„Es war sehr schön, wieder ein Anfänger zu sein”

30 Minuten Lesedauer

Text und Interview: Tina Mott


Hader sells! Sein Regiedebüt Wilde Maus wurde bereits mit grosser Spannung erwartet, doch seit der Film für den Wettbewerb der 67. Berlinale nominiert wurde, tobt eine wahre Medienschlacht. Es gibt wohl kaum ein deutschsprachiges Format in Print, Fernsehen oder Internet, das sich nicht noch schnell ein paar Quotes von ihm holen wollte. Um dieser allgemeinen Hektik und Gier nach Sensationen etwas entgegen zu setzen, traf sich unsere Redakteurin Tina Mott mit Josef Hader in einer ruhigen Vormittagsstunde in Innsbruck, um mit ihm ein ausführliches und fokussiertes Werkstattgespräch über seine Arbeit zu führen.

AFEU: Für Ihr Debüt als Regisseur verfassten Sie auch das Buch und übernahmen noch dazu die Hauptrolle. Warum tun Sie sich das an?

Josef Hader: Ich hatte das Gefühl, dass ich wieder eine neue Herausforderung angehen möchte. Am Anfang bestand diese nur darin, ein Drehbuch ganz allein zu schreiben, ohne Co-Autoren. Bisher habe ich immer mit anderen zusammengearbeitet, die mich mitrissen, oder mir auch ein bisschen Druck machten. Dadurch funktionierte das dann meistens besser als allein. Während des Schreibens stieg dann langsam der Gedanke auf, dass ich eigentlich gern selbst Regie führen würde. Ich war aber der Meinung, kaum eine Filmfirma finden zu können, die damit einverstanden wäre. Weil ich als Regisseur ganz neu war und zudem auch die Hauptrolle spielen wollte. Ich dachte, es sei ein zu großes Risiko, das niemand eingehen möchte. Dabei stehen ja ein paar Millionen Euro auf dem Spiel, die entweder in den Sand gesetzt werden oder eben gut investiert sind. Obwohl ich eigentlich ein Mensch bin, der sich immer die schlimmsten Szenarien ausmalt, hatte ich selbst die Vorstellung, es wäre zu schaffen.

Bild: (c) Wega Film
Bild: (c) Wega Film

AFEU: Mit welchen Argumenten konnten Sie dann doch eine Produktionsfirma von Ihrem Projekt überzeugen?

Hader: Zur ersten Besprechung bei der Wega Film ging ich mit dem Trotz, im Zweifelsfall zu sagen: „Die Hauptrolle kann ruhig jemand anders spielen, aber ich möchte auf jeden Fall die Regie führen. Hauptrollen habe ich eh schon genug gespielt.” Nun saß da Michael Katz, der quasi alle deutschsprachigen Filme von Haneke produziert hat, und meinte einfach: „Josef, du musst die Regie machen, klar.” Da wusste ich, dass ich genau den Richtigen vor mir sitzen hatte, weil er so voller Überzeugung und auch Vertrauen zu mir sagte: „Das wird.“

Mit dieser Produktionsfirma hatte ich noch überhaupt keine Erfahrung, doch ich sah mir immer ihre Filme an. Ich dachte: „Das ist eine sehr feine Firma, die sehr feine Filme macht.” Und dieser Eindruck hat sich dann auch bewahrheitet. Natürlich gab es während des Prozesses manchmal Schwierigkeiten oder auch kurzfristige Änderungen der Intentionen. Doch Michael Katz und die Wega Film standen wie ein Fels in der Brandung hinter mir und hielten mir den Rücken frei. Es ist jetzt so, dass ich abhängig und süchtig bin nach dieser Firma und mit keinem anderen Produzenten mehr zusammenarbeiten möchte. Da kann einem Schlimmeres passieren. Das ist wohl unter allen Süchten die Gesündeste. (lacht)

Obwohl ich eigentlich ein Mensch bin, der sich immer die schlimmsten Szenarien ausmalt, hatte ich selbst die Vorstellung, es wäre zu schaffen.

AFEU: Kann man sich auf eine so komplexe Aufgabe überhaupt vorbereiten?

