Es gibt solche glückliche Zufälle, die dazu beitragen, dass sich etwas Neues auftut. Und man musikalische Ereignisse und Werke hört und bemerkt, die einen faszinieren, sie aber im ersten Moment noch nicht benennen kann, weil die Kausalität zwischen den einzelnen Ereignissen noch fehlt, die Regelmäßigkeit noch nicht beschrieben werden kann und ganz generell die Worte fehlen. Wenn das passiert, ist die reale Gegenwart und Präsenz eines musikalischen Werkes gelungen. Die Worte straucheln in der Beschreibung und die Beschreibung wird verdrängt vom Wunsch, wieder in Kontakt mit den Augenblicke zu kommen, die das jeweilige Werk andauert und angedauert hat.
Angedacht: ein ganz normaler Abend mit Zither-Musik, die alles ist, aber nicht normal. Ein Abend, an dem die spielerischen, ästhetischen und klanglichen Möglichkeiten der Zither ausgelotet werden und an dem das Instrument, das immer noch stark im volksmusikalischen Kontext steht, in einen anderen Kontext gestellt wird. Interessanterweise geschieht das ohne einen radikalen Bruch mit der Ästhetik der Zither. Das Spiel vom Trio „Greifer“ unter der Leitung des Tiroler Musikers Martin Mallaun wirkt niemals bewusst und gewollt avantgardistisch. Eher wirkt das Spiel von Martin Mallaun, Reinhild Gamper und Leopold Hurt wie der oft leichtfüßige und spielerische Vorschlag dessen, was auch noch möglich wäre.
Die herkömmliche Zither-Literatur wird nicht radikal in Frage gestellt. Sie wird ganz einfach zu einem großen Teil außen vor gelassen und wenn dann in neue Zusammenhänge gestellt. Das Trio ist also klar nicht in einer radikalen Avantgarde zu verorten, sondern ihm ist eine höchst sensibler, abenteuerlustiger Entdeckerdrang zuzuschreiben. Das führt auch dazu, dass das Trio immer wieder Komponisten beauftragt, ihnen Stücke auf den Leib zu schreiben und mit dem Instrument Zither zu experimentieren.
Hannes Kerschbaumer und die „Klangspuren“: Vom Zerfall und von der Folter
An dem Abend der „Klangspuren“ am 24.09. in der Burg „Freudsberg“ war das unter anderem mit einem Werk von Hannes Kerschbaumer der Fall. Ohne die großartigen Stücke des Abends und die eindrucksvolle ästhetische Gesamtsituation schmälern zu wollen blieb mir das Stück „picea.debris“ von Hannes Kerschbaumer am stärksten in Erinnerung. Vermutlich auch, weil es meiner eigenen klanglichen und kompositorischen Vorstellung auf diesem Instrument am nächsten kommt. Ganz sicher aber auch, weil das Stück exzellent komponiert, konzipiert und vom Trio „Greifer“ auch hervorragend umgesetzt wurde.
Hannes Kerschbaumer beschreibt sein Stück am Abend mit „Greifer“ als das dritte Stück in der „debris“ Werkreihe. Diese würden Zerfall- bzw. Dekonstruktionsprozesse thematisieren. Interessant an diesem Stück ist, dass die drei Zithern vor allem solistisch agieren, sich oft ins „Wort“ fallen, sich oft klanglich bewusst nicht ergänzen. Die Summe der einzelnen Teile ergibt hier kein Ganzes. Die Zithern bleiben oft isoliert, stehen für sich allein und treffen sich nur im Moment des Zerfalls und der Isolation manchmal beiläufig, wie zufällig. Sie gehen aber keine Symbiose ein, sondern bleiben eigenständig. Dass mir das Stück dennoch nicht als bewusst brüchig erscheint, sondern als natürliches Zusammenspiel, ist dabei überaus bemerkenswert. Es ist so, als wäre diese Distanz, auch räumlich an diesem Abend, absolut notwendig, zwingend, nicht anders denkbar.
Das Stück überzeugt, weil es geschickt argumentiert, warum trotz all den Zerfallstendenzen im Stück der Zerfall und die Destruktion genau auf diese Weise thematisiert werden muss. Das zeigt die präzise und konzise Beschäftigung von Hannes Kerschbaumer mit diesem Thema. Das Stück am Abend war, trotz der Komplexität der einzelnen Stimmen, niemals beliebig. Es gab eine Art von ästhetischen Orten, in denen man sich als Hörer einrichten konnte. Nur um dann im nächsten Moment wieder verjagt zu werden. Die Brüchigkeit und die Abwesenheit der Konstanten sind wesentliche Bestandteile dieses Stück, auf die man sich, paradoxerweise, verlassen kann.
