Am vergangenen Dienstag brachte mich das ÖBB-Sommerticket ein zweites Mal in das für Innsbrucker ach so entfernt gelegene Telfs. Der Bahnhof dort, ist leider am A**** von Telfs, irgendwo im Nirgendwo. Das war besonders prekär, weil Weltuntergangsstimmung herrschte und der Wettergott vermutlich gerade die Sintflut auf Tirol plante. (Mit Klimawandel hat das sicher nichts zu tun – das ist alles nur Aberglaube!) Zum Glück kam meine Begleitung mit dem Automobil und brachte uns relativ trocken ins Zentrum. Weil die VSSP heute zwei Vorstellungen parallel aufführten, war es unmöglich einen Parkplatz zu finden. Die nahegelegene Tiefgarage war voll und ganz nebenbei strömte Wasser in Massen ein. Um nicht zu spät zu kommen, parkten wir also illegal auf einem Privatparkplatz.
So erreichten wir nur wenige Minuten vor 20 Uhr den „Kranewitter Stadl“ – neben dem Rathaussaal die zweite Spielstätten der VSSP. Nachdem vergangene Woche bei „Fliegende Hitzen“ nichts los war, war ich durchaus erstaunt, dass der Stadl nahezu voll war. Auch die Durchmischung des Publikums überraschte mich: gefühlte 40% der Besucher waren unter 30. Promis waren diesmal keine da, sondern ganz viel „Volk“ und ein paar wenige Schauspieler und Regisseure aus der Tiroler-Theater Szene. So stelle ich mir Volksschauspiele vor: Theater für Alle.
Meine Begleitung fragte mich zu Beginn, wo denn nun die Bühne sei, da bis auf ein bisschen Gebälk hoch oben im Stadl nicht wirklich was von einer Bühne zu sehen war. Es gab einen Gang im Zentrum. Am Ende dieses Ganges, waren diverse Instrumente aufgestellt.
Der Hund tritt (nicht?) auf
Und so kamen um kurz nach 20 Uhr die fünf Akteure über den Publikumseingang herein und platzierten sich. Name des Stückes heute: „Der Hund, der Hund“. Die grundlegende Geschichte ist schnell erzählt: Wir begleiten für eine Stunde eine alte Dame, welche täglich mehrmals eine Runde mit ihrem Hund um den Block spaziert. Dabei trifft sie diverse Persönlichkeiten, aber auch Erinnerungen aus der Vergangenheit. Jenen, die ihr vorwerfen, sie habe ein langweiliges, sich täglich wiederholendes Leben, kontert sie: „Es ist immer der gleiche Weg, aber niemals derselbe! Das ist so wie mit der Zeitung: Ich bekomme jeden Tag die gleiche, es steht aber immer was Neues drin.“
Uns werden also diverse Alltagsgeschichten – von Ehestreitigkeiten, bis Selbstmord in der Nachbarschaft, auf eine Art näher gebracht, wie sie eigentlich jeder schon mal im Dorf oder in der Vorstadt erlebt hat. Die Rollen diverser Mitbürger und Menschen aus ihrer Vergangenheit, werden von den drei anderen Schauspielern dargestellt, während der junge Herr Jakob Köhle, mit diversen Instrumenten den Beat für rhythmischen Sprechgesang vorgibt und passende Atmosphäre kreiert.
Hund gibt es übrigens, trotz Interaktion mit ihm, konkret keinen. Und während manche Geschichten und Gestalten direkt mit der alten Dame auf einer Ebene spielen (auf dem Gang des Stadls), spielen sich viele Dinge über der Dame im Gebälk ab (quasi Erinnerungen – Erinnerungen direkt über ihr). Ich sah das Spiel im Gebälk immer gut, glaube aber einen relativ privilegierten Platz im Stadel zugewiesen bekommen zu haben. Aus anderen Publikumspositionen hat man vielleicht nicht immer alles erhaschen können. Gleichzeitig war das aber auch nicht essentiell wichtig. Das Stück ist sehr textfokussiert und lebt von berührend erzählten Geschichten und nicht von großer Performance.
Mal auf Kaffee zu Oma und Opa?
Eigentlich möchte ich hier gar nicht zu viel vorwegnehmen. Der Abend hat mir in Erinnerung gerufen, dass es lohnenswert ist, sich nochmal mit Eltern oder Großeltern an einen Tisch zu setzen und deren Lebensgeschichte anzuhören. Auch weil wir die letzten Privilegierten sind, die ‚first hand‘ Geschichten „aus dem Krieg“ und ähnliches erfahren können. Und vielleicht bekommt man ja auch einen Einblick in Dating-Rituale vor Tinder&Co – sind wir uns mal ehrlich: Wer glaubt denn wirklich, dass unsere Vorfahren so jungfräulich in die einzige Ehe und Liebe ihres Lebens gestartet sind?! Ich bin der Überzeugung, dass es ja damals auch schon Sexting gab! – wahrscheinlich zwar nur alle paar Monate einen Brief mit vulgärem Inhalt, aber immerhin.
Ansonsten hatte gerade diese Generation altersbedingt schon oft Kontakt mit dem Tod – geredet wird darüber aber meist nicht – und bevor diese Menschen nur noch einen Hund haben (der vielleicht gar nicht da ist), dem sie all ihr Erlebtes erzählen, sollte man vielleicht mal auf Kaffee und Kuchen bei Oma und Opa vorbeischauen. Jedes Leben birgt genug Stoff, um es auf die Bühne zu bringen, man muss nur etwas genauer hinschauen und -hören!
Titelbild: Tiroler Volksschauspiele / Günther Egger Weitere Informationen zum Stück findet man hier.