Hader: Ich dachte mir: „Das Einzige, das ich investieren kann, ist Zeit.” Also habe ich mir Freiräume geschaufelt, damit ich in Ruhe schreiben konnte. Über zwei Jahre lang habe ich immer wieder neue Versionen verfasst und mich immer mehr dem angenähert, was ich erzählen wollte. Dadurch fand ich mit der Zeit auch die Balance zwischen dem Komischen und dem Nicht-so-Komischen. Wenn man viele Male neu draufschaut, bekommt man ein Gefühl, wie der Film von den Temperaturen her sein soll. Wie lustig er sein soll, wie groß die Probleme sein sollen, die nicht vom Lustigen weggewischt werden. Ich wollte einen Film machen über Menschen und alles, was sich reibt zwischen Menschen, in einer fünfzigprozentigen Mischung aus Komik und Tragik.

Bild: (c) Wega Film
Bild: (c) Wega Film

Durch meine Erfahrung als Drehbuchautor und Schauspieler wusste ich, welche Szenen für einen Regisseur anspruchsvoll sind. Es klingt jetzt komisch, aber es ist sehr leicht zu drehen, wie jemand nackt durch den Schnee rennt. Es ist aber technisch total schwierig, eine Gruppe von sechs Leuten zu filmen, die im Kreis sitzen und miteinander reden. Da müssen zum Beispiel die Achsen stimmen, damit sich der Zuschauer auskennt und kein seltsames Gefühl bekommt. Also war es für mein Drehbuch wichtig, mit überschaubaren Settings zu arbeiten. Darum habe ich mich bemüht, viele Zweier- und Dreier-Szenen so zu komponieren, dass ein möglichst lebendiger, rhythmischer Film dabei herauskommt.

Ich wollte keine Filmmusik, die jede Szene unterstützt. Ich wollte die Szenen pur haben in ihren Atmosphären; dazwischen eine vehemente klassische Musik, aber nur an ganz bestimmten Stellen.

Also habe ich versucht, das Drehbuch so zu schreiben, dass die Schauplätze eine große Abwechslung bieten. Nicht nur im Bild, sondern auch im Ton. Viele Ideen, die jetzt auch inhaltliche Ideen sind, wie der Prater, waren zuerst eigentlich formale Ideen.

Das Schreiben ist für mich so, als würde man einen dürren Baum in den Wind hängen und es fliegen langsam, ganz von selbst viele Blätter darauf und picken fest.

AFEU: Was entwickelten Sie zuerst? Die Geschichte, die Charaktere oder wuchs alles miteinander?

Hader: Das Schreiben ist für mich so, als würde man einen dürren Baum in den Wind hängen und es fliegen langsam, ganz von selbst viele Blätter darauf und picken fest. Am Anfang gibt es zwar so etwas wie ein Gerüst oder einen Bauplan, aber man weiß einfach noch gar nicht so viel. Die erste Fassung war schon recht anders als der Film jetzt, eher tragisch. Sehr tragisch. Ich würde fast sagen, ein klassischer österreichischer Arthouse-Film. Also sehr, sehr tragisch. (lacht) Da dachte ich mir: „Das macht dir jetzt auch keinen Spass.” Die Gewichtungen waren noch nicht richtig verteilt. Die Grundidee bestand immer schon darin, dass jemand arbeitslos wird und sich wehrt. Aber da wusste ich noch nicht, wie weit er gehen wird. Nach zwei, drei Fassungen, ist dann das eingetreten, was mir schon öfter passiert ist, nämlich, dass mich die Freude am Stoff verlässt. Das ist mir schon mit ein paar Drehbüchern so gegangen, die ich dann später für andere Filme verwurstet habe. In diesen Phasen gibt es so viele Dinge, die mir nicht mehr gefallen, dass ich gar nicht mehr weiterarbeiten will. Also habe ich einen Strich gezogen, mir überlegt, was ich mitnehmen möchte und daraus eine neue Geschichte gemacht. Und plötzlich war vieles leichter. Mein Problem ist immer, dass ich am Anfang zu viele Stränge und Figuren habe. Es wuchert so aus und dann muss ich wieder etwas wegzwicken. Das gilt für ganze Handlungsstränge oder auch für banale Details. Ich habe zum Beispiel gleich am Anfang hingeschrieben: „Ich will einen Asiaten, der mit einem Wok ein Auto zerhaut.”

AFEU: Das Drehbuch gewann also durch wiederholtes Überarbeiten an Tiefe?

