Wieso ich mich immer am Goldenen Dachl aufhänge? Weil ich mich tagtäglich frage, wie man ein neues Identifikationsmotiv für Innsbrucker schaffen könnte, abseits von einem Balkon, der größer und schöner ist als der meiner teuren Mietwohnung. Und zentraler. Aber trotzdem spreche ich auch vom meinem Balkon aus zu meinem Volk, meinen Lesern und das im Heute. Denn wir sind inzwischen in der Gegenwart angekommen. Wir kommen jetzt vom Gold zum Gelb. Vom Edelmetall zu Plastik.
Seeing aside – Klappe, die Zweite
Die nächste Station der Asideseeingtour richtet sich vor allem an die Studenten (diesmal nicht nur die rein betrunkenen) und ihre Unwissenheit. Die ewige Frage nach der vermeintlichen Baustelle („Wos sollnen de schiachen Kiebl do?“) an der GEIWi hat mich dazu inspiriert, den roten Touristenbus in meinem Kopf am neu gestalteten Uniareal an der Blasius-Hueber Str. zu parken.
Dieser Teil der Geiwi – man wisse – wurde vor einigen Jahren radikal umgestaltet. Ich selbst erinnere mich an den Ort als schattigen Fahrradabstellplatz und breiten Betontreppen anno 1960, die so manches Hippieherz höherschlagen lassen. Damals säumten majestätische Bäume die Straße an der Universität, die übersät mit Flyern und umzäunt von urigen Radständern und Innsbruck-liken Drahteseln und Tom Turboverschnitten waren. Ganz der Geiwialltag halt.
Heute präsentiert sich das Areal als schick designte Betonwüste unterbrochen durch Lichthöfe und jeder der den Platz überquert, genießt, dass er gerade über Köpfe der Studiosi hinweg schreitet, die zwischen Facebook und Tinder hin- und her zappen.
Wodurch der Besucher allerdings aufgehalten wird, ist ein kleines Meer an gelben Kübeln, aus denen so manche Pflänzchen gedeihen. Wer jedoch meint, die 771 Bauutensilien wären bei der Umgestaltung des Platzes vergessen worden, der irrt. Und das gewaltig – denn: die Kübel sind Übrigbleibsel einer Kunstinstallation, die eine Tiroler Ikone 2013 initiierte.
„Garten – eine poetische Feldarbeit“
Erfunden hat´s kein Geringerer als Lois Weinberger, gebürtiger Stamser, der jedem ein bisschen interessierten Tiroler ein Begriff sein sollte, denn er ist einer der großen Hippies der Tiroler Kunstgeschichte. Wer außerdem meint, ok, das ist jetzt wieder so ein junger, veganer Biofleischfresser, der irrt erneut. Der Wildfang ist 68 Jahre alt und er ist inzwischen außerdem an Einzigartigkeit im internationalen Kontext kaum mit anderen zu messen.
Fast sein ganzes künstlerisches Leben widmete er der Natur und seiner Geheimnisse. Man kann sich ihn allerdings nicht als stillen Ornithologen vorstellen, sondern vielmehr als zerstörerischen Radikalen. Er reißt schon mal zur fünften Salzburger Jahreszeit, der Festspielzeit, den Asphalt am zentralen Platz auf und überlässt den freigeschaufelten Platz der Natur und der Spontanvegetation. (Hallo? Das große Theater findet draußen statt!) Er agiert auch politisch, wenn er auf der documenta in Kassel 1997 ein stillgelegtes Zuggleis mit Pflanzen aus fernen Ländern gepflanzt, das deutsche Gleis mit „fremden Kulturen“ bereichert. Eine Arbeit, die heute wieder aktueller denn je ist; auch Natur kennt bekanntlich keine vom Menschen gesetzte Grenze.
Natur : 1, Zivilisation: 0
Wer Weinbergers Kunst nicht verstehen mag, gehe mit mir nochmals kurz zurück zu den gelben Kübeln. Und beschreibe was er sehe: Unkraut! In diesem unscheinbaren Plastiktopf ist, was nicht darf. Lebt, was nicht leben darf: Vegetation. Denn Lois Weinberger lässt die Natur gewinnen. Er lässt sie zu. Und das genau dort, wo wir sie heute nicht mehr erwarten (dürfen). In den heiligen Hallen des Ferdinandeums ließ er 2013 Baumschwämme an den Ecken des Ausstellungsraums sprießen und kontaminiert den (oftmals in Museen allzu sterilen) weißen Raum mit nichts Geringerem als Natur. Genauso stellt er sie uns vor die Augen, in gelben Kübeln. Das Geheimnis ist: die „Kunst“ passiert ohne Zivilisation. Also Beuys, nicht jeder Mensch ist Künstler, sondern die Umwelt ist Künstler! Es blüht, was blühen muss; es gedeiht, was wieder gedeihen darf.
Fazit
Das Problem: Wir Hipster sind inzwischen soweit, dass man sie uns vorsetzen muss, diese „Natur“ inmitten der Stadt. Könnten wir dafür nicht einfach in den Wald gehen? Ja, wir sollten wohl. (Wir sollten vor allem mehr von Lois Weinberger lesen und sehen.) Und doch ist die Herausforderung, das Ungeahnte dort anzutreffen, wo es nicht mehr üblich ist und nicht mehr existieren darf. Sprich auf die Betonwüste der Uni passt die ganze Geschichte recht gut hin. (Auch Sowis sind vor Weinberger´schen Kunst nicht gewappnet. Ihm gehört auch die Idee zum bekannt- Käfig an der Sowi. Auch dort wuchert´s bereits seit einigen Jahren poetisch vor sich hin.)
Kunst ist auch das: Also einfach mal Gras drüber wachsen lassen. Nix tun. Mal sehen, ob aus den kleinen Storfen an der Geiwi wieder große Bäume werden.
Die Impressionen
Bilder: Barbara Unterthurner
Ich liebe dieses Asideseeing. Man lernt immer wieder was dazu und kriegt auch noch einen neuen Blick auf Innsbruck.
Nur bei dem Käfig an der Sowi hab ich mich halb totgeärgert, als sie die Vegetation im Käfig, gerade, als sie dabei war, den Käfig in den Hintergrund zu wuchern, massiv zurückgeschnitten haben.
Es wäre zu wünschen, dass sie, wer immer sie sind, wenigstens im 2. Anlauf einfach mal zuwarten, wozu sich das alles auswächst. Mit der Tiefgarage darunter kann es eh kein Mammutbaum werden.