Wissen Sie, was ich das letzte Mal gemacht habe, als ich Angst hatte? Ich habe mir einen Horrorfilm reingezogen. Zu meinem Erstaunen ist daraufhin doch glatt Folgendes passiert: Meine Angst wurde größer und stärker und es dauerte, bis ich mich wieder beruhigen konnte.
Sie finden mein Verhalten ein wenig dumm? Kann ich nachvollziehen. Mir einen Horrorfilm anzusehen in einem Moment, in dem ich Angst habe, schafft es wohl nicht in die Liga meiner glanzvollsten Lebensentscheidungen.
Aber genug von mir erzählt, lassen Sie uns doch einmal ein wenig darauf achten, was Sie üblicherweise so machen, wenn Sie Angst haben?
Die reale Angst – die Furcht um das körperliche Überleben
Bevor ich über die Reaktion auf Angst schreibe, muss ich ein wenig über die Angst selbst schreiben. Angst ist nie nur ein Gefühl, sie ist immer auch körperlich und weil sie körperlich spürbar ist, fühlt sie sich auch stets sehr real an.
Die reale Angst, auch als Furcht bezeichnet, ist jene Angst, die sich auf eine tatsächliche und gegenwärtige Gefahr bezieht. Ein Abgrund, der sich vor mir auftut, ein Bär, der auf mich zusteuert, eine Schlange, die meinen Weg kreuzt oder ein Herzinfarkt, werden eine realitätsbezogene Angst auslösen.
Die reale Angst signalisiert eine konkrete Bedrohung für das weitere Überleben. Aus diesem Grund wird der Körper auch schlagartig mobilisiert. Jetzt geht es um das Überleben! Sämtliche körperliche Reserven werden hochgefahren, Atmung, Blutdruck und Herzfrequenz beschleunigen sich, wir stehen unter hoher Spannung und sind hochfokussiert. Jetzt müssen wir kämpfen oder flüchten und sollte dies nicht nutzen, erstarren wir und stellen uns tot.
Die psychische Angst
Neben der realitätsbezogenen Angst gibt es aber auch noch die psychische Angst. Dies ist jene Angst, die unserer Vorstellung entspringt. Die psychische Angst geht nicht konform mit der aktuellen Realität. Sie findet in mir, in meinem Kopf statt und ist eine erdachte Angst. Bei der psychischen Angst male ich mir aus, welcher Schrecken auf mich zukommen wird. Die psychische Angst bezieht sich stets auf eine mögliche zukünftige Bedrohung.
Zum Glück treten solche Schreckensvorstellungen selten ein. Erfahrungsgemäß verläuft die reale Situation meist anders, als es die ängstliche Vorstellung. Die meisten unserer psychischen Ängste lösen sich in Luft auf.
Das als „real“ empfundene Angstgefühl
Obwohl sich die meisten unserer psychischen Ängste nicht erfüllen, fühlt sich die psychische Angst dennoch sehr real an.
Das liegt daran, dass es in unserem System keinen großen Unterschied gibt, ob die Angst real oder nur erdacht ist. In der realen Angst – also der Bär, der vor mir auftaucht – wird das Angstzentrum im Gehirn aktiviert, welches die weitere Steuerung übernimmt. Wir empfinden ein existenzielles Bedrohungsgefühl, der Körper fällt in einen Überlebensmodus, wir denken nicht mehr und handeln nur noch. Bei der realen Angst ist das eine gute Sache. Geht es um unser Überleben, haben wir keine Zeit, lange über unser weiteres Verhalten nachzudenken. Wir handeln instinktiv und dieses Handeln wird vom Überlebensmodus gesteuert.
Die psychische Angst aktiviert dasselbe Angstzentrum, was bedeutet, dass dieselben Mechanismen in uns wirken. Daher fällt es uns auch schwer, gelassen mit unserer Vorstellungsangst umzugehen. Die psychische Angst fühlt sich nämlich sehr real an.
Der Kampf ums Überleben
Bei der realitätsbezogenen Furcht geht es um das aktuelle Überleben und so verlangt die reale Angst eine konkrete Reaktion. Kommt ein Bär auf mich zu, muss ich flüchten, kämpfen oder wenn gar nichts mehr geht, mich wenigstens totstellen und hoffen, dass er von mir ablässt.
Da die psychische Angst zukunftsbezogen ist, gehört sie nicht zu meiner gegenwärtigen Realität. Damit erlebe ich aber, wie ich in der psychischen Angst ziemlich handlungsunfähig bin. Habe ich eine psychische Angst – wie mein Partner könnte mich verlassen, ich könnte mein Hab und Gut verlieren, ich könnte irgendwann schwer krank werden oder ein geliebter Mensch könnte sterben – so erlebe ich, wie ich gegenwärtig relativ hilflos bin. Weil die ängstigende Situation nicht Teil meines realen Lebens ist, kann ich wenig tun.