Hader: Durch dieses ruhige Schreiben mit Zeitabständen wurde mir immer bewusster, was ich eigentlich erzählen wollte, und ich war leichter fähig, die verschiedenen Handlungsstränge miteinander zu verknüpfen. Es war so eine Art Pulloverstricken, bei dem man einen Teil wieder auftrennt, weil man sich denkt: „Ui, da ist ein ganz toller Faden, den möchte ich unbedingt drinnen haben.” Und diesen Faden muss man dann wieder vorne hineinweben. Es gibt verschiedene Arten, einen Plot zu entwickeln. Entweder man ist total impulsiv und genial, dann fetzt man eine Geschichte so hin. Das kann sehr gut sein. Es gibt Kollegen, die mit leichter Hand ein Drehbuch schreiben. Aber so konnte ich nie arbeiten. Ich habe immer viele Fassungen gebraucht. In der Zusammenarbeit mit David Schalko bemerkte ich, dass wir total unterschiedliche Schreibtypen sind. Er kann eine Szene einfach so hinschreiben und ich denke mir: „Wahnsinn.” Auf der anderen Seite war es aber auch so, dass ich ganz lange an etwas geschrieben und herumgetüftelt habe, dann ist der David gekommen und hat einfach so mal irgendwie drübergebessert. Da war ich schrecklich angefressen und dachte mir: „Um Gottes willen, ich arbeite so lang daran. Sieht er das nicht?” Es war aber eine sehr schöne Zusammenarbeit, weil wir beide gemerkt haben, was wir aneinander haben.

Ich bin halt der Typ, der lieber lange an etwas herumschreibt. Und dann muss man es auch wirklich konsequent machen. Da sollte man so lange an diesem Pullover herumstricken, bis die berechnenden Muster in der Textur verschwimmen. Diese Muster, bei denen man sich denkt: „Ah, jetzt will der Autor das von mir.” So erhält man auf eine andere Art wieder eine Unmittelbarkeit.

Man kann auch ganz komplizierte Sachverhalte sehr einfach darstellen, wenn man genug Hirnarbeit investiert. Ich habe immer das Gefühl, dass dieses Vorurteil herrscht: Nur dann, wenn es kompliziert klingt, ist es wirklich hochgeistig. Aber das Gegenteil ist der Fall. Es ist eher so: Wenn man noch zwei Tage überlegt, dann bekommt man es noch einfacher hin und es ist trotzdem feiner. Das ist wie bei einem guten Lehrer, der sich genau überlegt, wie er unterrichtet und etwas vermittelt, damit es jeder versteht. Ich wollte ja ursprünglich Lehrer werden. (lacht)

[nextpage title=“Über den Filmtitel, die Schauspieler und das Team“]

AFEU: Wann haben Sie sich für diesen Filmtitel entschieden?

Hader: Der entstand erst relativ spät, als ich durch den Prater spaziert bin und mich fragte, wo der Protagonist denn hingehen würde. Da dachte ich noch nicht daran, dass das eine Metapher für das Leben sein könnte oder dass Wilde Maus ein toller Titel wäre. Ich stellte mir in dem Moment einfach nur vor: „So eine Kamerafahrt in einer Achterbahn, die kann was.” Mir gefiel an dem Namen auch, dass er mich an Das wilde Schaf erinnerte, das ist ein französischer Film aus den Siebzigerjahren mit Romy Schneider. Der Titel hat für mich so etwas Unbefangenes. Er hat nichts Schweres, aber auch nicht dieses: „Ich bin lustig.” Er ist wie ein Fragezeichen. Ein Film für Erwachsene, der Wilde Maus heisst, da denkt man sich: „Was soll das sein?”

AFEU: Dachten Sie während des Schreibens schon an bestimmte Schauspieler?

