Lassen Sie mich mit einem wichtigen Detail beginnen: Das Forum wurde 1945 mutig auf den Ruinen des Zweiten Weltkriegs ins Leben gerufen, um ebendessen Wiederholung für die Zukunft auszuschließen. Gedacht wurde dabei mit persönlicher Unterstützung von Theodor W. Adorno samt Max Horkheimer, Ernst Bloch, Friedrich Dürrenmatt, Paul Feyerabend, Indira Gandhi, Friedrich von Hayek, Werner Heisenberg, Konrad Lorenz, Herbert Marcuse, Karl Popper, Erwin Schrödinger, Peter Sloterdijk und vielen, vielen anderen geistigen Eilten der Zeitgeschichte zwischen Kühen und Tiroler Schnapsglaserln. Diese Unternehmung ist nobel, muss und soll als zentrale Botschaft für ein gemeinsames Europa hochgehalten werden. Gerade heute. Dennoch, wie es doch immer ist, zeigt sich reale Geschichte nie so glatt und glänzend wie sie die Bücher beinhalten.
Gegründet wurde das Forum vom Wiener Studenten Otto Molden und dem Jenbacher Professor Dr. Simon Moser von der Universität Innsbruck. Letzterer war im Metier von Hochschulwochen kein Neuling. Schon 1936 organisierte der Schuschnigg-Vertraute und Hauptstellenleiter der Vaterländischen Front das erste staatliche Hochschullager im Tiroler Rotholz, gute 10 Kilometer entfernt und knapp 400 Höhenmeter tiefer gelegen zu Alpbach. Inhaltlich getragen wurde das Lager von Ignaz Zangerle, der „die schwächlich-bleichen Stadtmenschen“ mit Nachhilfe in Österreichischer Geschichte, dem Singen von Volksliedern und der Pflege des heimatlichen Brauchtums „zu kräftigen gebräunten Gestalten“ machen wollte. Sowohl Moser als auch Zangerle waren im sogenannten Bruder-Willram-Bund, einer elitären, leider auch stark antisemitischen Ideologiefabrik des Austrofaschismus tätig. Für Simon Moser war es in der Folge keine Hürde, mit seinen Bildbänden über österreichische Bergbauern eine nur geringfügig adaptierte Version unter dem Titel „Deutsche Bergbauern“ 1939 zu publizieren.
Der Innsbrucker Philosophie-Professor verfasste beispielsweise 1942 gemeinsam mit dem nationalsozialistischen Dichter Josef Wenter das einschlägige pro-nationalsozialistische Buch „Vom Wehrbauer zum Gebirgsjäger“. 1940 beantragte Moser schließlich die Mitgliedschaft in der NSDAP und erhielt seine Lehrbefugnis als Universitätsprofessor zurück. Moser war zwar kein Chefideologe, wechselte aber gerne die Seiten mit herausragendem Opportunismus. Gleichermaßen wandte sich seine Gesinnung erneut 1945, als Mosers Bruder Alfons in Alpbach die heutzutage renommierteste Bleibe in Alpbach ersteigerte, den Böglerhof – illustrer Schlafplatz aller Spitzenmanager und -politiker während des Forums. Mosers Stimme war nun die eines geeinten und starken Europas und so startete er das Forum Alpbach mit dem Studenten Otto Molden unter den neuen Vorzeichen von Einheit und Frieden. Molden, der sich 1938 dezidiert gegen den Nationalsozialismus engagierte, war mit Moser über seine Tätigkeit im austrofaschistischen Grauen Freikorps in der 30er Jahren wohl vertraut. Ihre alten Verbindungen spiegelten sich auch in den Anfängen des Forums: Beim ersten Forum Alpbach sang der wieder ins Leben gerufene Bruder-Willram-Bund gemeinsam mit einem französischen Soldatenchor, wurde im Sommer 1945 Tirol ja Teil der französischen Besatzungszone.
Menschen ändern sich, Gesinnungen ändern sich. Niemand kann Moser und Molden ab 1945 einen authentischen europäischen Geist absprechen, diesen haben sie in Folge von mehreren Jahrzehnten zweifellos bewiesen. Trotzdem bleibt diese Herkunft, die weniger eine Verurteilung darstellen muss, sondern gerade einen außergewöhnlichen Wandel offenbart, das eigentliche Wunder von Alpbach. Moser bleibt bis 1978 Wissenschaftlicher Leiter des Forums, Molden bis 1992 Präsident. Es ist falsch, das Europäische Forum Alpbach auf diese Wurzeln hin betrachtet als etwas zu deklarieren, was es nicht ist, nämlich in irgendeiner Weise rechte Politik. Über 70 involvierte Nationen von allen Kontinenten zeugen von einem Geist jenseits des kleinkarierten Austriazentrismus. Und doch zerfällt Alpbach manchmal in eine Dichotomie zwischen Weltoffenheit und Innovation einerseits und dem seltsamen Hauch des bürgerlichen Elitarismus, der unweigerlich ebenso präsent ist, auf der anderen Seite. Die Politik, insbesondere die Volkspartei, hat sich über die Jahrzehnte das Forum in großen Stücken zu eigen gemacht und spiegelt ironischer Weise mit einer Schützen-Bischof-Lederhosen-Dirndl-Folklore jene im eigentlichen Forum schon seit über 70 Jahren überwundenen Wurzeln. Wer hier eine Renaissance ortet, der sei entwarnt. Ideologie ersetzte sich heutzutage oftmals durch verbissenen Karrierismus. So bleibt mancher Alpbachpilger ein wandelnder Schatten, der seine Existenzberechtigung einzig in seinem schön formatierten Lebenslauf in Hochglanzmappen zu begründen versucht, unabhängig der Regierungs- und Wirtschaftsform.
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