Wenn ein einziger Satz als Zitat genügt, um allgemeingültig den Zustand einer Gesellschaft zu erklären, dann hat der Autor dieses Satzes endgültig den Parnass erklommen. So erging es letzte Woche unvermutet Wolf Haas, indem ein ansonsten nicht unbedingt literarisch zitierfreudiger Innenpolitik-Kommentator den Anfangssatz der Haas´schen Krimis verwendete, um den Zustand Österreichs zusammenzufassen.
Nicht mehr Shakespeare´s „Etwas ist faul im Staate Dänemark“, auch nicht Nestroy: „Die Welt, die tut´s nimmer mehr lang“, oder Qualtingers „Eswar eine schwierige Zeit (…), man wusste nie welche Partei die stärkere ist, welcher man sich zuwenden muss“, nein, unsere Gegenwart hat nun ihre eigene Überschrift: „Jetzt ist schon wieder was passiert“: Die Krimiserie erzählt von überzogenen Wahlkampfkosten, Schredderaffären, verräterischen Ibiza-Urlauben, tödlichen Familienchats und in Kinderwagen spazierengeführten Laptops, die man überdies gar nicht besitzt, von Vergesslichkeiten bei der Einvernahme …, immer wieder passiert etwas. Aber typisch Österreich: Keiner ist´s gewesen. Niemand hat irgendwas beabsichtigt oder gar etwas gemacht. Ein übermächtiges Es, ein Schicksal, hat uns arme Österreicher getroffen, die wir ständig ungewollt (wenn auch alle paar Jahre selbst gewählt) Opfer der Geschichte und der Geschichten werden, und unsere noch viel ärmeren unschuldigen Buberln, die die Republik führen. Aus heiterem Himmel höchster Beliebtheitswerte sozusagen.
So leiden wir wieder einmal – wie einstmals mit Kurt Waldheim, Karlheinz Grasser, H.C. Strache und nun mit Sebastian Kurz — mit all diesen Opfern eines bösen Schicksals mit, denen so ein Unglück passieren musste! Ausgerechnet diesen Unschuldslämmern. Ja, da kann man nichts machen. Wir sind eben Österreich. Immer das erste Opfer.
Wolf Haas hat den Zustand unseres Landes im beginnenden 21. Jahrhundert in einem Satz auf den Punkt gebracht und verdient deshalb, von nun an objektiv und endgültig in die Riege der unsterblichen österreichischen Klassiker aufgenommen zu werden. Wir könnten dem Autor, trotz unserer Trauer über die Umstände, deshalb zur literaturhistorischen Beförderung gratulieren. Doch was nützt schöne Literatur in einem Land, in dem es selbst führenden Persönlichkeiten wie MinisterInnen und Landeshauptleuten an grundlegender Lesekompetenz mangelt? Wenn denen ein Vorgesetzter jeweils erklären muss, was in einem Text drinsteht, den sie dann fraglos unterschreiben? Wenn etwa Landeshauptmann Platter (der übrigens schon vor Jahren nicht imstande war, die Eurofighter-Verträge verstehend zu lesen) nun in eineinhalb Tagen (mit etlichen Freistunden in Zügen und während Autofahrten) nicht imstande war, 104 Seiten der Staatsanwaltschaft zu überfliegen, dann nützt dem Land nicht einmal mehr ein Nobelpreis. Nichts lesen, nichts verstehen, nichts wissen wollen. Auch das ist und war schon immer: Österreich.