Hader: Manche hat man schon im Kopf, andere muss man finden. Ich habe mir viel Zeit genommen, um zu überlegen, zu suchen. Habe ganz vorsichtig Kolleginnen und Kollegen eingeladen, das Drehbuch zu lesen, sich mit mir zusammenzusetzen und über den Text zu reden. Ganz zum Schluss fragt man dann, ob man mitfilmen darf, wenn der andere liest oder durch das Lesen automatisch ins Spielen kommt. Ich habe mir schon vorher überlegt, dass ich kein klassisches Casting machen möchte. Da kann ich nur testen, wie ein Schauspieler unter grossem Druck möglichst die Nerven bewahrt. Das ist aber nicht die Situation, die beim Drehen herrscht. Dann geht es darum, dass ein Schauspieler mit sehr viel Vertrauen vom Regisseur – der ihm hoffentlich eine gute Atmosphäre schenkt – ganz weit kommt. Daher habe ich versucht, das Casting so zu gestalten, dass ich merke, wie wir zusammenarbeiten und wie Ergebnisse umgesetzt werden, die wir im Gespräch miteinander gefunden haben. Auf diese Weise konnte ich mein Schauspielteam recht zügig zusammenstellen. Wir sind dann nach Bukarest geflogen, um eine junge Rumänin für die Rolle der Nicoletta zu finden. Ich war richtig verzweifelt, weil es so viele gute Schauspielerinnen gab und ich nicht wusste, wen ich nehmen sollte. Auf so ein Übermass an Talent war ich nicht vorbereitet. Ich konnte die Entscheidung auch gar nicht dort treffen. Wir haben drei Darstellerinnen nach Wien eingeladen, denn ich wollte sehen, wie sie mit Georg Friedrich zusammenarbeiten und wie die Chemie zwischen ihnen passt. Es fiel mir dann auch schrecklich schwer, den anderen abzusagen, da alle auf ihre Art ganz wunderbar waren.

Ich habe sehr viel investiert und der Film ist ganz ordentlich geworden für einen ersten. Besser kann ich es halt zur Zeit nicht.

AFEU: Wie entwickelte sich der Prozess, ein Team um Sie herum aufzubauen?

Hader: Das geschah auch alles eher entspannt, lange vor den Dreharbeiten. Ich spielte weniger Kabarett und nahm mir Zeit dafür. Den Filmstab suchte ich gemeinsam mit dem Produzenten aus. Viele Mitwirkende kannte ich schon, manche noch nicht. Bei der Kamera wollte ich mutig sein. Ich dachte mir, dass ich keinen Film machen möchte, der in seiner Optik an ein Projekt erinnert, an dem ich beteiligt gewesen war. Ich wollte nicht die Ästhetik, die Wolfgang Murnberger für die Brenner-Filme verwendete, und ich wollte nicht die Ästhetik, die in gewissen – sehr guten – österreichischen Arthouse-Filmen gezeigt wird: Dieses kühle, schöne Bild, die unbewegte Kamera. Es ging mir darum, eine eigene, zur Geschichte passende Bildsprache zu entwickeln. Im Internet bin ich dann auf Andreas Thalhammer und Xiaosu Han gestossen, die auf keiner Filmschule waren, seit vielen Jahren auf der ganzen Welt Low-Budget-Filme drehen und immer zu zweit arbeiten. Ich fand es so grossartig, dass jeder Film anders ausschaute und eine andere Ästhetik hatte. Das sprach dafür, dass sie mit den einzelnen Regisseuren etwas erarbeiteten und nicht einen Stil hatten, den sie jedem Projekt aufdrückten. Wir haben uns dann getroffen und mir war nach dem ersten Gespräch klar: „Wir machen das zusammen.”

Durch die sehr junge Kamera ergab sich ein sehr junges Licht, das hängt eng zusammen. In Hjalti Bager-Jonathansson fand ich einen grossartigen, auch sehr jungen Tonmeister. Der Ton ist mir sehr wichtig. Wahrscheinlich, weil ich fast mehr Talent für den Ton habe als für das Bild. Das Bild muss ich mir durch das Schreiben, das Vorstellen und das Auseinandersetzen mit den beiden Kameramännern erobern. Beim Ton bin ich daheim, im Tonstudio war ich vollkommen selig. Und auch beim Schnitt geht es um Rhythmus. Man arbeitet ja mit Bildern, aber wie man diese Bilder in einen Rhythmus bringt, das ist eigentlich wieder eine Art Musik.

Am Ende ergab sich ein interessantes Team aus einigen alten Hasen, so richtigen Veteranen, die uns immer gesagt haben, was alles nicht geht, und aus jungen Menschen, die dabeigesessen sind, sehr höflich zugehört haben und dann meinten: „Vielleicht geht es ja doch.” Das war eine sehr schöne und fruchtbare Mischung. Auch dadurch, weil der Produzent die Kunst, das Team zusammenzuhalten, wahnsinnig gut beherrschte. Er hat immer alle an einen Tisch geholt und man hat sich ausgesprochen. Sogar in Situationen mitten im Dreh, wenn vielleicht jemand angefressen war. Es ist ganz normal, dass das passiert, wenn so viele Menschen so eng zusammenarbeiten. Er hat ganz genau geschaut, ob im Team alles passt, dadurch schuf er grossartige Bedingungen.