Dass die beängstigende Situation nicht zu meiner gegenwärtigen Realität gehört, wirkt sich aber nicht beruhigend auf mich aus. Jeder, der jemals eine psychische Angst in sich verspürte, weiß, dass einem die psychische Angst nahelegt, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis das befürchtete Ereignis eintreten wird. Die psychische Angst erzählt stets von einer Bedrohung, die „noch nicht“ da ist, aber bald auf mich zukommen wird.
Die Suche nach Beruhigung
Da mich die psychische Angst ebenfalls in einen Überlebensmodus werfen wird, raubt es mir die Energie, die ich für meine aktuellen Herausforderungen benötigen würde. Eine psychische Angst drängt sich in den Fokus meiner Aufmerksamkeit, sie vereinnahmt mich und schwächt mich.
Die psychische Angst wird meine Wahrnehmung massiv einschränken. Ich bin auf den jeweiligen Angstinhalt fokussiert, was dazu führt, dass ich bevorzugt jene Dinge wahrnehme, die meiner Angst entsprechen und diese Angst somit noch weiter befeuere.
Ängstigende Vorstellungen drängen uns zu einer Reaktion. Dann ringen wir unseren Lieben ein Versprechen ab, dass sie uns nie verlassen werden oder eilen von Arzt zu Arzt, damit die drohende Krankheit möglichst bald einen Namen bekommt und vielleicht noch behandelt werden kann. Wir kommen ins Agieren und versuchen alles Mögliche, um die ängstigende Vorstellung abzuwehren.
Die psychische Angst verlangt weniger nach einer Aktion. Im Grunde sehnen wir uns nach einer Beruhigung. Am besten wäre es, wenn uns jemand versprechen könnte, dass alles wieder gut wird. In dieser Phase sind wir sehr verführbar für dubiose Heilsversprechen, Erlöser oder sonstigen Machenschaften.
Das liegt daran, dass wir in der psychischen Angst innerlich wieder zum Kind werden. Die psychische Angst gleicht der Angst eines Kindes, das sich vor den gefühlten Monstern unter seinem Bett fürchtet.
Was würden Sie tun, wenn Ihr Kind Angst vor solchen Monstern hat? Normalerweise beruhigen wir das verängstigte Kind, geben Schutz und spenden Trost. Auch später noch wirken sich nahe Menschen oder Personen, die ruhig bleiben und uns Sicherheit vermitteln, beruhigend auf uns aus, wenn wir Angst haben.
Die zukünftige Angst – der Bote einer anstehenden Bedrohung
Die Monster unter dem Bett mögen bereits seit geraumer Zeit Geschichte sein, aber auch als Erwachsene haben wir noch so unsere inneren Dämonen und werden von unseren Monstern gequält. Nur ist es nicht mehr so leicht, diese als solche zu erkennen. Denn allzu oft verstecken sich die inneren Monster hinter psychischen Ängsten, die durchaus berechtigt erscheinen.
Da die Angst mit einem starken körperlichen und emotionalen Erleben einhergeht, gehen wir davon aus, dass die Angst einen gewissen Mitteilungscharakter besitzt. Um uns nun auf das, „was vermeintlich auf uns zukommt“ vorzubereiten, erdenken wir sämtliche Schreckensszenarien. Dahinterverbirgt sich die Hoffnung, dass wir dadurch besser auf das kommende Unheil vorbereitet sind. Dem ist aber nicht so. Angst schwächt uns und wenn wir geschwächt sind, wird es schwieriger werden, mit realen Schicksalsschlägen umzugehen.
Der innere Horror
Nun sind wir bei meinem anfangs, vermutlich ein wenig belächelten Horrorfilm gelandet. Denn genau das ist es, was wir psychisch üblicherweise machen. Haben wir Angst, beruhigen wir uns oft nicht. Im Gegenteil, wir wollen vorbereitet sein und stellen uns auf einen schrecklichen weiteren Verlauf ein.
Da unsere Vorstellung zu diesem Zeitpunkt bereits vom Gefühl der Angst untermalt ist, haben wir Schwierigkeiten, uns einen guten Verlauf der weiteren Ereignisse vorzustellen. Haben wir Angst, gehen wir vom Schlimmsten des Schlimmsten aus und stellen uns das „worst case Szenario“ vor.
