Warum dieser Ort das Paradies für Bio-Liebhaber und Genießer ist

10 Minuten Lesedauer

Entfremdung


Beschreiben wir unsere Gegenwart als eine Zeit, in der das Motiv der Entfremdung eine Hauptrolle spielt. Wir begreifen die Welt, unsere Umwelt und unsere Umgebung nicht mehr, sondern bekommen Zugänge dazu größtenteils medial vermittelt. Wir stellen Produkte nur mehr selten mit unseren eigenen Händen her. Viele Produktionsprozesse, etwa bei der Herstellung von Fleisch oder vieler anderer Lebensmittel, sind uns fremd. Wir wissen kaum etwas davon und wollen es, zu grausam wäre die Realität, auch gar nicht wissen. Was macht das mit uns? Wie entkommen wir dieser Art der Entfremdung?


Annäherung


Wer auf „Gut Sonnenhausen“ weilt wird unweigerlich mit diesen Fragen konfrontiert. Idyllisch in Glonn in der Nähe von München gelegen steht der Name Karl Ludwig Schweisfurth in enger Verbindung mit diesem. Dieser war Chef eines großen deutschen Wurstkonzerns. 1984 stieg er aus und gründete die Herrmannsdorfer Landwerkstätten, in denen gänzlich anders mit der Fleischproduktion umgegangen wurde und wird. Ab sofort stellte er sich gegen die industrielle Schlachtung und gegen Tiertransporte.
Vor allem auch der damalige Widerspruch seiner Kinder hatte ihn zum Umdenken bewegt. Auch Georg Schweisfurth war mit seinem Vater damals ganz und gar nicht einer Meinung. Auf exakt diese Person trifft man auf „Gut Sonnenhausen“. Er ist dort Geschäftsführer. Es fällt schwer diesen Ort nicht als die Verwirklichung seiner Ideen und Vorstellungen wahrzunehmen. Obwohl es nicht sein einziges „Projekt“ ist, er gründete etwa die Bio-Supermarkt-Kette „Basic“, wirkt es wie sein Vorzeigeprojekt.
So spricht er dann auch von den „Schlachfesten“ am Gut, zu denen sich auch MusikerInnen und Klang-Künstler einfinden. Die Geräusche der Messer werden etwa geloopt, generell wird mit der Geräuschkulisse, die sich beim Schlachten einstellt, auf künstlerische Weise umgegangen. Das Schlachten soll nicht in einem abstrakten, industrialisierten Raum stattfinden, weit abgeschoben und verdrängt. Der Zugang zur Tötung und Schlachtung von Tieren soll mit Würde und Nähe zu tun haben. Zweifellos der Versuch einer Annäherung und Neuformulierung eines Produktionsprozesses, mit dem sich kaum jemand direkt und handfest beschäftigt hat.
Hier in Sonnenhausen wird ganz grundsätzlich versucht Nähe (wieder-)herzustellen. Nicht nur Nähe zu ansonsten weitestgehend verdrängten Produktionsprozessen, sondern auch Nähe zur Natur, zu sich selbst und zum Essen an sich. Kein Wunder somit, dass „Gut Sonnenhausen“ ein überaus beliebtes Tagungs- und Seminarhotel ist. Gestresste Städter und Leistungsträger kommen für einen oder mehrere Tage hierher. Diskutieren, planen, erholen sich. Besonders auffällig ist hier, dass viel Platz gelassen wurde für Orte, die keine unmittelbare Funktion haben. Es ist denkbar, hier einfach herumzusitzen, nichts zu tun und nichts zu konsumieren. Wege um das Gut herum eignen sich für kleine Spaziergänge, Bänke zum kontemplativen Sitzen und Naturgenuss.


„Gut Sonnenhausen“: Kein „Wellness-Hotel“


Es wäre daher nur nahe liegend, dass „Gut Sonnenhausen“ im derzeitige „Wellness-Trend“ zu verorten. Dabei wird die Natur zum „Wellness-Ort“, das Essen ist bio und gesund, der Stress der Gäste fällt bald ab und man kann mit frisch aufgeladenen Batterien wieder in den Alltag zurückkehren.
Doch es ist nicht so einfach. Wer sich hier umsieht bemerkt schnell, dass hier Wellness in der aktuell gebräuchlichen Form keine Rolle spielt. Hier findet der Wellness-Suchende keine fernöstlichen Massage-Anwendungen oder überdimensionierte Whirlpools. Mancher mit diesen Ansprüchen mag somit enttäuscht sein. Er findet nicht mehr, sondern weniger wie im Alltag vor. Das alles aber authentisch, organisch gewachsen und ohne große Inszenierung auskommend.
Wenn Wellness mit austauschbaren Wellness-Bereichen und glatter Ästhetik in Verbindung steht, dann ist „Gut Sonnenhausen“ jedenfalls das Gegenteil davon. Es reichen ein paar Blicke um zu bemerken, dass hier nicht alles glatt poliert ist. Der Ort hat Charakter, oftmals auch eine herbe und spröde Schönheit.