Wenige Tage später, am 27.09. kommt das Musiktheater „luce nera“ zur Aufführung. Mit Schauspielern, einer Sprecherin, Tänzern, einem Ensemble und einer Sängerin. Das wenig erbauliche Thema sind die Foltermethoden und menschenverachtenden Machenschaften im Pinochet-Regime in Chile. Vor allem textlich geht das Stück dabei an die Grenzen des Erträglichen. Minutiös und mit einer sehr harten und direkten Sprache wird beschrieben, welche Qualen eine Frau über sich ergehen lassen muss. Vergewaltigung. Körperliche Torturen. Auf der visuellen Ebene wird in „luce nera“ mit eindrucksvollen, überaus gelungenen Projektionen gearbeitet.
Die musikalische Dimension erinnert mich an die Klänge des späten Scott Walker, der z.B. mit „The Drift“ ähnliche Themen aufgegriffen hat. Die Musik ist bei Hannes Kerschbaumer aber weniger klar durchschaubar. Sie ist bei ihm flächiger und zugleich unruhiger, flirrender. Sie ist verwinkelter und weniger konzise.
Sie oszilliert, entzieht sich, untermalt und kommt dabei bewusst nicht immer auf den Punkt. Sie verschleppt und zögert hinaus. Schafft Platz, Raum und Zeit für die Projektionen, für die Schauspieler und für die Stimme weiterhin eine alptraumhafte Geschichte zu erzählen, die man am liebsten gar nicht hören und wahrnehmen würde. Die Erzählung schmerzt. Die Versuchungen den Raum zu verlassen erhöht sich mit jedem Wort. Die Qual überträgt sich in Auszügen auch auf das Publikum, das hier nicht geschont wird.
Der besondere Horror dieser Inszenierung ergibt sich aus der Gegenüberstellung von schonungsloser Textebene und ästhetisierter Musik- und vor allem auch Inszenierungs-Ebene. Auf der Bühne passieren die Grausamkeiten nicht oder nur in Andeutungen. Die Musik übernimmt die primäre Rolle, den Horror zu thematisieren. In den Momenten, in denen die Sopran-Stimme Dominanz erlangt, wird der Horror der Erzählung deutlich, spürbar, hörbar. Auf den Punkt gebracht. Die Musik wird dabei klarer, erzeugt einen Sog und einen Strom. Sie umschreibt nicht mehr, flüstert nicht mehr, sondern ruft laut aus. Sie gewinnt an Klarheit und zugleich an Transparenz.
Der Applaus nach dem Stück kommt nur zögerlich, wird dann aber im stärker. Auch vereinzelte „Bravo“ Rufe mischen sich in die vorerst eher zögernde Gefallens-Bekundungen. Das Publikum weiß nicht, wie es reagieren soll. Mit Betroffenheit? Mit Schweigen? Mit lautem Jubel? Ist Jubel überhaupt angemessen, weil die ästhetische Inszenierung gelungen ist? Oder ist das Thema so heikel und so tiefgehend, dass man sich nur zurückhaltend äußern darf? Für mich ist diese Ambivalenz in Bezug auf mögliche Reaktionen ein klarer Beweis der Qualität des Stückes.
Für mich ist es indes eigentlich eher einfach beschrieben: Der Kontakt mit den Werken und Stücken von Hannes Kerschbaumer hat mich in den letzten Tagen nachhaltig beeindruckt und fasziniert. Ich möchte mehr hören. Ich habe das Gefühl, dass ich mich in seinen musikalischen Werken einrichten könnte, obwohl sie schonungslos, radikal und unbehaglich sind. Die Unbehaglichkeit behagt mir aber wiederum.
Und das genau sind die Augenblicke, in denen die Kompositionen von Hannes Kerschbaumer und meine Persönlichkeitsstruktur bestens harmonieren. Vielleicht ist es das, was diese Begegnung mit dem Werk von Kerschbaumer so bemerkenswert gemacht hat. Ich bin mir sicher, dass ich in Zukunft mehr, besser und präziser über diese Begegnung und vor allem auch über die kompositorische Ebene der Stücke schreiben kann. Vorerst aber müssen diese fragmentarischen Annäherungen ausreichen. Damit einher geht der Aufruf, selbst in Kontakt mit seinen eindrucksvollen Kompositionen zu kommen. Seine Stücke erzählen von Zerfall, von Folter aber auch von der puren Schönheit des Lebens.
Zerfall, Folter, Leben: Eindrücke des musikalischen Schaffens von Hannes Kerschbaumer
Elfenbeinturmbewohner, Musiknerd, Formfetischist, Diskursliebhaber. Vermutet die Schönheit des Schreibens und Denkens im Niemandsland zwischen asketischer Formstrenge und schöngeistiger Freiheitsliebe. Hat das ALPENFEUILLETON in seiner dritten Phase mitgestaltet und die Letztverantwortung für das Kulturressort getragen.