Die zweite Welle an Wahlplakaten ist vorhergesagt. Welle um Welle überrollt uns ein Straßenrandtsunami. Dabei hätte die erste Welle schon genug geistige wie Landschafts-Zerstörung hinterlassen.
Wahlplakate sind ja eh nur dazu da, Unansehnliches schönzufärben und uns etwas vorzulügen. Aber grad weil die führenden Politiker inzwischen alle der Werbebranche entstammen, ist ihr profimäßiges Schummeln durchschaubar und altgewohnt und verrät allerhand von der dahinter liegenden Wahrheit.
Dass es auf ideologische Inhalte nicht mehr sehr ankommt („Ideologie“ ist zurzeit sogar das beliebteste Polit-Schimpfwort), zeigt schon die Tatsache, dass seit Jahren mehr Mühe auf Photoshop als auf die Slogans verwandt wird. So wird nicht nur Kickls stierer Blick weichgezeichnet — wurden ihm womöglich überhaupt Fremdaugen montiert? Das schöne Blau wie bei Haider und Strache konnten sie ja beim besten Willen nicht wiederverwenden, leider. Auch fremdelt der Betrachter mit Kickls geschlossenem oder gar sanft lächelndem Mundwerkzeug. Das ist doch nicht er!
Weichgezeichnet werden überhaupt alle. Speziell die Männer wurden einer gründlichen Kosmetikkur unterworfen. Und die Bildaufteilung? Klassisch fade. Einzig die Neos-Chefin steht nicht wie die Herren der anderen Parteien großmächtig im Mittelpunkt, sondern blickt vom Rand nachdenklich zu ihren eigenen Forderungen auf.
Der Noch-ÖVP-Bundeskanzler Nehammer schafft es am Plakat beinahe zu lächeln, wenn er an „Sicherheit“ und eine „starke Mitte“ denkt, und versteckt dabei seine scharfen Zähne. Die altbackene Untersicht erspart dem Betrachter auch den aggressiven Unterbiss und das vorgereckte Kinn, zusätzlich helfen dezent gerundete Wangen und eine – durch den Blickwinkel erzeugte — extrem hohe Denkerstirn. Da könnte Trump noch ein wenig über klassische Regeln der Selbstdarstellung lernen. Auch die Slogans sind einfallslos bis ins Mark. Als Altwähler*in kennt man diese seit Jahrzehnten. Doch lesen tut sowieso kein Mensch mehr. Also warum sich groß um Worte bemühen? Zudem trifft das Immergleiche den Nerv der Parteianhänger: Alles soll bleiben wie gewohnt. Nur nix denken müssen, nur nix ändern!
„Für dein besseres Österreich!“ verspricht die SPÖ und kommt sich durch das zusätzliche D schon sehr innovativ vor. Sie verspricht damit ein besseres Leben sogar jenem Fünftel der malochenden Bevölkerung, die dank fehlendem Pass nicht wählen dürfen. Doch so können auch die sich zumindest ein bisschen an der Zukunft mitfreuen.
Und wie die SPÖ wirbt auch die FPÖ diesmal mit viel „Herz“. Unweigerlich drängt sich dem Wähler da der Banalreim „Schmerz“ auf. Doch erstaunlicherweise verzichtet diese Partei heuer erstmals auf schlechte Reime. Dafür liefert sie – ihrer altgewohnten Aufmerksamkeitsstrategie gemäß –Geschmacklosigkeiten anderer Art. Bei „Euer Wille geschehe“ bleibt allerdings unklar, ob Kickl, der Werbeprofi, damit wirklich die Wähler ansprechen will oder nicht vielmehr diverse FPÖ-Funktionäre mit Korruptionsgelüsten? Eines jedenfalls ist offensichtlich: Hier wähnt sich einer bereits in Gottesnähe. Und ist „Gemeinsam Kanzler“ als Pluralis Majestatis oder gar schon als Dreifaltigkeit zu verstehen? Jedenfalls hat Kickl noch nie die Macht gerne mit wem anderem geteilt. Einen unverständlichen Ausreißer bildet allerdings der Slogan „5 gute Jahre!“ Lobt hier die FPÖ gar die vergangene Regierung??
Ein bisschen konkreter als die Großparteien wird die KPÖ mit der Forderung „Eine Stimme für leistbares Wohnen“. Aber auch diese und die „eine Stimme aus der Pflege“ werden wahrscheinlich zu wenig stimmgewaltig sein, um im betäubenden Getöse der anderen durchzudringen.
Auch die Neos formulieren mutige Ansinnen. Doch meist blickt ihre Frontfrau am Slogan vorbei in die Ferne. Besonders bei der Devise „100% Transparenz. Für eine ehrliche Politik!“ schaut sie sehr grimmig seitlich weg. Man weiß: Daraus wird bei den derzeitigen Prognosen nix werden.
Und die grünen Kandidaten verraten uns in ihren Slogans diesmal mehr über die eigene seelische Verfassung als über ihre Zukunftsvorstellungen für Österreich: Mit der Frage „Bäume oder Beton?“ signalisiert die Reihenfolge beileibe nicht die andernorts verlangte „Zuversicht“, sondern pure Verzweiflung. Hieße es in umgekehrter Nennfolge „Beton oder Bäume?“ ergäbe das mit dem Baum-umarmenden Kind wenigstens ein bisschen Hoffnung auf die richtige Antwort — in jedem Satz ist schließlich, laut klassischer Rhetorik, die letzte Stelle jene, die den Haupteindruck hinterlässt und die Reaktion auslöst. Auch wenn sie „Klima oder Krise?“ fragen, dann ist die Antwort „Krise“ schon vorprogrammiert. Und schließlich, um der Depression die Krone aufzusetzen, noch der geradezu suizidale Slogan: „Wähl, als gäb´s ein Morgen!“ Damit signalisieren sie, dass sie (zumindest für sich als politische Macher) keine Zukunft mehr sehen, denn der Konjunktiv 2 heißt nicht umsonst „Irrealis“. Kurzum: Liebe Grün-Wähler: Es gibt kein Morgen, alles ist sinnlos, sogar das Wählen-Gehen!
Bleiben uns als letzte Hoffnungsschimmer also bloß noch „Bierpartei“ oder „Keiner von denen“ oder die inzwischen schon reichlich gealterte Madeleine Petrovic? Zumindest haben die hierzulande keine Plakate gehängt, die den Blick verstellen, und über die freundlich-nichtssagenden Werbetexte muss man sich gar nicht erst Gedanken machen. Dafür zumindest hätten sie sich Dankbarkeit verdient.