Stell dir vor es sind Volksschauspiele und keiner geht hin

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Wenn man von den Salzburger oder Bregenzer Festspielen hört und sich dann umschaut was denn in Tirol so im Sommer gespielt wird, könnte man glauben die Tiroler Volksschauspiele in Telfs wären das passende Pendant dazu. Aber nicht nur, dass Heinz Fischer mit seiner Margit nicht kommt, um sie zu eröffnen – nein, am vergangenen Sonntag war kaum jemand da um „Fliegende Hitzen“ zu sehen – und das völlig zu Unrecht!

Der Schock zum Anfang

Bei der letzten AFEU-Redaktionssitzung wurde ich auserwählt nach Telfs zu den Tiroler Volksschauspielen, kurz VSSP, zu fahren (mir ging durch den Kopf, dass TVSS nach SS-TV klingt – ein bisschen an alte Zeiten erinnert und man deshalb wahrscheinlich onlinewirksam ein tolles Kürzel fand, um up to date auf myspace zu sein). Ich fragte in die Runde wer denn überhaupt schon einmal bei den Volksschauspielen war. Als Antwort kam: „Ach. Extra nach Telfs fahren, ist halt schon weit“. In diesem Moment wollte ich noch nicht glauben, dass dieses Statement repräsentativ für viele ist und schon gar nicht, dass ich am Sonntag quasi alleine, neben der ÖVP Prominenz Franz Fischler, in den Genuss von „Fliegende Hitzen“ kommen würde.
Etwas außer Atem erreichte ich um 19:50 Uhr den ehrenwerten Eduard Wallnöfer Platz in Telfs. (Kein SS-Platz, aber die Wichtigkeit starke Tiroler Männer im Stadtbild zu verewigen, ist hier anscheinend vorhanden). Ich dachte mir schon, ich hätte mich umsonst gestresst und die Vorstellung im Rathaussaal würde erst um 20:15 Uhr beginnen und eben nicht um 20:00 Uhr. Aber ich lag falsch – es war einfach niemand da.
Die oft genannten Argumente für wenig Publikum in Schauspielkreisen lauten: „heute läuft Fußball im TV“ oder „bei dem Wetter grillen die Leute lieber, als dass sie ins Theater gehen“. Beide Ausreden waren heute irrelevant. Weder spielte unsere Weltranglisten-Platz-15-Nationalmannschaft, noch luden die kühlen Temperaturen ein, eine Grillage am Inn abzuhalten.
Ich muss gestehen, dass ich mir in diesem Moment zum ersten Mal dachte „wenn bei den VSSP so gar nichts los ist, muss des echt a Schaß sein“. Aber da ich bereits teure Presse-Freikarten erhalten hatte, eine Erziehung genoss die mir sagte „urteile nicht vorschnell, sondern mach dir dein eigenes Bild“ und einen AFEU-Auftrag hatte, setzte ich mich und ließ mich überraschen.

Der Vorhang öffnet sich – Chapeau, Chapeau!

Und KAWUMMM!! – Satanas sprang aus dem Boden und scherzte direkt drauf los: „Überschaubares Publikum – guten Abend!“ Geschminkt war der gute Herr wie Heath Ledgers Joker in Batman. So wollte man wahrscheinlich zeigen, wie modern Theater sein kann – dass ein Film aus 2008 nicht mehr ganz so modern ist in unserer schnelllebigen Zeit, muss das Theater vielleicht erst lernen. Da hätte man sich lieber etwas Kreativeres bei seinem Kostüm einfallen lassen. Der hautenge Bodysuit offenbarte die Umrisse des verführerischen Darunter – der schlanke Schauspieler wirkte dadurch noch etwas schmächtiger – Oscar gibt’s dafür keinen, aber das ist auch nicht so schlimm. Daniel Klausner spielt hier ohnehin den Publikumsliebling und das auch noch richtig gut – Chapeau! So spontan und interagierend mit dem Publikum zu kommunizieren ist eine Kunst, die den professionellsten Schauspielroutines oft misslingt.

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„Fliegende Hitzen“ (c) Tiroler Volksschauspiele / Bernd Schranz

