WURST (2)
Unter politisch Interessierten wird eine App gehandelt, auf der man die Regierbarkeit einzelner Orte und Gremien abfragen kann. Grün heißt soviel wie g’mahte Wiesen, Gelb weist auf eine gewisse Anstrengung hin, die man als Kandidatin unternehmen muss, um zu reüssieren, und Rot bedeutet unregierbar. – Innsbruck ist tiefrot.
Wenn Kandidatinnen wissen, dass sie für etwas Unregierbares antreten, so verdienen sie kein Mitleid mit dem Umstand, dass sie von vorneherein als ungeeignet und unqualifiziert eingestuft werden.
Wenn jemand also für etwas kandidiert, worin er nichts bewirken kann, so bedeutet das im Umkehrschluss, dass er für seinen eigenen Vorteil kandidiert.
Der aktuelle Innsbrucker Gemeinderat ist mittlerweile so segmentiert und zerrissen, dass man von einzelnen Individuen reden muss, die ihr eigenes Süppchen kochen, um möglichst viel Sitzungsgebühr für den eigenen Hintern herauszuschlagen.
Innsbruck gilt aber auch deshalb als unregierbar, weil jeder von uns nicht ein konkretes Problem, sondern die ganze Stadt von der Politik gelöst haben will.
Wenn politische Mandatsträger sich unbeobachtet fühlen, sprechen sie oft ein Stück Wahrheit ungeniert aus.
„Wie soll ich als Mandatar etwas bewirken oder verändern, wenn das Arschloch, das mich gewählt hat, selbst nicht weiß, was es will?“
Tatsächlich weiß kaum jemand, der zur Gemeinderatswahl geht, was er will. Außer eben, dass er den bisherigen Gemeinderat nicht will.
Bei vielen, die etwas besitzen, kommt ein Gefühl auf, es soll wenigstens so bleiben wie es ist, und der Besitz soll nicht eingeschränkt oder verkleinert werden.
Bei den Habenichtsen herrscht das diffuse Gefühl vor, dass die Stadt sie nicht mag, weil sie nichts haben. Sie würgen letztlich an sich selber, dass sie es nicht geschafft haben, Besitz zu generieren, und somit als Habenichtse in einer grausamen Stadt leben müssen.
Und fast jede in Innsbruck wohnende Person kriegt im Laufe des Lebens einmal einen Würgeanfall und ist vom eigenen Leben enttäuscht und schiebt diese Enttäuschung auf das Schachbrett, auf dem sie ihr Leben spielen muss: Auf die Stadt und ihre politische Konsistenz.
Ein Wahlkampf ist in der Hauptsache ein Hin- und Herschieben von Ausreden und Floskeln, mit denen Wahlvolk und politische Kaste ihre Sprachlosigkeit zu beschreiben versuchen.
Dennoch lohnen sich kleine Lockerungsübungen, wenn man dem Phänomen der Zerstrittenheit im Gemeinderat begegnet.
Vielleicht sollte man übungshalber annehmen, dass das Plenum nicht zerstritten ist, sondern die einzelnen Protagonisten „Themen-angefasst“ reagieren.
Diese schwer gestörten und von einer persönlichen Enttäuschung angefassten Gemeinderatspersonen sind vielleicht maßlos enttäuscht, weil sie
– von der Karriereleiter bei der Berufsfeuerwehr gestoßen
– vom Baufortschritt der Patscherkofelbahn übertölpelt
– von der Stuttgartisierung der Verkehrsbetriebe überrumpelt
– von der Schwangerschaft mit dem eigenen Kind überrascht
– von der gepachteten Alm nicht ernst genommen
– vom Flughafen als Seniorenvertreter entsendet
– von der eigenen Partei isoliert
– von der Rache einer Vorgängerin übermannt
– von der eigenen Ratlosigkeit überwältigt
– vom Alkoholismus gelähmt
– vom Alter gezeichnet
worden sind.
Für alle gilt die Unschuldsvermutung, weshalb man sie alle nicht wählen muss, weil nicht klar ist, was sie zu verstörten Mandatsträgern gemacht hat.
STICHPUNKT 23|71, geschrieben am 02.09. 2023