kolumnistin bei uns begrüßen. Brigitte Fuchs ist Psychotherapeutin, Autorin und Bloggerin. Einmal im Monat dürfen wir einen ausgewählten Text auf unserer Seite featuren und gleichzeitig auf die Quelle für mehr „Erkenntnisse von der Couch“ hinweisen. Weil psychische Gesundheit wichtig ist!


Lassen Sie es uns heute einmal ein wenig paradox versuchen. Wissen Sie, wie Sie möglichst wenig Freude am Leben haben und schneller in ein Burnout schlittern?

Die Auflösung dieser Frage ist gar nicht so schwer. Sie müssen nur in einen Modus wechseln, in dem Sie nur mehr funktionieren. Beschleunigen läßt sich dieser Prozess, in dem Sie diese Haltung nicht nur auf ihre Arbeit, sondern auf all ihre Lebensbereiche ausdehnen.

Ein schleichender Prozess

Jetzt ist es ja nicht so, als würden wir eine bewusste Wahl treffen und uns dafür entscheiden, dem Leben nur noch in einer Haltung des Funktionierens zu begegnen. Eher ist es so, dass wir langsam in ein Verhalten fallen, in dem wir immer mehr in ein funktionieren geraten und uns gleichzeitig immer weniger spüren. Aber wie baut sich eine solche Dynamik überhaupt auf?

Vorweg, „funktionieren zu können“ ist prinzipiell keine schlechte Angelegenheit, sondern eine Fähigkeit, welche durchaus vorteilhaft ist. Funktionieren zu können bedeutet, gewisse Fähigkeiten erworben zu haben, um Aufgaben zu bewältigen und Herausforderungen zu meistern. Um zu funktionieren brauchen wir auch ein gewisses Maß an Disziplin. Denn oftmals sind auch Aufgaben zu erledigen, wenn wir dazu keine Lust verspüren.

Lust vs. keine Lust

Die fehlende Lust an den Aufgaben gehört zum Funktionieren dazu. Bei einer Tätigkeit, die mir Spaß macht, muss ich nicht funktionieren. Ich erledige sie gerne, mit einer gewissen Freude und Leichtigkeit. 
Ob mir eine Aufgabe Freude bereitet oder nicht, hat weniger mit der Sache an sich, sondern mehr mit meiner Einstellung zu dieser Aufgabe zu tun. So kann ich beispielsweise gerne kochen, während dies für eine andere Person eine unliebsame Pflicht ist. Ein Kind kann Spaß an einer Hausaufgabe haben, während sich ein anderes Kind durch dieselbe Aufgabe quält.

Die Haltung des Funktionierens nehmen wir in jenen Bereichen ein, in denen Aufgaben zu erledigen sind, die uns wenig Freude bereiten, wie in der Schule, auf der Arbeit oder im Haushalt. In diesen Bereichen ist ein gewisses Maß an Funktionieren eine durchaus praktische Haltung. Denn jemand, der so überhaupt nicht funktionieren kann, wird es schwer im Leben haben.

Am Anfang kann ein hohes Maß an Funktionieren durchaus noch etwas Verführerisches haben.  Wir fühlen uns toll, sind vielleicht sogar stolz darauf, so viel zu schaffen und unser Leben so gut im Griff zu haben.

Hamsterrad Alltag

Zu funktionieren kann aber nicht nur in einer positiven sondern auch in einer weniger günstigen Form gelebt werden. So wie in vielen Lebensbereichen ist es auch hier die Dosierung, die aus etwas Gutem ein Gift macht. Funktionieren wir zu häufig und/oder zu lange, gelangen wir in Kontakt mit der destruktiven Seite des Funktionierens.

