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Kränkung – von alten Wunden gequält

und dem Versuch den Schmerz nicht zu fühlen

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In letzter Zeit beobachte ich, dass immer mehr Menschen gekränkt sind, ohne dass ihnen ihre Kränkung bewusst wird. Sie erzählen mir über ihren Ärger, ihre Verletzung oder wie enttäuscht und beleidigt sie sind. Sie beschließen, sich aus diesen Kontakten zurückzuziehen oder wollen gar nichts mehr mit dieser Person zu tun haben. Nur selten erwähnt jemand das Wort „gekränkt“ in diesem Zusammenhang.

Gekränkt!

Ich habe darüber nachgedacht, wie ich am besten über Kränkung schreiben könnte und bin zum Schluss gekommen, dass es wohl am einfachsten ist, wenn ich über eine persönliche Erfahrung schreibe. Denn Kränkung ist vor allem eines, sie ist zutiefst persönlich.

Sich ab und an gekränkt zu fühlen ist durchaus normal. Jeder hat so seine Themen, wo er kränkbar ist. Bei den meisten dieser Themen, handelt es sich um Lebensthemen. Es sind Verletzungen, die uns schon lange begleiten und auf die wir in unserem Leben immer wieder stoßen.

Ein kleines spannendes Detail am Rande – in letzter Zeit scheint es mir so, als würden ganz viele Menschen mit ihren alten Verletzungen konfrontiert werden. Das damit einhergehende Leiden könnte auch eine Möglichkeit zur weiteren Entwicklung sein. Siehe dazu auch den Beitrag: Das Leiden mit dem Leiden.

Niemand schafft es durch das Leben zu kommen, ohne verletzt zu werden. Auch bei mir gibt es eine Spur der Verletzung, die sich immer wieder einmal zeigt. Mein wunder Punkt handelt davon, nicht gesehen oder besser ausgedrückt, übersehen zu werden.

Letztes Jahr, um Weihnachten herum, kam es gleich zu mehreren Situationen, die alle meinen wunden Punkt berührten. Zum einen ging es mir nach dem Tod meiner Mutter nicht gut und dann schien mein weiteres Umfeld geradezu mit Vorliebe den Finger in meine Wunde zu legen.

Ich wurde nicht einfach nur vergessen und übergangen. Nein, mir wurde auch noch vor Augen geführt, dass an alle anderen gedacht wurde, nur eben auf mich vergessen wurde. Die anderen, die „Be-dachten“ freuten sich und teilten ihre Freude mit mir, so dass ich erst so registrierte, dass auf mich vergessen wurde.

Durch diese erste Kränkung konnte ich mich noch relativ gut hindurchmanövrieren. Ich wusste ja, dass dies mein wunder Punkt war. Doch damit, so zeigt mir das Leben, sollte es noch lange nicht erledigt sein.

Noch am selben Tag, wiederholte sich dieses Geschehen. Erneut wurde mir zugetragen, wie liebevoll, wertschätzend und feinfühlig jemand mit den andern in Kontakt ging und vergaß, dass es mich auch noch gab. Nun kam ich innerlich doch ein wenig ins Wanken. So ganz kalt ließ mich dieses „doppelte vergessen werden“ dann doch nicht.

Im Grunde war es mir nicht einmal wichtig, dass diese beiden Personen an mich dachten und mich miteinschlossen. Aber so ausgeschlossen und ignoriert zu werden, tat dann doch weh. Mir war durchaus bewusst, dass die beiden, die mich vergessen hatten, keine feindliche Haltung mir gegenüber hatten. Aber leider hatten sie mit ihrem Verhalten meinen wunden Punkt berührt – und der tat ziemlich weh!

Meine Selbstberuhigungsversuche, wie: „die meinten das nicht böse, da war keine Absicht dahinter, das ist zufälligerweise passiert, einer Verknüpfung von blöden Umständen geschuldet“, so wie die Gewissheit, dass mir diese Aktionen im Grunde gar nicht so wichtig gewesen wären, fruchteten nicht mehr sonderlich. Die zugrundeliegende Verletzung war aktiviert worden und die Kränkung baute sich auf.

