IKEA erobert Museum

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Es bietet sich zurzeit ein ungewöhnliches Bild im Museum für moderne und zeitgenössische Kunst in Bozen, denn beim Betreten des 4. Stockes der Ausstellungsfläche, kommt die Atmosphäre eines Möbelhauses auf. Verschiedene Regalsysteme wurden im Raum aufgestellt, Möbelkataloge liegen auf einem Tisch zum Durchblättern ausgebreitet.
Schuld daran ist Martino Gamper, geborener Südtiroler und vielgeehrter Designer der Londoner Szene. Er ist es, der die aktuelle Ausstellung in Bozen kuratiert und somit nach einigen Jahren der Abwesenheit (2011 gestaltete er die Passage des Museions mit einer innovativen Serie an Möbelstücken und einem dazu passenden Innenraum-Konzept, das das Erdgeschoss zu einer öffentlich zugänglichen Passage umwandelte) wieder ins Museion zurückkehrt. Mit neuen Ideen, so wie immer!

Maki Suzuki & Martino Gamper, Toghether Library, 2007, Museion. Foto Luca Meneghel.
Maki Suzuki & Martino Gamper, Toghether Library, 2007, Museion. Foto Luca Meneghel.

Das ist durchaus hip!

Überraschend ist nun, dass nicht nur eigene Entwürfe, des als Meraner Tischlerlehrling in die weite Welt Geflüchteten, in der Ausstellung „Design is a state of mind“ gezeigt werden, sondern auch andere Ikonen der Designgeschichte und außerdem eine Vielzahl an mitunter seltsamen Objekten, die in diese Regalsystemen eingeordnet sind. Unter der Prämisse Design als Einstellung/als „state of mind,“ propagiert Martino Gamper einen Designansatz, der in der heutigen Zeit als durchaus hip angesehen werden kann. Eigentlich geht er zurück auf das sehr Handwerkliche, das mit einem Schuss Spontanität gewürzt wird, um das Design vom hohen Ross der High-End Möbelstücke herunterzuholen und dem Besucher klar macht, dass uns Design überall in unserem Alltag begegnet.
Um dies zu veranschaulichen, zeigt er keine klassische Designausstellung, die Regal an Regal oder Stuhl an Stuhl reiht, sondern die jeweiligen Regalsysteme werden funktionalisiert und mit teilweise kuriosen Alltagsgegenständen (Kochlöffel, Ziegelsteine oder Handschuhtrockner) gefüllt. Jedes Regal präsentiert somit sich selbst und dazu eine Sammlung von Gebrauchsobjekten eines Freundes oder Kollegen von Martino Gamper. Damit gelingt dem Kurator auch der Brückenschlag zur Institution Museum: neben dem Designthema, das anhand unterschiedlicher Möbelentwürfe großer Namen (u.a. Vico Magistretti, Franco Albini, Ettore Sottsass, Dieter Rahms) diskutiert wird, behandelt er auch das weitläufige Thema der Sammlung. Durch die Verschränkung der beiden Thematiken wandelt Martino Gamper an der Grenze zwischen Design und Bildender Kunst.

Ein Südtiroler erobert die Design(er)welt

Diese Gratwanderung wird bereits an seinen älteren Projekten ersichtlich, etwa als er 2007 mit „100 chairs in 100 days“ gefundene Materialen in den Straßen Londons zu Stühlen umbaut und damit jeden Tag einen neuen Stuhl entwirft. Entgegen dem gängigen Usus, jeder große Designer zeichnet sich durch einen großen Stuhlentwurf aus, baut der junge Südtiroler gleich hundert Sitzgelegenheiten in hundert Tagen. Hier tritt ein Motto Gampers zum Vorschein, dem er auch mit dieser Ausstellung seinen Tribut zollt: Design sollte aus dem Bauch kommen! Spontanität und Zufall spielt in seiner Arbeitspraxis eine große Rolle.
Sehr zufällig scheinen, die an einer Seite der Ausstellung hingelegten Möbelkataloge unterschiedlichster Designfirmen, die jeder Besucher durchblättern kann und damit wieder in den status quo der Designszene zurückgeholt wird. Abschließend bringt noch ein Film von Jacques Tati zum Schmunzeln, der 1958 bereits die Vorstellung vom hohen Anspruch des Designs persiflierte, als er in „Mon Oncle“ unterschiedliche Menschen am zu modernen Design scheitern lässt.

Deshalb funktioniert die Ausstellung

Ein Scheitern oder Verzweifeln an zu hohen Vorstellungen von Design ist bei der Durchsicht der Ausstellung „Design is a state of mind“ unangebracht, jeder wird einen sehr persönlichen und simplen Umgang mit dem Design kennenlernen und dabei schöne Entwürfe und alltägliche Gegenstände schätzen lernen. Und das gelingt Martino Gamper auf sehr überzeugende Weise! Design umgibt uns schließlich überall, wohl jeder hat ein Stück Design zuhause, das beweist das IKEA Regal „Ivar“, das sich ebenfalls in die Ausstellung einreiht. So reduziert und einfach es auch ist, das kennt (und schätzt) schließlich jeder!

Die Ausstellung „Design is a state of mind“ wurde bereits in London (Serpentine Galleries) und in Turin (Pinacoteca Giovanni e Marella Agnelli) gezeigt und ist noch bis 13.September 201 im Museion, Bozen zu sehen.

Mats Theselius & Franco Albini (CASSINA S.P.A.), 838 Veliero 1940/2014, Museion 2015. Foto: luca meneghel photography
Mats Theselius & Franco Albini (CASSINA S.P.A.), 838 Veliero 1940/2014, Museion 2015. Foto: luca meneghel photography

Maki Suzuki & Martino Gamper, Toghether Library, 2007, Museion. Foto Luca Meneghel.
Maki Suzuki & Martino Gamper, Toghether Library, 2007, Museion. Foto Luca Meneghel.

Paul Neale & IKEA, Ivar, 1976-2014. Foto: Museion
Paul Neale & IKEA, Ivar, 1976-2014. Foto: Museion

 

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