Je älter wir werden, umso mehr Aufgaben häufen sich an. Es scheint fast so, als würde das Leben ein gewisses Maß an Funktionieren von uns erwarten. Da ist die Arbeit, die uns fordert, die Finanzen,  um die wir uns kümmern sollten, und der Haushalt wäre auch noch zu erledigen. Dann sind da noch die Kinder, die unsere Unterstützung brauchen und der Hund, der zu versorgen ist. Außerdem gibt es noch Freunde und Familienmitglieder, die ebenfalls  Aufmerksamkeit verlangen. In der wenigen Freizeit, die uns dann noch bleibt, sollten wir auch noch möglichst viel erleben. 

In einer schnelllebigen Zeit, in der viel von uns erwartet wird, dreht sich das Hamsterrad, in dem wir landen, zunehmend schneller. 

Und so begegnen wir der Kehrseite des Funktionierens. Denn je schneller sich das Hamsterrad dreht, umso weniger Luft und Freiraum haben wir noch, um auf uns selbst zu achten und uns zu spüren.
Funktionieren zu können bedeutet ja, dass wir unsere lebendigen Impulse, die vielleicht gerade nach etwas ganz anderem verlangen, ein Stück weit auf die Seite stellen können. Je mehr wir funktionieren, umso häufiger müssen die lebendigen Impulse zur Seite gedrängt werden. Drängen wir unsere lebendigen Gefühle und Bedürfnisse zu lange zurück, verlieren wir den Kontakt zu ihnen, was dazu führt, das wir unsere Bedürfnisse und Grenzen immer weniger spüren.  

Veränderung der Wahrnehmung

Aber das ist noch nicht alles. Verweilen wir zu lange in diesem Modus, verändert sich unsere Wahrnehmung. Schleichend wird alles zu einer Aufgabe. Dann sehen wir überall nur noch Dinge, die zu erledigen sind. Obwohl es uns in dieser Phase der Wahrnehmungseinengung bereits zu viel wird, bürden wir uns noch mehr Aufgaben auf.

Das liegt an der veränderten Wahrnehmung, die mittlerweile darauf gepolt ist, Aufgaben, die zu erledigen sind, bevorzugt wahrzunehmen. In dieser Phase sehen wir überall unerledigte Aufgaben und reißen sogar Aufgaben an uns, für die wir nicht einmal zuständig sind. So übernehmen wir Arbeiten von Kollegen, die keiner machen will, räumen noch schnell das Zimmer der Kinder auf und kümmern uns noch rasch um die Steuerangelegenheiten unseres Partners. 

Spätestens jetzt sind wir in einer ungünstigen Spur gelandet. In einer Haltung, in der es nur noch darum geht, unerledigte Aufgaben möglichst rasch und effizient zu erledigen. Denn erledigt ist erledigt, bis wir selbst erledigt sind.

Ab ins Burnout

Ab diesem Zeitpunkt bekommt das Funktionieren eine negative Komponente, denn wir können nicht mehr damit aufhören. Erledigen dieses und jenes und kommen nicht mehr zur Ruhe. Wir wären erschöpft und würden uns eine Auszeit wünschen. Doch das ist schwierig, wenn unsere Wahrnehmung auf unerledigte Aufgaben gepolt ist. Solange wir die unerledigten Aufgaben sehen oder an sie denken, kommen wir kaum zur Ruhe.

Nun befinden wir uns auf einem Weg, der direkt in ein Burnout führen kann. Denn mit dieser Wahrnehmungseinschränkung werden zwar die unerledigten Aufgaben hervorgehoben, aber wir sehen uns selbst nicht mehr. Vor lauter Aufgaben verlieren wir uns selbst und den anderen aus dem Blick.
So kommen wir nach der Arbeit erledigt nach Hause. Dort sehen wir, dass die Fenster nicht geputzt sind, dass noch zu kochen ist und die Wäsche wollten wir heute auch noch waschen. Außerdem sollten wir einmal wieder Yoga machen und die Spanischvokabeln auffrischen. In dieser Ausrichtung nehmen wir nicht mehr wahr, was wir bereits alles getan haben, sondern sehen nur noch den Berg an unerledigten Aufgaben, der noch vor uns liegt.

Je tiefer wir in den Funktionsmodus eintauchen, umso mehr breitet er sich in uns aus. Schlussendlich fangen wir an, alles in unserem Leben dieser Sichtweise unterzuordnen. 