Jetzt ist die Situation ein wenig verfahren. Wir haben bereits Angst und werfen dann noch Gedanken, Vorstellungen oder Bilder auf, die unsere Angst weiter befeuern. Unsere Angst wird verstärkt, was dazu führt, dass wir uns nicht mehr beruhigen können.
Der ganz persönliche Horrorfilm
Sie dachten am Anfang dieses Beitrages wohl, mein Verhalten wäre ein wenig dämlich. Aber im Grunde verhalten sich die meisten Menschen so. Unsere inneren Horrorfilme laufen zur Höchstform auf, wenn wir Angst haben.
Es handelt sich dabei um ganz persönliche Horrorfilme, die nicht im Fernsehen übertragen werden, sondern im inneren Vorstellungskino stattfinden. Das macht das Geschehen aber keineswegs harmloser, sondern umso gefährlicher. Sehe ich mir einen Horrorfilm im Fernsehen an, ist es der Horror, den eine andere Person erlebt. Im Grunde könnte mich dieser Horror kalt lassen, sofern ich mit dem Geschehen nicht in Resonanz gehe oder mir gar vorstelle, mir könnte dasselbe passieren.
Der innere Horrorfilm ist um einiges schrecklicher. Denn er handelt vom eigenen Leben, von Menschen oder Belangen, die mir wichtig sind, was den Angstfaktor massiv steigert.
Unsere inneren Horrorfilme haben enorme Auswirkungen auf uns. Am Beispiel des kleinen Kindes, welches sich vor den Monstern fürchtet: Statt das verängstigte Kind zu beruhigen, lassen wir es – am besten auch noch alleine – schaurige Monsterfilme schauen oder erzählen ihm in allen Formen und Facetten, welche Monster es gibt und was diese alles mit ihm anstellen könnten. Bei einem verängstigten Kind, wissen wir sofort, dass so ein Verhalten kontraproduktiv ist.
Die psychische Angst macht uns alle klein. In der Angst werden wir wieder zum Kind und dieses braucht Beruhigung.
Die Suche nach einer äußeren Beruhigung
Mit den schrecklichen Vorstellungswelten schaffen wir es nicht mehr, unsere Angstmonster in Schach zu halten. Gelingt es uns selbst nicht mehr uns zu beruhigen, suchen wir nach einer Entlastung.
So kommt es zu Dynamiken, in denen Personen, die von ihren Angstdämonen gequält werden, anfangen, ihre Horrorvorstellungen mit anderen Menschen zu teilen. Im Grunde ist es ein Versuch, die Beruhigung, die sie nicht mehr in sich finden, noch im Außen zu finden. Andere mögen ihnen vermitteln, dass alles in Ordnung sei oder wieder gut werde.
Sollte gerade keine Hoffnung mehr möglich erscheinen, ist es zumindest hilfreich, wenn andere dieselbe Angst haben, sozusagen diese Angst mit einem teilen. Kann ich meine Angst nicht besiegen, ist es immerhin günstig, nicht so allein mit dieser Angst zu sein.
Die eigene Angst mit anderen zu teilen mag entlastend für den Betroffenen sein. Jene Person, die mit dieser Qualität der Angst – es handelt sich ja um eine Angst, die nicht beruhigt werden kann – konfrontiert wird, wird diese Situation belasten. Vor allem wenn die andere Person feinfühlig ist. Solche Angstbilder lösen eine innere Resonanz aus, womit die Gefahr besteht, dass andere mitschwingen, sich von dieser Angst anstecken lassen und selbst in einer Angstspur landen.
Furcht und Angst als Teil des Lebens
Die reale Angst oder Furcht gehört zum Leben. Sie ist eine Kraft, die uns hilft zu überleben. Die psychischen Angstdämonen hingegen schwächen unsere Lebenskraft und wenn wir ihnen zu viel Raum überlassen, verhindern sie, dass wir uns den Herausforderungen unseres Lebens stellen und unsere Erfahrungen machen.
Daher ist es hilfreich, wenn wir lernen, gut mit unseren psychischen Ängsten umzugehen. Denn die psychische Angst verlangt nach einer Beruhigung. Gelingt es uns, uns selbst zu beruhigen, überstehen wir auch instabile Zeiten besser.
Doch wie können wir uns beruhigen? Eine erste Beruhigung tritt ein, wenn wir unsere Angst nicht noch weiter verstärken. Also keine Horrorfilme produzieren oder diese, wenn sie bereits laufen, stoppen. Also, hören Sie auf sich Horrorfilme anzusehen, wenn Sie Angst haben!
Mehr zu weiteren Beruhigungsquellen in einem späteren Beitrag.