Christo ist tot. Mit ihm droht eine Kunstform zu enden, die mittels Verhüllung das Dahinterliegende, Verschwiegene, nie genau Angeschaute in seiner Grundstruktur erst so richtig sichtbar macht.
Ministerin Edtstadler hat zeitgleich für Sommer das Ende des österreichischen Amtsgeheimnisses angekündigt. Dieser spezifischen Kunstform der Verhüllung, droht nun offenbar ebenfalls das Ende. (Wenn es denn wirklich wahr sein sollte. Man darf durchaus noch hoffen, da mehrere Ansätze zu ihrer Abschaffung bisher gescheitert sind und die ersten Ausnahmeregelungen bereits lautstark eingefordert werden.) Das Amtsgeheimnis ist ein kunstvolles Überbleibsel aus K&K-Zeiten, mittels dessen man dem Volk nicht den Anblick von Dingen zumutet, die eigentlich eh offen daliegen, aber keiner genaueren Betrachtung standhalten würden. Und paradoxerweise, wie bei Christo, werden unschöne Dinge erst durch das Verhüllen so richtig interessant und sichtbar.
Unser Amtsgeheimnis hat im Lauf der Jahre viele schöne Blüten und Seitentriebe entwickelt, von denen manche von bürokratischen Kunstbanausen leider wieder abgetötet wurden. Als erstes starb das Bankgeheimnis unter übermächtigem internationalem Druck. Schade drum! Sein Ende zwang viele, ihr sauer erarbeitetes Schwarzgeld verlustreich über tausend Ecken und mit Hilfe teurer Kanzleien auf irgendwelche Inseln zu verschieben. Hätten wir noch das Bankgeheimnis, wären uns das und die vielen langwierigen Prozesse um Schmiergeldzahlungen erspart geblieben.
Aber andere Seitenzweige des Amtsgeheimnisses gibt es, trotz aller widrigen Umwelteinflüsse, immer noch. Und das Schöne daran ist ja, dass das, was es verheimlicht, immer ein stückweit – aber nie weiter, als man es erträgt – sichtbar gemacht wird und dass, wie bei Christo, die Neugier auf das Darunterliegende durch die Verhüllung erst so richtig geweckt wird. Ist man auf die österreichische Förderwildnis nicht erst durch das Nicht-Befüllen der dafür geschaffenen öffentlichen Datenbank so richtig aufmerksam geworden?
Erhalten bleiben uns gottlob auch immer noch auf allen Führungsebenen die Geheimprotokolle, die eigens dafür angefertigt werden, um Partei- und andere gute Freunde bei der Stange zu halten. Diese Ableger des Amtsgeheimnisses werden sicher nicht so bald aussterben. Besonders sichtbar wurden sie wieder einmal nur aufgrund von Verhüllung, als ein Kanzleramtsangestellter unter falschem Namen und ohne zu bezahlen sehr kunstvoll öffentlich schreddern ließ.
Die allerhöchste staatliche – und durchaus mit Christos Methode vergleichbare – Verhüllungskunst wird wohl ebenfalls überleben: Sie besteht darin, durch Schwärzungen oder Unauffindbarkeit von Handy- und PC-Mitschnitten darauf aufmerksam zu machen, was da möglicherweise im Dunkeln gemunkelt wurde. Das erst regt die kreative Fantasie der Massen so richtig an. Wir dürfen uns diesbezüglich auf die kommenden parlamentarischen Ausschüsse freuen!
Zuletzt hat sich sogar Sebastian Kurz persönlich dieses Frühjahr noch einmal ansatzweise um die Kunstform der Verhüllung verdient gemacht (er spielt ja gerne diverse Stilrichtungen durch), indem er die Statistik Austria anwies, alle Daten vorab ans Kanzleramt zu übermitteln, um selbst entscheiden zu können, worauf der Blick des Betrachters bei der Öffentlichmachung gelenkt werden sollte. Leider hat das der neue Generaldirektor des Statistischen Zentralamts, der für Verpackungskunst offenbar nichts übrig hat, nun unterbunden.
Es ist wirklich schade um diese alte und doch immer wieder neu kalibrierte Kunstform. Die Heimlichtuerei hat unseren Alltag gewürzt und zudem das Volk geeint und Neiddebatten hintangehalten. Immerhin bleibt uns wegen Letzterem zumindest noch das Geschäfts- und Betriebsgeheimnis erhalten, sodass z.B. keiner weiß, was der, der am Nebentisch arbeitet, verdient. Und auch im österreichischen Gesundheitswesen dürfen persönliche Daten nicht einmal anonymisiert verknüpft und der Wissenschaft zur Verfügung gestellt werden. Es könnte da ja etwas herauskommen, wovon man vorher nichts ahnte. Also, irgendwie bleibt uns die Verhüllungskunst in vielen Nischen doch erhalten, auch wenn Christo tot ist und die Ministerin anderes verkündet. Gottseidank! Wäre doch der Reiz der Illusion dahin, wenn alles offen daläge!