Wer sich, wie ich, häufig in der Gegend aufhält, weiß, dass Jesuitenkirche & Vorplatz immer noch ein Innsbrucker Verkehrsknotenpunkt ist. Auch die, die dort nur mit dem Rad drüberfetzen, konnten in den letzten Wochen wohl kaum das überdimensionierte Transparent der mk übersehen, das – ebenso überdimensioniert – mit „SEX“ betitelt war.
Ein gelungener Marketing-Gag?
Die angekündigte Tanzperformance selbst hieß, schon etwas biederer, „Intimität & Beziehung“. Warum also so aggressives Marketing? Naja, „Sex sells“, sagt Max Heine-Geldern, der die mk als Jugendseelsorger leitet. Wann hat man zuletzt eine Messe dreimal hintereinander halten müssen, weil der Ansturm so heftig war?
Dass man nichts Pornographisches geboten bekommt, hat sich von selbst verstanden – und darunter verkauft sich Sex auch gar nicht mehr so wahnsinnig gut. Jedem war klar, dass man es sich um ein (wenn auch ausgesprochen professionelles) Jugendprojekt handelt. Und als solches war es wirklich hervorragend.
Es darf bei einem Kunstprojekt nicht auf den Überbau ankommen, auf die Idee oder den Grad des Tabubruchs, sondern einfach auf die ästhetische Umsetzung. Und die hat sich in diesem Fall sehen lassen: Die Choreographie von Gerhard Egger und Tanja Happacher, am Modern Dance orientiert, war gut durchdacht, außerdem hingebungsvoll und durchaus sexy getanzt. Die Elemente aus Schattentheater am Anfang haben durchaus platonische Gefühle aufkommen lassen, aber in der Folge wurde die ganze Sache äußerst körperlich und konkret. So gut die Musik war, so mies die Akustik, und so zugänglich die Performance, so überflüssig die Wortspenden zur Einführung und zum Abschluss. Ein gelungenes Ereignis.
Das erklärt den Ansturm aber immer noch nicht ganz. In der europäischen Gesellschaft schwelt immer noch die skeptische Hoffnung, dass die Kirche irgendwann herwärts schaut und das mit dem Sex ein bissl locker nimmt. Jede Nebenbemerkung des Papstes in dieses Richtung wird von den großen Zeitungen aufgegriffen und zu Tode analysiert. Dann ist es wieder monatelang still. Und doch hofft man allseits, dass die Homoehe irgendwann diskutabel und Verhütung praktikabel wird.
Angespannt und engstirnig sind beide Seiten: Die, die den Sex marginalisieren und die, die in ihrer postmodernen Rechtschaffenheit neben dem Heiligen auch den Zeitgeist berücksichtigt haben wollen. Wenn dann das Wort „Sex“ die Jesuitenkirche ziert, wird allseits ein Tabubruch heraufbeschworen, erhofft und angezweifelt.
Eine katholische Leidenschaft
Das klingt gerade so, als würde man sich erst jetzt, wo es schon längst überfällig ist, endlich an das Thema herantrauen. Dabei gab es zwischen der Performance und dem sakralen Flair überhaupt keinen Widerspruch, die innig tanzenden Lesbenpärchen im Altarraum waren kein bisschen befremdlich. Schließlich sind große Gefühle und eine ausufernde Ästhetik offensichtlich eine sehr katholische Sache; nur an wenigen anderen Orten wird – ganz ohne Dekonstruktion – so hemmungslos an die Emotion plädiert wie in der Kirche.
Die stiff upper lip, den Stock im Arsch, den Vernunftkult und das große Problem mit dem Körper verdanken wir jedenfalls eher Protestantismus, Rationalismus und Aufklärung als dem klassischen Katholizismus.
Es gibt in der Kirche nämlich klar eine – wenn auch nicht ganz orthodoxe – erotische Tradition. Keine Notwendigkeit, sich an den Zeitgeist anzubiedern, man kann auch bei den alten Mystikerinnen suchen, bei den „Bräuten Christi“, die ihre überbordende Liebe nicht ganz unkörperlich halten konnten. Das Christentum ist eine Beziehungsreligion. Das sollte es nicht vergessen.
Und der letzte Anlauf zur Veränderung ist noch gar nicht so lange her: Als sich die Aufbruchsstimmung des Zweiten Vatikanums mit dem Dunst von 1968 vermischte, hat sich zumindest in der Basis so einiges getan.
Ein neuer Zugang: Die Kunst?
Religion und Sex, oder meinetwegen Mystik und Erotik, liegen natürlicherweise nahe beieinander, wenn wir das nur zulassen könnten. Das heißt nicht nur, dass sich die Religion (im Allgemeinen) endlich mal locker machen sollte, sondern auch, dass wir Post-68- und Post-Post-68-Generationen anerkennen müssen, wie nahe uns Erotik tatsächlich geht.
Denn vermutlich würde sich der Sex auch deutlich weniger gut verkaufen, wenn wir zufrieden damit wären – oversexed und underfucked sind bekanntlich zwei Seiten derselben Münze. Und die „Münze“ ist wortwörtlich zu verstehen: Des einen unerfülltes Liebesleben ist des anderen Aktienkurs.
Oder, wie Leonard Cohen, der immerhin mit halb Woodstock und Montréal im Bett war, meinte: „If God is left out of sex, it becomes pornographic; if sex is left out of God, it becomes pious and self-righteous.“ Und, ja, genau hier sind wir. Nur dass es wohl genug Menschen gibt, die sich sehr unwohl damit fühlen, von „Gott“ zu sprechen, wenn sie echte Nähe erleben. Dann sollen sie es um Himmels willen bleiben lassen.
Deshalb wäre es auch sinnvoll gewesen, die Performance in der Jesuitenkirche ganz einfach unkommentiert zu lassen, sich alle Hinweise auf den intellektuellen Überbau er sparen – weil die Tänze für sich so kraftvoll und authentisch waren, dass das „Mehr“, das über die Pornographie hinausgeht deutlich sichtbar war.
Vielleicht ist das Neue an diesem Zugang gar nicht unbedingt die Fusion aus Sex und Kirche, sondern die Ausdrucksform. Weil es ganz und gar unsinnig ist, die Rolle der Religion in einer Gesellschaft ausschließlich über Theologie und Politik definieren zu wollen – und dann auch noch dauernd so viel darüber zu schwatzen.
Vielleicht wird es Zeit, dass Ästhetik und subjektive Erfahrung wieder zu dem Kitt werden, der Sakrales und Profanes zusammenhält. Weil Kunst – Tanz, Musik, Theater, Dichtung – etwas ausdrücken kann, wofür sich weder Politik noch Religion mehr zuständig fühlen. Aber es fehlt uns.
Impressionen
Alle Bilder: (c) Christian Niederwolfsgruber, weiter Bilder HIER