Satanas und Antonius wetten also um die Seele des Guido Zingerle – ein als „Ungeheuer von Tirol“ titulierter und jedermann bekannter Sexualmörder, der seine Taten vor allem in den 1950er Jahren verübte (noch nie von ihm gehört – vielleicht mal Oma fragen!). Und so sehen wir also in teilweise auch etwas verwirrenden Zeitsprüngen – vor und zurück und dann zweimal vor und dann wieder ganz weit zurück – die Lebensgeschichte dieses Guido, begleitet von Satanas und Antonius – von Gut und Böse. Musikalisch wird das alles sehr stimmungsprägend und live mit Klavier – gekonnt untermalt. Videos finden ihren Platz für so manchen Zeitsprung und lassen einmal sogar eine bereits tote, ermordete Engländerin, einen gefühlt 10 minütigen Monolog auf Englisch halten: jetzt können Franz Fischler und ich wahrscheinlich schon Englisch, die restlichen fünf Personen im Alter meiner Eltern und darüber hinaus, vermutlich weniger – immerhin sein ma da in Tiroul und da redet ma Tiroulerisch!
Spaß bei Seite – ich fand diesen Monolog für das VSSP Zielpublikum etwas unpassend (ohne Untertitel). Die Rolle der Frau zu dieser Zeit wurde gezeigt. In diesem Fall sogar ganz konkret: drei Schauspielerinnen spielten circa acht Rollen. Multitasking extrem – inklusive mehrmaligen Vergewaltigungen und mehrmaligem Sterben. Der Humor war eher sehr „zeitgemäß hip“ angelegt, was mir gefiel. Wenn man aber als einziger unter 30 lauthals auflacht, fühlen sich eventuell Franz Fischler und andere Vertreter der Upper-Class vielleicht nicht ganz so wohl: „Frau G. – Haha G-Punkt!“ Obwohl ich ja nicht weiß, ob man als gläubiger ÖVPler an die Existenz des G-Punktes glaubt.
"Fliegende Hitzen" (c) Tiroler Volksschauspiele / Bernd Schranz
„Fliegende Hitzen“ (c) Tiroler Volksschauspiele / Bernd Schranz

Bei der entscheidenden Gerichtsverhandlung wird die Frage nach der Schuld in den Fokus gerückt und was denn nun eine gerechte Strafe bedeutet. Ein Mann der auf Schläge steht und die einzige Zuneigung im Leben von einer Kuh bekam (Liebhaber von 50 Shades of Grey bzw. 50 Shades of Animallove kommen also nicht zu kurz) – wer ist da Schuld an seinen Taten? Mir kam vor, es wurde der Eindruck vermittelt, dass den Täter kaum Schuld trifft und er sich selbst rechtfertigte, dass er so ist, weil ihn die anderen so gemacht haben. Wenn ich diese Erkenntnis aber habe, kann ich auch was dagegen tun. Sonst muss man dem Individuum jede Entscheidungsfähigkeit absprechen und wer will das schon? Also brav sein und keine Menschen vergewaltigen – sonst holt euch der Zingerle!
Das Bühnenbild ist eindrucksvoll und lässt wirklich keine Wünsche offen – ich fragte mich nur, wie das denn funktioniert wenn während der Saison andere Stücke im Saal aufgeführt werden – das sieht nicht aus wie ein IKEA-Einbau-Bühnenbild, das man einfach so kurzum auseinander – und dann wieder zusammen schrauben kann. Ich habe aber auch nicht nachgefragt und deshalb bleibt diese Frage hier einfach unbeantwortet.

Warum kommt also keine Sau nach Telfs? Anreise? Preise? Unbekanntes Stück?

Es ist wahrscheinlich eine Mischung aus allem, nehme ich einmal an. Ich habe mir in den letzten Jahren jeweils die zwei großen Stücke im Rathaussaal angesehen – 2013: Mitterer, 2014: Musical – und sie kamen in Scharen. „An Mitterer muss ma anschauen“ und Musical läuft irgendwie immer gut, egal was für einen Dreck man spielt und singt. Und ganz ehrlich: das nervt!
Hier wird echt mutiges, kreatives Theater geboten, wie man es in der Gegend sehr selten sieht. Nicht alles ist perfekt, aber das Gesamtniveau ist auf einem Level, wie ich es in Tirol selten sehe. Schauspielerisch ist das absolut gut, die Bühne ist geil und Junge und Junggebliebene können herzhaft lachen! Da der Tiroler sich ja oft nur Sachen anschaut, von denen er über 50 Ecken erfahren hat, dass sie gut sind – hier der direkte Rat: „AFEU went VSSP – und es war gut! Also fahrt‘s nach Telfs, verdammte Scheiße!“
Und an die VVSP-Crew: Ich weiß Kunst sollte sich nicht unter ihrem Wert verkaufen, aber die Preise von 19-41€ + Anreise sind für junge Menschen echt nicht ganz einfach. Bevor das Haus so leer ist wie gestern, tuts den Studenten und Bedürftigen einen gefallen und verschenkt 50 Karten auf „Innsbruck verschenkt“ – weil Kunst die keiner sieht, erreicht auch niemanden! Und das wäre – in diesem Fall – äußerst schade. (Die Franz Fischlers dieser Welt zahlen schon ihre 41€!)

Den weiteren Spielplan findet man hier.
Titelbild: Tiroler Volksschauspiele / Bernd Schranz
Theater-Redakteur Lukas Schumacher besucht regelmäßig Vorstellungen - so auch weitere Stücke der Volksschauspiele Telfs. Seine Eindrücke und Kritiken gibt es dann, in den kommenden Wochen, wieder hier am ALPENFEUILLETON.

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