Wilde Maus Titel klein © Wega Film
Bild: (c) Wega Film

AFEU: Gab es Momente, in denen Sie das Gefühl hatten: Jetzt entgleitet mir das Projekt!

Der Drehbeginn kam immer näher. Und ich hatte sehr grosse Angst davor und schlief ganz schlecht. Doch nach drei Drehtagen, die sich wie drei Wochen anfühlten, wusste ich, dass ich es irgendwie schaffen werde. Dann schläft man auch wieder besser.

Man weiß natürlich noch nicht, ob der Film gut wird. Das kann man vorher nie sagen. Es ist wie das Zusammensetzen von einem Puzzle, das man einmal gezeichnet hat. Erst im Schnitt entscheidet sich, wie gut der Film wird, da kann man auch Dinge weglassen oder neu gewichten. Ich wusste, das Material ist so beschaffen, dass man einen ordentlichen Film daraus machen kann. Mir war während der Dreharbeiten ja nichts ganz Furchtbares passiert, dass zum Beispiel eine Szene total schiefgegangen wäre. Der Rohschnitt dauert dann 15o Minuten, das ist natürlich viel zu lang, aber man sieht, dass gutes Material da ist. Obwohl ich fast drei Jahre an dem Drehbuch geschrieben habe und am Set immer nur das Beste wollte, ist der Rohschnitt wieder so etwas wie eine Stoffsammlung. Ich konnte es nicht glauben, als mir meine Kollegen erzählten, das sei so, wie wenn man den Film nochmals neu aufsetze. Aber es ist wirklich so.

AFEU: Das dramatische Finale ereignet sich in den tief verschneiten Bergen. Hat der Schnee eine besondere Bedeutung für Ihren Film?

Hader: Ehrlich gesagt ist das eine Idee, die ich schon sehr lange hatte und bisher nie in ein Drehbuch reinschreiben konnte. Irgendwie ist der Schnee im Film etwas ganz Tolles. Zum ersten Mal ist mir das aufgefallen, als ich vor vielen Jahren Schiessen Sie auf den Pianisten von Truffaut gesehen habe. Die Handlung beginnt in Paris und nach den Szenen in der Grossstadt, mit den vielen Menschen und dem Verkehrslärm, fahren die Protagonisten aufs Land. Dort fällt Schnee. Und plötzlich ist der Film vollkommen verzaubert. Er wird ganz weiss und ganz still. Und in dieser Lautlosigkeit passiert das Furchtbare.

Diese Szenen blieben mir unglaublich eindrucksvoll in Erinnerung. Seit dieser Zeit habe ich im Kopf, was der Schnee in einem Film kann. Irgendwann entstand dann die Idee von jemandem aus der Stadt, der aufs Land fährt und diese Art von Selbstmordversuch macht. Das Komische an der Szene ist, dass ein Städter in den Wald fährt und glaubt, er sei wirklich einsam dort. Die Leute vom Land wissen aber, dass man nirgendwo einsam ist. Es kommt einfach immer wer vorbei: ein Jäger, ein Holzarbeiter oder eben ein Traktorfahrer. Ich fand diesen typischen Irrtum des Stadtmenschen sehr komisch. Da sitzt er auf dieser Lichtung, und plötzlich kommt ein Traktor. Ich habe mir vorgestellt, wie er durch den Schnee haxelt, und diese Ruhe, in der die Bauern hinter ihm her gehen und sich denken: „Das ist ein Wahnsinniger, den müssen wir einfangen.” Ich wäre nie auf die Idee gekommen, auf diese Geschichte zu verzichten, weil sie unangenehm oder schwer zu drehen war. In dem Moment, in dem der Zuschauer meint, jetzt geht gar nichts mehr, macht diese Sequenz ein Tor auf, ganz weit.

Ich wollte einen Film machen über Menschen und alles, was sich reibt zwischen Menschen.

AFEU: Wie erging es Ihnen bei den Dreharbeiten unter so schwierigen Bedingungen?

