Manche Politiker haben ganz wahnsinnige Angst vor dem Wahlvolk. Da werden im Untersuchungsausschuss Paravents aufgestellt. Es werden Dokumente geschreddert oder in Archiven für Jahrzehnte versiegelt, überhaupt ist alles ganz, ganz streng geheim, und keiner getraut sich dem Bürger zu verraten, weshalb eine Entscheidung so oder anders getroffen wurde.
Warum bloß diese Furcht? Stehen wir kurz vor einer Revolution? Lauern Terroristen, als Berichterstatter verkleidet, auf den Besucherrängen des Parlaments? Zugegeben, es ist mühsam, wenn man in komplizierten Verhältnissen ständig alles allen erklären sollte. Sogar wenn man sich redlich bemüht, werden immer viele dagegen sein. Doch warum nicht ein wenig Gelassenheit? Warum nicht einfach sagen: Da geht´s lang! Ihr habt mir die Verantwortung übertragen, ich habe diese angenommen, und jetzt erkläre ich euch, warum ich nach reiflicher Prüfung das Problem X so und so zu lösen gedenke. Ich habe darüber mit dem und jenem, dieser und jener Bevölkerungsgruppe, den Lobbyisten von X und Y gesprochen, deshalb diese Entscheidung. Nein, das ist nicht autoritär. Denn sorry, Leute, ihr habt mich gewählt, um genau das zu tun: um für eure Zukunft Entscheidungen zu treffen. Ihr habt mein Programm gelesen, ihr kennt meine Haltung – oder etwa nicht? Dann seid ihr aber selber schuld, wenn euch meine Entscheidungen nicht passen. Wählt dann bitte nächstes Mal jemand anderen, das ist okay, dafür gibt es ja Wahlen. Lest aber bitte vorher durch, was der euch anbietet. Seht euch an, was derjenige bisher getan (und nicht nur proklamiert) hat, und besteht nach der Wahl darauf, dass er auf Linie bleibt und euch ehrlich erklärt, warum und wo leider Kompromisse und Interessenausgleiche mit dieser und jener Bevölkerungsgruppe unabdingbar waren.
Was ich euch anbiete, ist, dass ich euch nicht mit schönen Versprechungen belüge und nichts verschleiere. Manches wird manchen wehtun. Aber die brauchen mich ja auch nicht zu wählen. Und wer behauptet, immer für alle nur das Angenehmste zustande zu bringen, der lügt. Ich twittere keine leeren Versprechungen. Dafür könnt ihr bei mir jederzeit im Internet nachlesen, wohin euer Steuergeld zu welchen Zwecken fließt. Eure sachlich begründeten Verbesserungsvorschläge sind explizit erwünscht. Dafür gibt es sogar eine Anlaufstelle.
Ich schalte keine Inserate, um euch vorzugaukeln, dass ich der Beste der Besten und die Welt die beste aller Welten sei. Ich kümmere mich darum, dass nach professionellen Standards agierende Qualitätsmedien — unabhängig von ihrer Haltung mir gegenüber — genug Geld bekommen, um nicht käuflich werden zu müssen. Und ich schließe keine Geheimverträge in Hinterzimmern oder solche mit gefährlichen Autokraten ab. Wenn halbstaatliche Firmen solche Verträge eingehen, dann steige ich als Teilhaber schnellstens aus. Das, liebe Bürgerinnnen und Bürger wird euch zwar ein paar schmerzhafte Prozent Mehrkosten, aber dafür weniger schlaflose Nächte bereiten.
Und vor allem: Ich schreddere keine Dokumente, aus denen auch später noch nachvollziehbar sein wird, wie Entscheidungen zustande kamen. Ich lasse sie auch nicht als „privat“ versiegeln, wenn sie die ganze Republik betreffen. Ich twittere auf unsicheren Plattformen wirklich nur Privates und das niemals während meiner Arbeitszeit. Und am PrivatPC zoome ich nicht quer durch die Welt zur Freude des russischen Geheimdienstes. Für den Dienst am Volk gibt’s gut geschützte Dienstgeräte, und alles, was darauf kommuniziert wird, wird auch sorgsam archiviert.
Und vor allem: Ich gehe mit meinen Arbeitskolleg*innen so um, wie ich möchte, dass mit mir umgegangen wird. Schließlich geht es nicht um Krieg Mann gegen Mann, sondern um den Wettkampf der besten Ideen. Ich will während meiner Tätigkeit fürs allgemeine Wohlergehen nicht auf Personenschutz angewiesen sein. Und ich will mich in der Zeit nach meiner Politkarriere noch auf der Straße zeigen können, ohne mich schämen zu müssen.
Ach, wäre es schön, wenn die Politik so funktionierte! Wenn U-Ausschüsse und Rechnungshofkritik sowie Anregungen aus Bürgerräten und Volksbegehren dazu führten, dass alte Fehler nicht wieder und wieder wiederholt werden. Wenn es für den Bürger Sinn machte, sich die Wahlprogramme aller Parteien durchzulesen und auch mal für die Gemeinschaft mitzudenken. Und wenn unsere Demokratie ohne einander gnadenlos bekriegende Clans und Omertà funktionierte.
Was für eine schöne Utopie!