Dieser Tag war kein guter Tag. Denn noch war das Geschehen nicht vorbei. An diesem Tag wurde doch glatt erneut auf mich vergessen und dies auch noch mit einer Gegebenheit, welche sich originalgetreu zu meiner ursprünglichen Verletzungsgeschichte wiederholte. Es heißt zwar immer, alle guten Dinge sind drei, aber in diesem Fall war die „3“ mein Untergang.

Es ist gar nicht so einfach die eigene Kränkung zu bemerken

Die eigene Kränkung zu erkennen fällt uns oft gar nicht so leicht. Denn in der Kränkung verstecken sich verschiedene Empfindungen, wie

  • eine große persönliche Betroffenheit
  • Verletzung und Schmerz
  • Enttäuschung, Frustration
  • Traurigkeit,
  • Aggression, Ärger, Wut
  • beleidigt sein, eifersüchtig oder neidisch auf andere sein, die das bekommen, was man selbst gerne hätte,
  • sich ausgegrenzt, ausgeschlossen, zurückgewiesen, nicht beachtet, unwichtig, abgewertet, gedemütigt oder ungeliebt fühlen …

Nachdem unterschiedliche intensive Empfindungen in uns ausgelöst werden, hilft es, einen Schritt zurückzutreten. Die erste emotionale Welle ein wenig abflachen zu lassen und zu schauen, worum es gerade wirklich geht.

Gekränktes Gefühl, gekränkte Gedanken, gekränktes Verhalten  

Jetzt war es also geschehen. Die Kränkung ließ sich nicht mehr weiter zurückhalten, sie war da. Und das Schlimme dabei: Meinem Verstand war völlig klar, worum es gerade ging, doch meinem Gefühl war meine „erhabene Denkeransicht“ vollkommen egal.

Die Verletzung war da und der gekränkte Rückzug in vollem Gange. Obwohl ich von alldem wusste, die Mechanismen in mir beobachten konnte, wütete die Kränkung wie ein Fieber in mir. Kränkungsgedanken tauchten auf, wie:

  • Ich brauche sowieso nichts von denen!
  • Ist mir doch egal!
  • Es ist zu spät! Die brauchen sich gar nicht mehr entschuldigen! Es ist schon geschehen und nicht wieder gut zu machen!
  • Die bekommen zukünftig auch nichts mehr von mir! Ich werde auch nichts mehr für euch tun, euch ebenfalls ignorieren….!

Wenn Sie merken, dass solche Gedanken in Ihnen aufsteigen, wissen sie, dass gerade eine Kränkung in Ihnen wütet.

Im Grunde ist es ja ein faszinierendes Geschehen, wenn die inneren emotionalen Wogen so dermaßen hochgehen, sich auch gedanklich in uns widerspiegeln und unser Verhalten beeinflussen. Doch mittendrin in diesem Geschehen ist es gar nicht so einfach, die Balance zu halten.

Was uns kränkt

Gehen die Gefühlswogen hoch, gehen wir üblicherweise davon aus, dass die Ursache der Kränkung im Anderen liegt. Der andere ist schuld! Der andere ist derjenige der uns

  • durch seine Worte,
  • sein Verhalten,
  • durch sein Schweigen oder
  • seine unterlassenen Handlungen verletzt hat.  

Dabei hat die aktuelle Kränkung

  • viel mehr mit uns selbst und unserer Vergangenheit zu tun
  • als mit dem anderen und mit der Gegenwart.

Die Kränkung erzählt stets vom eigenen wunden Punkt. Sie erzählt davon, dass in unserem Leben in diesem Themenbereich Verletzungen passiert sind. Bei mir war es der wunde Punkt des nicht gesehen oder übersehen werdens.

Wäre es eine „einfache“ Verletzung, wären wir „nur verletzt“. Eine Kränkung hingegen geht viel tiefer. Sie berührt einen wunden Punkt in uns.