Leben = Funktionieren

Die Wahrnehmungseinengung macht weder vor unseren Beziehungen noch vor jenen Bereichen Halt, die uns einmal Spaß machten und Freude bereiteten. Gefangen in dieser Haltung müssen wir nach der Arbeit noch Sport machen, müssen mehr Zeit mit den Kindern verbringen oder endlich wieder einmal ein gutes Buch lesen. (siehe auch: Das kleine gemeine „Ich muss“)

Wir nehmen eine Haltung des Funktionierens ein und stülpen diese über all unsere Lebensbereiche. So müssen wir unsere Freunde mal wieder treffen, wollten schon lange anfangen zu meditieren oder sollten endlich wieder einmal Sex haben. Wie nun bereits beim Lesen spürbar wird, steigt der innere Druck zunehmend an. 

Jetzt ist es ab und zu durchaus so, dass wir mehr funktionieren als lebendig zu sein und zu leben. Und wenn das einen kurzen Zeitraum während einer Krise betrifft, ist dagegen auch nichts einzuwenden. Ich schreibe hier aber darüber, dass wir unser Leben über einen längeren Zeitraum auf ein Funktionieren reduzieren. In dieser Form bleibt der Funktionsmodus nicht mehr auf die Arbeit beschränkt, sondern breitet sich wie ein Geschwür in sämtlichen Lebensbereichen aus.

Überforderung

Das erkennen wir daran, dass alles in unserem Leben zu einem „to do“ auf unserer inneren Liste wird. Zu einer Aufgabe, die wir erledigen und abhackensollten. Somit wird nachvollziehbar, dass uns diese Form des Lebens keinen Spaß machen wird und wir zunehmend unsere Freude und Begeisterung verlieren.
Gelingt es uns nicht, wieder ein Stück weit aus dem Funktionsmodus auszusteigen, nimmt das Hamsterrad an Fahrt auf. Es dreht sich immer schneller, immer noch mehr Aufgaben sind zu erledigen, so dass wir irgendwann anfangen zu stolpern. Wir stolpern über ein Übermaß an Aufgaben, die nicht mehr zu bewältigen sind.  

In dieser Phase erledigen wir nur noch jene Aufgaben, die uns gerade am Wichtigsten erscheinen. Ein Verhalten, welches uns bald auf den Kopf fallen wird. Denn all die aufgeschobenen und unerledigten Aufgaben drängen im Hintergrund nur darauf, ebenfalls wichtig zu werden. Wir erleben einen massiven Stress und obwohl wir so viel tun, eine ziemliche Ohnmacht. Denn wir haben den Eindruck, wir können gar nicht anders, wir dürfen gar nicht aufhören und loslassen, weil wir Angst haben, dass sonst alles zusammenfällt.   

Das Hamsterrad dreht sich immer schneller und so versuchen wir die Dinge noch schneller zu erledigen und werden zwangsläufig schlampiger. Nun fangen wir an, Fehler zu machen. Wir vergessen Aufgaben oder Termine, verstehen die Anforderungen falsch, weil wir nur noch mit einem halben Ohr hinhören, usw. Unsere Fehler führen zu weiteren Aufgaben, denn nun müssen wir auch noch unsere Fehler ausmerzen. Noch mehr zu tun, obwohl wir schon längst nicht mehr wissen, wo wir anfangen oder wie wir all dies noch bewerkstelligen sollten.

Der Berg der unerledigten Aufgaben wächst und wächst. Der Kollege braucht Unterstützung, wir helfen ihm noch schnell. Die Mutter braucht etwas, das können wir auf der Heimfahrt noch rasch besorgen, denn wir müssen sowieso noch einkaufen. Der Freundin geht es nicht gut, mit der telefonieren wir dann einfach auf der Heimfahrt, weil wir später keine Zeit mehr dazu haben. Denn am Abend warten Gäste, die wir bewirten sollen. Hoffentlich haben die Kinder ihre Aufgaben im Tagesheim erledigt, sonst muss das neben dem Kochen auch noch erledigt werden! Der Burnout ist schon längst nicht mehr nur den Managern vorbehalten.