Musik und Kulinarik


Folgerichtig gönnt man sich hier auch eine von Stefanie Boltz kuratierte Konzertreihe, die nicht immer nur bequem, angenehm und gefällig sein möchte. Wer einfache Musik mit esoterischem Anstrich erwartet wird überrascht sein. Im Mittelpunkt stehen nämlich Jazz und Weltmusik in allen Spielarten und Spielrichtungen.
Vor allem auch durch die Weltmusik holt Stefanie Boltz die Beschäftigung mit dem „Fremden“ und dem „Eigenen“ mit herein. Die Auseinandersetzung mit den eigenen Wurzeln ist ihr offensichtlich genauso wichtig wie der Blick von außen und der damit oft einhergehende Perspektivenwechsel. Die „Heimat“ lässt sich mit der „Fremde“ beleuchten und umgekehrt.
Sie erzählt mir, dass „Bio“ für sie nichts mit Wellness zu tun hätte. Eher sei „bio“ manchmal schmerzhaft und unbequem. Das ist insofern zutreffend als dass „Bio“ natürlich auch mit Regionalität und Saisonalität zu tun hat. Dadurch ist es denkbar, dass nicht immer alles sofort von überallher verfügbar ist. Dasjenige, das wir aber essen und konsumieren ist uns nahe und wird in bester Qualität angeboten.
Wir werden mit der Frage konfrontiert, was uns gut tut. Unser Konsum-Verhalten und unsere Essgewohnheiten sind damit nicht mehr selbstverständlich und automatisiert. Der Entfremdung durch Gewohnheiten und unreflektiertem Konsum wird der bewusste Genuss von Lebensmittel in Bio-Qualität gegenüber gestellt. Ganz ohne Schmäh und übertriebene Inszenierung. Mit einer konsequenten Selbstverständlichkeit, die aus der Notwendigkeit eines generellen Umdenkens heraus entstanden ist.
Auf „Gut Sonnenhausen“ gehen Kulinarik und Musik eine bemerkenswerte Verbindung ein. Beim kommenden „Alpenspektakel“ wird genussvoll und bewusst geschlemmt, gehört und wahrgenommen werden. Verschiedene Geschmäcker, verschiedene Arten von Musik aus heimatlichen und „fremden“ Gefilden. Künstliches, Überkandideltes und Unechtes haben hier keinen Platz.
Einen Vorgeschmack auf dieses Highlight gab es auch an dem Sonntag meines Besuches in Sonnenhausen. Stefanie Boltz persönlich betrat mit ihrem Duo-Partner Sven Faller am Kontrabass die Bühne und stellte ihr Projekt „Le Bang Bang“ in der Reithalle vor. In hervorragender Akustik spielte sich das Duo wendig und abenteuerlustig durch Fremd- und Eigenkompositionen. Voran ging diesem Auftritt das Konzert der beiden Flamenco-Virtuosen Cafe del Mundo. Zusammen wagte man sich nach dem Auftritt von „Le Bang Bang“ an ein neues Quartett. Begleitet von zwei Flamenco-Gitarren lief Stefanie Boltz, sichtlich beflügelt von dem Luxus dieser außergewöhnlichen Begleitung, zu Hochform auf. Danach gab es, zu Recht, begeisterter Applaus.


Fazit


Welcher Eindruck bleibt nach dem Aufenthalt in Sonnenhausen? Am Montag nach dem Konzert und den kulinarischen Höchstgenüssen stellte sich vor allem das Gefühl ein, nicht mehr wegzuwollen. Zumindest noch ein paar Tage mehr zu bleiben. Das liegt größtenteils daran, dass die „Inszenierung“ hier funktioniert. Ganz einfach deshalb, weil es keine Inszenierung ist.
Der Ort hier ist echt, durchdrungen von Ideen, Gedanken und klugen Konzepten, die sich, da gelebt, ganz natürlich und so anfühlen, als müsste alles genau so sein. In einer besseren Welt, in der die Entfremdung nicht mehr die Hauptrolle spielt, sondern wir wieder Nähe und Klarheit erlangt haben in Bezug darauf, was wir brauchen, was wir konsumieren und was wir wirklich genießen.


Impressionen


 

Der "Küchengarten": Regionaler geht es wirklich nicht.
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Spaziergänge und Naturgenuss gefällig? Hier kein Problem.
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Kulinarische Hochgenüsse im Wintergarten des Guts? Läuft!
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Essen und Kunst
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Le Bang Bang, Sven Faller und Stefanie Boltz, beim Konzert in der Reithalle
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Titelbild und alle Bilder: Markus Stegmayr

Elfenbeinturmbewohner, Musiknerd, Formfetischist, Diskursliebhaber. Vermutet die Schönheit des Schreibens und Denkens im Niemandsland zwischen asketischer Formstrenge und schöngeistiger Freiheitsliebe. Hat das ALPENFEUILLETON in seiner dritten Phase mitgestaltet und die Letztverantwortung für das Kulturressort getragen.

1 Comment

  1. Hallo Markus Stegmayr,
    vielen Dank für diesen schönen Text mit wirklich wunderbaren Gedanken, die ich mir gerne zueigen mache, wenn ich darf!
    Herzliche Grüße und vielleicht bis zum Alpenspektakel,
    Georg

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