Immer, nie und keiner

Da die Kränkung von unserem eigenen wunden Punkt erzählt, kann uns alles Mögliche kränken. Nachdem es sich dabei meist um alte und vertraute Lebensthemen handelt, verwenden wir gerne die Worte „immer“, „nie“ oder „keiner“.

  • „Immer ich!“ – „Immer muss ich anrufen, alles tun, einladen, zahlen, …“
  • „Nie!“ – „Nie hört mir jemand zu, mag mich jemand, lädt mich jemand ein, tut jemand etwas für mich, fragt mich jemand ob ich Zeit habe, wie es mir geht…“
  • „Keiner“ – „Keiner interessiert sich für mich, hört mir wirklich zu, ist für mich da, wenn es mir schlecht geht…

Klassische Kränkungsthemen

Im Folgenden möchte ich kurz ein paar klassische Kränkungsthemen anreißen:

Nicht gesehen

Diese Kränkung erzählt vom Erleben, dass andere mich nicht wahrnehmen, nicht sehen, nicht sehen, wie ich wirklich bin, nicht sehen, wie sehr ich mich bemühe, mich ignorieren, übergehen oder so tun als wäre ich nicht da. Häufig wird dieses Kränkungsthema im Vergleich mit anderen auch noch verstärkt. Wenn wir erleben, dass unsere Mitmenschen sehr wohl in der Lage sind, andere zu sehen, erleben, wie andere eingeladen, umsorgt, hofiert oder gesehen werden – „Nur ich nicht!“

Dies ist ein Kränkungsthema welches sich häufig in der Familie, unter Geschwistern, auf der Arbeit oder im Zusammenhang mit dem Erben zeigt.

Weil es uns verletzt, dass wir ignoriert oder nicht gesehen werden, greifen wir den andere an oder ziehen uns gekränkt zurück. Und das ist ein typisches Dilemma bei der Kränkung. Unser Angriff oder Rückzug führt erst recht dazu, dass wir nicht gesehen werden. Dann greift uns der andere entweder ebenfalls an oder es fällt ihm nicht einmal auf, dass er uns „vergessen“ hat, was die Kränkung noch zusätzlich verstärkt.

Ausgeschlossen

Ausgrenzung schmerzt immer. Ich werde ausgeschlossen, bin und bleibe allein, während ich erlebe, dass andere dabei sein dürfen, mitmachen dürfen, gute Freunde oder einen Partner haben.  Ausgeschlossen zu werden nagt extrem an unserem Selbstwert. „Ich genüge nicht!“, „Niemand will mich dabeihaben!“ oder „Keiner mag mich!“

Alle anderen scheinen gewollt zu sein oder haben jemanden, der sie will. Aufgrund der Kränkung kommt es auch hier zu einem sozialen Rückzug – „Ich brauche oder will euch auch nicht (mehr)!“. Es kommt zu Gedanken und Verhaltensweisen, in denen man sich selbst versagt, was man doch so dringend bräuchte. Nämlich andere, die für einen da sind. Nun bleibt man erst recht allein und oft fällt niemanden auf, wie sehr man unter seiner Ausgrenzung und Einsamkeit leidet, was das Kränkungsgefühl erst recht befeuert.

Nicht wichtig

Wir wollen wichtig sein, zumindest jenen Menschen, die uns wichtig sind. In diesem Themenbereich lassen sich viele enttäuschte Erwartungen finden. Denn woran merken wir, dass wir wichtig für den anderen sind?

Es gibt die unterschiedlichsten Vorstellungen darüber, woran ich erkenne, dass ich wichtig für den anderen bin. Wie beispielsweise: Wenn ich dir wirklich wichtig wäre, dann würdest du … wissen, was ich mag oder brauche, körperlich auf mich zugehen, mir Blumen bringen, dich entschuldigen, mir sagen, wie wichtig ich dir bin und vieles mehr.

Je unausgesprochener unsere Erwartungen sind, umso eher werden wir auch enttäuscht sein. Mit diesem Thema kommt es immer wieder zu Kränkungen in nahen Beziehungen.