Hader: Ich wollte für diese Szenen unbedingt frischen Schnee, aber dadurch entstand ein Problem mit dem Auto. Wir mussten es ja schon vorher dort hinauf stellen, damit es dann auch zugeschneit wird, wenn der Schnee fällt. Darüber gab es aber unterschiedliche Ansichten im Team. Der Ausstatter meinte: „Das geht nicht.” Dort oben wehe der Wind und dann sei das Auto nur zur Hälfte mir Schnee bedeckt oder nur auf einer Seite. Und Kunstschnee in Kombination mit natürlichem Schnee bemerke man sofort, er wolle sich nicht seinen Ruf zerstören. Da haben wir gesagt: „Na gut, dann stellen wir uns halt dort rauf und drehen mit dem, was da ist.” Daraufhin haben uns die alten Hasen angeschaut, als ob wir verrückt wären. Der Produzent und der Ausstatter waren gewohnt, an sehr kontrollierten Sets zu arbeiten. Nur so sind diese grossartigen Filme von Michael Haneke möglich. Für sie war es problematisch, dass die Bedingungen im Schnee nicht vorhersehbar und beherrschbar waren. Man konnte die Szenen auch nicht fünfmal wiederholen, sondern sie mussten beim ersten Dreh sitzen. Da boten sie mir an, das Auto künstlich zu vereisen. Aber das wollte ich nicht. Ich wollte den Schnee.

Nach zwei Tagen kam dann ein Anruf: „Josef, grosse Krise! Wir haben viel zu viel Niederschlag, das Auto versinkt im Schnee.” Das fand ich super. Ich musste dann einfach noch das Drehbuch anpassen, ans Wetter. Aber das hat gut funktioniert.

AFEU: Nun ist’s vollbracht. Spüren Sie jetzt eher Erleichterung oder Leere?

Hader: Im Moment bin ich noch das Zirkuspferd, das herumrennt und Werbung macht. Aber ich glaube nicht, dass danach die Leere kommt. Ich empfinde es eher als ein Abgeben. Dieses Mal erscheint es mir besonders einfach. Ich habe sehr viel investiert und der Film ist ganz ordentlich geworden für einen ersten. Besser kann ich es halt zur Zeit nicht. Ich muss mir keinen Vorwurf machen. Bis zum Schluss habe ich alles überlegt und probiert. Und darum kann ich sehr gut damit leben, was es geworden ist. Jetzt lasse ich das Projekt aus, ganz leicht.

Durch die Arbeit an der Wilden Maus konnte ich meinen Lebensrhythmus verändern und dafür bin ich sehr dankbar. Ich entschied mich dafür, weniger herumzureisen und Kabarett zu spielen. Ich konzentrierte mich auf das Schreiben. Auch in Zukunft möchte ich diesen Takt beibehalten und Luft zum Nachdenken haben. Ich freue mich auf eine Zeit im Frühjahr, wenn ich nichts tun werde und einfach schaue, was passiert. Ob ich dann depressiv bin und mich mit einer Schnapsflasche in den Schnee setze oder ob ich total entspannt sein werde. Ich würde sehr gerne einen weiteren Film verwirklichen. Da ist es aber wie bei den Kabarettprogrammen. Das nächste Projekt sollte nicht vergleichbar sein mit diesem, sondern ganz anders und in einer gewissen Weise auch überraschend. Das ist der Sport in der Kunst. Und nur so kann man sich weiterentwickeln. Es war sehr schön, wieder ein Anfänger zu sein.


Zum Film


Österreich 2017

Produktion: Wega Film; Veit Heiduschka, Michael Katz

Regie & Drehbuch: Josef Hader

Kamera: Andreas Thalhammer, Xiaosu Han

Ton: Hjalti Bager-Jonathansson

Schnitt: Ulrike Kofler, Monika Willi, Christoph Brunner

DarstellerInnen: Josef Hader, Pia Hierzegger, Georg Friedrich, Jörg Hartmann, Denis Moschitto, u.a.

 

Kinostart: 17. Februar 2017

Josef Hader präsentiert seinen Film am 18. Februar in Innsbruck:

2o:oo im Leokino (leider ausverkauft!)

2o:15 im Cineplexx


Trailer und Impressionen


Josef Hader in für ihn ungewohnter Rolle (Bild: (c) Petro Domenigg, filmstills.at)
Josef Hader in für ihn ungewohnter Rolle (Bild: (c) Petro Domenigg, filmstills.at)
Bild: (c) Petro Domenigg, filmstills.at
Bild: (c) Petro Domenigg, filmstills.at
Titelbild: (c) Wega Film