Das Hohenemser Kulturfest Emsiana (dieses Jahr vom 19. bis zum 22. Mai) ist zuallererst ein Vernetzungsprojekt – Künstler, Unternehmer und Wissenschaftler aus allen möglichen Kontexten arbeiten gemeinsam an Identität und Erscheinung ihrer Stadt. Trotzdem wäre das Gros der Veranstaltungen kaum umsetzbar, wenn es in Hohenems nicht das Jüdische Museum gäbe, das derzeit seinen 25-jährigen Bestand feiert. Diese kleine, aber sehr feine Einrichtung, die in einer äußerst pittoresken Villa aus dem 19. Jahrhundert untergebracht ist, prägt das kulturelle Leben der Stadt auf vielfältige Weise.
Die Geschichte
Es ist heute erstmal ein wenig unbegreiflich, dass in dieser doch eher verschlafenen Kleinstadt einst so viel passiert sein soll – und man darf auch annehmen, dass sie ohne den Bruch von 1938 heute nicht ganz so verschlafen wäre. Das ganze 19. Jahrhundert hindurch waren es nämlich vor allem die jüdischen Händlerfamilien, die ein wenig internationalen Flair ins Ländle brachten. Die Firma Rosenthal & Brüder, Vorreiter in der österreichischen Stoffproduktion, war um die Jahrhundertwende auch ein wirkliches Großunternehmen mit rund 1000 Angestellten, und das mitten in Hohenems. Unter den gebildeten und weltoffenen Großbürgern der Gemeinde waren übrigens auch Stefan Zweigs Großeltern, wie man in einer „Literarischen Viertelführung“ erfahren kann.
Auch eine dramatische Episode aus einer der schönsten und traurigsten Liebesgeschichten in der Zeit des Holocaust hat sich in Hohenems zugetragen – nachzulesen in Alfons Dürs sehr empfehlenswertem Buch „Unerhörter Mut“. Dieser Zeit ist, wie sollte es anders sein, ein ganzes Stockwerk im Jüdischen Museum gewidmet.
Allerdings kann Hohenems auch auf einige Jahre und Jahrzehnte sehr friedlicher Koexistenz zurückblicken, in der sich die Bevölkerung nicht zuletzt durch ihren hingebungsvollen Alpinismus geeint fühlte.
Das Museum
Davon erzählt vor allem eine aufwändig gestaltete Dauerausstellung, die das Leben der jüdischen Bevölkerung von Hohenems in den letzten beiden Jahrhunderten dokumentiert, in all seiner Banalität und in all seiner Dramatik. Der Fokus liegt dabei stets auf dem Alltagsleben und seiner speziellen Ästhetik – immer mit Blick darauf, was die „große“ Geschichte jeweils daraus macht.
Die aktuelle Sonderausstellung „Übrig“ entfaltet anhand einer ganzen Reihe von Fundstücken und Kuriositäten zahlreiche Biografien aus der Hohenemser jüdischen Gemeinde. Auf der Metaebene wird die Frage gestellt, welche Objekte überhaupt ins Museum gehören und welche Rolle sie dort haben – mit dem schlichten Ergebnis: Kein Gegenstand ist zu alt, zu verrostet oder zu banal um damit authentische und auch spannende Mikrogeschichte machen zu können.
Museumsdirektor Hanno Loewy ist Filmwissenschaftler; das erklärt vielleicht auch, warum im Jüdischen Museum eine etwas andere – sehr „greifbare“ und eher szenische als lineare – Art des Geschichtenerzählens gepflegt wird.
Diese durchwegs sympathische Erinnerungskultur beschränkt sich aber nicht auf das Museum allein. Die ehemalige, 1940 aufgelöste Synagoge wird heute unter dem Namen „Salomon-Sulzer-Saal“ (benannt nach einem berühmt gewordenen Kantor des 19. Jahrhunderts) als kulturelles Begegnungszentrum genutzt. Letztlich ist das gesamte Stadtzentrum (zumindest aber das ehemalige jüdische Viertel) voll von Reminiszenzen an die jüdische Vergangenheit – aber es wird ihrer nicht nur gedacht, sie wird auch gefeiert. Und das ist man aus dem Rest von Österreich eigentlich fast gar nicht gewohnt.
In Innsbruck beschränkt sich die institutionelle Erinnerungskultur nämlich, könnte man meinen, im Wesentlichen auf ein Denkmal auf dem Klinikgelände und ein weiteres am Rande (!) des Landhausplatzes. Dabei sind die beiden Städte historisch aufs Engste miteinander verwoben – aber obwohl heute Innsbruck und nicht mehr Hohenems Sitz der israelitischen Kultusgemeinde in Westösterreich ist, gibt es von offizieller Seite wenig Ambitionen, diese Verbindung zu thematisieren oder sich ein wenig von Hohenems inspirieren zu lassen. Das ist nicht unbedingt moralisch verwerflich, aber schade – und, wo man es doch in Tirol sonst so genau mit der Vergangenheit nimmt, auch ein wenig arrogant.
Was das Jüdische Museum aber so sehenswert macht, ist dass es nicht allein eines jener Aufarbeitungsprojekte sein will, wie sie sehr gerne und sehr selbstgerecht von denen betrieben werden, die sich auf der sicheren Seite der Geschichte wissen. In der Kuratierung gibt es nämlich auch eine echte Neigung zu zeitgenössischer Kunst und Populärkultur – also kann man, je nach Sonderausstellung, genau so viel über Woody Allen wie über Theodor Herzl erfahren.
Diaspora reloaded
So gelingt es dann auch, im Rahmen der Emsiana für einen Abend ein Stückchen Tel Aviv in die Alpen zu holen: Das israelische Yamma Ensemble spielte am Freitagabend im Sulzer-Saal auf, mit einer Mischung aus jüdischen Traditionals aus verschiedenen kulturellen Traditionen der Diaspora – irgendwo zwischen dem neuzeitlichen Spanien und dem modernen Jemen anzusiedeln – und eigenen Kompositionen. Was Sängerin Talya Solan mit ihren drei Instrumentalisten (besonders beeindruckend ist Bläser Yoni Dror!) so zu bieten hat ist dann auch keine eifernde Verteidigung der eigenen Identität. Es scheint mehr darum zu gehen, eine äußerst wertvolle, jahrhundertealte ästhetische Tradition aufrecht zu erhalten – da kann man sich dann auch mal lyrisch vom Sufismus inspirieren lassen, ohne dass es einen Bruch gibt.
Und so ist es auch im 21. Jahrhundert erst einmal die Rückbesinnung auf eine zeitenweise völlig verebbte Kultur der Weltoffenheit, die das kosmopolitische Flair von Hohenems ausmacht und das es unter den österreichischen Kleinstädten hervorhebt. Denn damit eine Gesellschaft in Bewegung bleibt, brauchen, wie Organisator Markus Schadenbauer-Landa meint, „Historiker und Visionäre eine gemeinsame Plattform“. Die haben sie im Jüdischen Museum Hohenems jedenfalls gefunden.
Das Jüdische Museum Hohenems ist definitiv auch außerhalb der Emsiana einen Besuch wert. Unter www.jm-hohenems.at/ kann man sich über aktuelle Veranstaltungen und Sonderausstellungen informieren.
Alle Bilder: (c) Jüdisches Museum Hohenems