Die Verletzung wird abgewehrt

Kränkung bedeutet im Grunde – es tut gerade ziemlich weh! In der Kränkung versuchen wir aber den Schmerz der Verletzung von uns fernzuhalten. Wir sind zwar zutiefst betroffen und verletzt, wehren dieses Empfinden aber ab und weigern uns im Grunde, unseren Schmerz zu spüren.

So kommt es, dass wir in der Kränkung den Schmerz anfangs kaum oder nicht spüren, sondern eher in die Aggression oder in die emotionale Kälte gehen.

Die Folgeerscheinung der Kränkung

Am einfachsten erkennen wir unsere Kränkung an ihren Folgeerscheinungen.

  • Kränkungswut – die Aggression: Wir wehren den Schmerz der Verletzung über die Aggression ab. Dann sind wir wütend auf den Verursacher, greifen den anderen an oder wollen dem anderen ebenfalls weh tun
  • Der emotionale Kontaktabbruch – das emotionale Erkalten: Wir drosseln unsere Gefühle für den anderen. Dann wird es in uns nicht heiß, wie in der Aggression, sondern kalt.  Der andere lässt uns im wahrsten Sinne des Wortes kalt, er interessiert uns nicht mehr, wir wollen nichts mehr mit dem anderen zu tun haben! Es ist ein Versuch uns davor zu schützen zu spüren, wie sehr uns dieser Mensch gerade verletzt hat.
  • Der reale Kontaktabbruch: Manches Mal gehen wir nicht nur aus dem emotionalen Kontakt, sondern auch aus dem direkten Kontakt und brechen diese Beziehung komplett ab.

Bei Beziehungsabbrüchen, vor allem wenn sie wortlos sind, kann im Grunde immer von einer massiven zugrundeliegenden Kränkung ausgegangen werden.

Wenn wir uns also sehr über eine Person ärgern, nichts mehr für diesen Menschen empfinden oder nichts mehr mit dieser Person zu tun haben wollen, ist es Zeit, sich zu fragen, ob wir nicht vielleicht gekränkt sind.

Wir kränken den anderen

Die Abwehr der eigenen Kränkung führt zu einem interessanten Phänomen. Indem wir in die Kränkungswut gehen, kalt werden oder die Beziehung abbrechen, kränken wir nun unsererseits die andere Person. Eine abgewehrte Kränkung ist somit hochansteckend. Aufgrund unseres gekränkten Verhaltens werden wir nun unsererseits wieder den andern kränken!

Was brauchen wir, wenn wir gekränkt sind?

Sind wir gekränkt, ist eine psychische Verletzung geschehen. Diese kann nicht einfach ignoriert werden. Es geht darum, den Schmerz der Kränkung auch zu sehen.

  • Nicht nur der andere soll unseren Schmerz sehen,
  • wir sind ebenfalls gefordert, unseren Schmerz zu sehen und zu spüren

Natürlich tut es uns gut, wenn der „Auslöser unserer Kränkung“ diese wahrnimmt und sich vielleicht sogar entschuldigt.  Aber das passiert oft nicht, zumindest nicht automatisch. Hilfreich ist es daher oft, über unsere Kränkung zu reden. Vielleicht hat der andere gar nicht mitbekommen, wie gekränkt wir sind. Es ist auch günstig, wenn wir uns dabei auch daran erinnern, dass der Ander nicht unser Feind ist und uns wahrscheinlich nicht absichtlich verletzen wollte.

Kommt etwas vom Anderen, ist es gut, wenn nicht, ist es auch gut weiterzugehen. In der Verletzung sind wir oft bedürftig. Hier können wir schauen, was wir gerade brauchen oder wo wir uns das holen können, was wir brauchen. Vielleicht dürfen ja nahe Menschen für uns da sein.

Im Hauptberuf selbstständige Psychotherapeutin mit freier Praxis in Innsbruck. Langjährige Erfahrung in der Begleitung von Menschen. Mehrere Publikationen in diesem Bereich. Erste Buchveröffentlichung: Das Buch des bewusst seins (ISBN-10: 3743101572, Book on Demand). Nebenbei Bloggerin und AFEU-Autorin.

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