(c) Helmuth Schönauer

INNS´WURST (4): Alles erledigt?

4 Minuten Lesedauer

In einem Schulwitz wird behauptet: Die Zeugnisse dienen nur dem Lehrpersonal, damit dieses später Schwarz-auf-Weiß den Pensionsanspruch dokumentieren kann. Die Beschulten haben von den Zeugnissen rein gar nichts, auch wenn sie es im Halbjahresrhythmus überreicht bekommen.

Ähnlich klingen die Parolen der im Innsbrucker Gemeinderat vertretenen Grüppchen. Durch permanenten Streit haben sie aus Versehen sich selbst erledigt statt der Themen.

Manche Mandatierende wissen gar nicht mehr, worum es geht, außer sich gegenseitig verbal an die Gurgel zu gehen.

So gesehen hat der aktuelle Gemeinderat gut gearbeitet, alles ist erledigt, alle sind angeschlagen oder vernichtet.

In der Demokratie wird alle paar Jahre zur Diskussion gestellt, ob die einsitzenden Mandatare auch brav und sittsam sind. Wenn sie sich nicht zu benehmen wissen, werden sie abgewählt. In der Theorie zumindest.

Ehe man für eine Wahl ein Programm entwickelt, mit dem man sich für die neue Legislatur rüstet, sollte man als politischer Mensch noch einmal kurz überschlagen, was an Problemlösungen noch ansteht.

Zu diesem Zweck informiert man sich am besten im offiziellen Prospekt, der an jeden Haushalt geht. 
„Innsbruck informiert“ – Ausgabe Oktober 2023

In diesem Blatt stellen die agierenden Gruppen jeweils eine Überschrift und etwas KI-Text zur Verfügung. 

Den Text kann man sich sparen, es genügt, die Überschriften der gegenwärtig im Gemeinderat sitzenden Gruppierungen zu lesen.

– In der Krise entlasten und unterstützen
– Richtungswahl um Innsbruck
– Wir sind für Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung
– Die Nutzung von E-Scootern soll besser geregelt werden
– Was wirklich nicht normal ist
– Mehr Wohnungen auf Bestandsgebäuden errichten
– Innsbruck braucht mehr Grünflächen und Renaturierung
– Verkehrssicherheit für ältere Menschen hat Vorrang
– Defibrillator-Info-Kampagne in Innsbruck
– Innsbrucks Jugend: „YOLO war gestern!“
– 40 Jahre Grüne im Gemeinderat – Chancen genützt?

Bei diesen Schlagzeilen bleibt unklar, ob es sich um Munition für weitere interne Vernichtungskämpfe handelt, um verpasste Chancen, etwas wirklich zu erledigen, oder um leere Schlagzeilen für die Kandidatur zum nächsten Gemeinderat.

Das Wahlvolk muss schon sehr großzügig sein und einen guten Tag erwischen, wenn es bei diesen Phrasen sich nicht als dumm verkauft und im Kopf mangelhaft durchblutet fühlt.

Keine der vorgestellten Schlagzeilen ist es wert, zur Wahl zu gehen.

Die Motivation, seine Stimme abzugeben, fußt am ehesten auf jener Schmerzgrenze, die die bisherigen Mandatare überschritten haben.

Wenn man als neugieriger Wahlbeobachter die Menschen um einen klar formulierten Wunsch an den neuen Gemeinderat bittet, so werden die Wünsche sehr dünn und schwammig.

Fast alles, was diskutiert wird, kann vom Gemeinderat nicht umgesetzt werden, weil er dafür nicht zuständig ist.

Selbst so Kleinigkeiten, wie das Liegen am Sonnendeck, die Installation einer Überwachungskamera auf einer Bundesstraße, die Einhausung einer Autobahn, die mitten durch die Häuser führt, kann nicht umgesetzt werden, weil dafür andere demokratische Gremien zuständig sind.

Die Forderung beschränkt sich oft auf zwei wütende Sätze, die man nach langem Nachdenken zustande bringt:

– Ich will einen neuen Bürgermeister!
– Ich will die Gehsteige Scooter-frei!

Wetten, dass der neue Gemeinderat nicht einmal diese Minimalforderungen zu erfüllen imstande ist?

Kluge Menschen bewahren sich übrigens die Schlagzeilen aus der Oktoberausgabe von „Innsbruck informiert“ auf, denn sie werden verlässlich in sechs Jahren bei der nächsten Wahl wieder abgedruckt. Und dann braucht man sie nicht mehr abermals zu lesen.

– Und der Bürgermeister wird 2030 wieder graue Haare haben, egal wer es ist.
– Und die Scooter werden 2030 noch immer am Gehsteig herumliegen, weil sie niemand mehr aufgeladen hat.

STICHPUNKT 23|87, geschrieben am 26.10. 2023

Geboren 1953. Ist seit Gerichtsverfahren 1987 gerichtlich anerkannter Schriftsteller, bis 2018 als Bibliothekar an der ULB Tirol. Als Konzept-Schriftsteller hält er sich an die These: Ein guter Autor kennt jeden Leser persönlich.

Etwa 50 Bücher, u.a.:
* BIP | Buch in Pension | Fünf Bände (2020-2024)
* Anmache. Abmache. Geschehnisse aus dem Öffi-Milieu. (2023)
* Austrian Beat 2. [Hg. Schneitter, Schönauer, Pointl] (2023)
* Verhunzungen und Warnungen. | Geschichten, entblätterte Geschichten, verwurstete Geschichten. (2022)
* Outlet | Shortstorys zum Überleben (2021)
* Antriebsloser Frachter vor Norwegen | Austrian Beat (2021)
* Tagebuch eines Bibliothekars | Sechs Bände (2016-2019)

Schreibe einen Kommentar

Your email address will not be published.