Warum gehen wir eigentlich auf Konzerte? Um Teil einer bestimmten Szene zu sein? Um Bekannte und Freunde zu treffen? Wegen der Musik, die uns darauf einschwört, dass wir eben nicht allein und vereinzelnd rezipierende und perzipierende Subjekte sind, sondern dass wir sie in einer Gruppe mit musikalisch Gleichgesinnten konsumieren, die vielleicht auch noch eine ähnliche Lebenseinstellung und ähnliche politische Ansichten haben? Das ist alles ist ein Faktum und findet genau so statt. Auch und vor allem in Innsbruck. Ich plädiere aber für einen anderen Zugang zur Musik und zu Konzerten.
Schon die unsäglichen Tocotronic brachten es mal auf den Punkt: „Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein“. Das ist wohl auch der Grund für viele Menschen, warum sie zu Konzerten gehen. In Innsbruck ist es jedenfalls mehr als auffällig, dass man zu Konzerten geht um zu sehen und gesehen zu werden. Und lieber geht man ohnehin zu Konzerten, in denen Freunde und Bekannte involviert sind. Schließlich will man sich ja gegenseitig unterstützen und zugleich mit seiner Präsenz Teil einer Szene sein. Die Eintrittsrituale sind dabei relativ einfach: Anwesenheit bei den richtigen Konzerten der richtigen Leute an den richtigen Orten. Wer auch noch Unterstützung und Interesse für auch noch die nichtigste der nichtigsten Bands zeigt, in der aber die richtigen Leute spielen, ist bald Teil einer Szene.
Wer aber zwischen den Stilen, Lokalitäten und Szenen switcht und vielleicht auch sogar an der ästhetischen Homogenität und Engstirnigkeit gewisser Szenen Kritik übt, der hat eigentlich schon von vornherein verloren. Vor allem die lokale Alternative-Szene ist sehr empfindlich, wenn Kritik geübt wird. Schließlich handelt es sich bei dieser Szene um die selbsternannte Alternative zu der verhassten und hochsubventionierten Hochkultur. Die Selbstbeschreibung bleibt dabei zwar auf der Ebene der Behauptung anders zu sein stehen, das macht aber nichts. Für eine Szenenbildung reicht´s allemal.
Die Antwort auf die Frage nach einer ästhetischen Ausrichtung bleibt diese Szene zwar schuldig, dafür gefällt sie sich aber in ihrem vermeintlichen Anders-Sein, das sich in der eigenen Selbstbezüglichkeit begründet. Wir sind anders, weil wir anders sind. Wir wollen Teil einer Bewegung sein und schließen alle mit ein, die mit unserer Bewegung einverstanden sind. Kritiker müssen ja nicht schätzen, was die Alternative-Szene in Innsbruck so alles leistet und können sich gerne und bitteschön mit dieser langweiligen Hochkultur beschäftigen.
Über die Notwendigkeit der Erweiterung des eigenen musikalischen Vokabulars…
Ob diese Haltung glücklich macht, weiß ich nicht. Vielleicht macht sie selbstzufrieden, weil man weiß, dass man auf der richtigen Seite steht und die richtigen Leute kennt. Sozusagen ein richtiges Leben im falschen führt. Ich plädiere hier aber für einen ganz anderen Zugang zur Musik und zur Musikrezeption. Ich behaupte, dass es auf Dauer glücklicher macht, wenn man sich nicht um die Mechanismen von Szenen kümmert und sich um die soziale Komponente bei der Musik erst einmal keine Gedanken macht.
Denn der Besuch von Konzerten hat für mich vor allem einen Zweck: Es geht um die Erweiterung des eigenen musikalischen Vokabulars. Darum, möglichst viele verschieden Stile, ästhetische Konzepte und Musikrichtungen in ihrer Funktion und Wirkung zu verstehen. Darum, den eigenen Hang zur Einigelung in einer bestimmten Szene, der ja sehr bequem ist, bewusst abzustreifen und sich überall und nirgends in musikalischer Hinsicht zuhause zu fühlen. Damit wird man zwar nicht Teil einer Szene, bewahrt aber seine eigene intellektuelle und ästhetische Flexibilität.
Das kann dann auch dazu führen, dass man am Dienstag bei Norbert Zehm im ORF-Landesstudio landet und sich am nächsten Tag „neue Blasmusik“ von Federspiel im Treibhaus Innsbruck gibt, um sich am Samstag in Bruneck Stefan Straubinger auf seiner Drehleier anzusehen nur um dann bei dem Konzert von Anja Lecher in München Ende Oktober anwesend zu sein. Außerdem kann „Alte Musik“ bei den Festwochen der Alten Musik reizvoller, aktueller und radikaler sein als so manch hochgepushter angesagter Act aus London, der doch letztlich nicht viel mehr als heiße Luft ist. Nicht die Szene zählt, sondern die Qualität der Musik, die in der Lage sein muss, meinen eigenen musikalischen Horizont und das Vokabular der Harmonien, Akkorde und spielerischen und inszenatorischen Möglichkeiten zu erweitern. In dieser Hinsicht kann der Besuch der „Innsbrucker Promenadenkonzerte“ manchmal in dieser Hinsicht bereichernder sein als der Besuch eines lauten Drone-Konzertes.
Ich hatte einmal ein Schlüsselerlebnis, als ich in einem selbsternannten Freiraum der Alternative-Szene in Innsbruck stand und ein recht mittelmäßiges Konzert miterleben musste. Ich stellte mir die Frage, ob das tatsächlich ein Freiraum oder nicht viel mehr ein Gefängnis sei. An diesem Abend beantwortete ich die Frage mit Gefängnis. Weil solche Räume Ausschlüsse produzieren und zwar zum Teil Dinge ermöglichen, fast mehr noch aber verunmöglichen.
Kann man eine Blockflöstistin auf eine solche Bühne stellen? Wohl eher nicht, weil das dann der geschmähten Hochkultur zugerecht werden würde. Die musikalische Qualität würde erst gar nicht in den Blick geraten, weil eine Flöte eben keine Gitarre und kein Laptop ist. Ich wünsche mir einen Raum ohne Ausschlüsse. Einen Raum, in dem alles möglich ist. Ein Raum, in dem niemand Teil einer wie auch immer gearteten Szene oder Bewegung sein möchte. Einfach eine Ort, an dem Musik gehört wird. Aufrichtig, intensiv, ohne musikalische Beschränkungen. Diesen Raum gibt es (noch) nicht. Aber träumen wird ja wohl noch erlaubt sein.
Warum Konzerte? Oder: Weg mit dem Szenedenken!
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Elfenbeinturmbewohner, Musiknerd, Formfetischist, Diskursliebhaber. Vermutet die Schönheit des Schreibens und Denkens im Niemandsland zwischen asketischer Formstrenge und schöngeistiger Freiheitsliebe. Hat das ALPENFEUILLETON in seiner dritten Phase mitgestaltet und die Letztverantwortung für das Kulturressort getragen.