Viel zu viel

Mittlerweile ist eines klar. Wir haben keine Zeit mehr – vor allem nicht mehr für uns selbst. Es sind so viele Aufgaben zu erledigen, dass wir selbst auf der Strecke bleiben. Irgendwann fallen wir todmüde ins Bett. Ob wir schlafen können? Wohl eher nicht. Denn es ist ganz schön schwer, sich nach einem solchen Tagespensum noch zu entspannen. Unser Kopf kommt nicht mehr zur Ruhe. Sogar im Bett existiert keine Auszeit mehr und wir denken darüber nach, was wir vergessen haben, was morgen noch alles zu tun ist oder wie wir gewisse Aufgaben am besten lösen können. 

Wir haben jede Sekunde des Tages funktioniert, ohne uns sonderlich dabei zu spüren. Denn da ist kein Raum und keine Zeit mehr, um sich noch zu spüren. Jetzt merken wir lediglich, wie überwältigt und erschöpft wir sind. Noch mögen wir nicht zusammenbrechen und unsere Aufgaben noch halbwegs bewältigen, aber das Leben macht uns keinen Spaß und begeistert waren wir schon seit Ewigkeiten nicht mehr. 

Familie, Freunde, Hobbies werden zu einer zusätzlichen Last. Sogar der anstehende Urlaub stresst uns, denn da gibt es noch viel zu planen und zu erledigen. Beschreiten wir diesen Weg weiter, wird er uns in ein Burnout führen. Im Burnout landen wir, wenn wir so dermaßen ausgebrannt und erschöpft sind, dass Körper und Psyche schlussendlich  eine Entscheidung für uns fällen, die wir selbst nicht mehr treffen konnten. Irgendwann geht dann einfach gar nichts mehr.

Spätestens wenn wir diese Einengung in uns bemerken, also bemerken, wie uns unser Leben keinen Spaß mehr macht und alles zu einer weiteren Aufgabe mutiert, die zu erledigen ist, wird es höchste Zeit, aus diesem Hamsterrad auszusteigen.

Wir verlieren uns

Funktionieren wir zu lange, verlieren wir den Kontakt zu unserem Spüren. Und weil wir uns nicht mehr sonderlich spüren – außer in der aufsteigenden Erschöpfung –  achten wir auch nicht mehr ausreichend auf unsere Grenzen. Wir degradieren uns selbst zu einer Arbeiterbiene, die weder ein eigenes Leben noch eigene Bedürfnisse hat.

Leben wir in dieser Form, zieht ein Tag nach dem anderen an uns vorüber, ohne dass wir noch das Gefühl haben wirklich zu leben. Die Zeit rast an uns vorüber, während wir damit beschäftigt sind, alle Herausforderungen noch irgendwie auf die Reihe zu bekommen.

Verweilen wir zu lange im Funktionsmodus, bezahlen wir einen hohen Preis dafür. Wir bezahlen nicht nur mit unseren körperlichen Ressourcen, sondern auch mit unserer Lebendigkeit! Und diese Lebendigkeit gilt es wieder zurückzuholen. Denn unser Leben sollte sich nicht nur um Dinge drehen, die zu erledigen sind. Es darf ruhig ein bisschen mehr sein.

In diesem Sinne, setzen Sie sich doch einfach einmal hin, schließen Sie die Augen und atmen Sie durch.


Mehr Informationen

Blog „Erkenntnisse von der Couch“


Im Hauptberuf selbstständige Psychotherapeutin mit freier Praxis in Innsbruck. Langjährige Erfahrung in der Begleitung von Menschen. Mehrere Publikationen in diesem Bereich. Erste Buchveröffentlichung: Das Buch des bewusst seins (ISBN-10: 3743101572, Book on Demand). Nebenbei Bloggerin und AFEU-Autorin.

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