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Da mussten Innsbrucks Kulturfexe vor einigen Wochen feststellen, dass sie ihre mühsam antrainierte Arroganz ein bisschen ablegen müssen, wenn sie nicht in den Untiefen des Sommerlochs verenden wollen. Und das Ergebnis hat sie, die jedes potentiell mitreißende Konzert, jede originelle Inszenierung, jede überragende Lesung 100 km innauf- und abwärts gegen den Wind riechen, selbst überrascht.
Den Auftakt der provinziellen Schmuckstücke haben vermutlich die Tiroler Volksschauspiele gemacht, gefolgt vom „Outreach“ Jazz Festival in Schwaz, dann… Moment mal, die Volksschauspiele? Die Volksschauspiele? Ist das nicht das mit dem Zelt? Nein, sicher nicht, von Zelten hält sich der Kulturfex lieber fern: von Bierzelten (da ist das Volk zu nah), Himmelszelten (da ist die Natur zu nah) und Zwei-Mann-Zelten (da ist der andere zu nah).
Telfs hat Schwerkraft
Aber tatsächlich hat Telfs mit „Hamlet ist tot. Keine Schwerkraft“ in diesem Jahr eine Inszenierung auf die Bühne gebracht, die auch in Innsbrucks Klein-Theatern ihresgleichen erst noch finden muss. Das Sechs-Personen-Stück, in Telfs auch noch alle auf einer Spießer-Wohnzimmer-großen Fläche eingezäunt, ist bodenlos deprimierend, nur der Sprachwitz bewahrt den Zuschauer vor Schlimmerem.
Er hält ihm – und dem Kulturfex besonders – einen Spiegel vor. Das Leben in Zeiten wie diesen ist mühsam und anstrengend und am anstrengendsten sind sowieso wir selbst. Die Frustration ist nicht existentiell, sie speist sich aus unerfüllten Wünschen, enttäuschten Hoffnungen und dem Gefühl, keine „Schwerkraft“ zu haben, nichts anzuziehen, nichts an sich binden zu können.
Drei Paare sinnieren über ihr Dasein, schimpfen, keifen, versuchen sich irgendwie zu befreien – am Ende ist ganz psychoanalytisch am besten die alte Mutter schuld, die einfach nicht sterben will, bis das Licht am Ende des Tunnels vor Fadesse ausgeht. Aber da gibt es Abhilfe, eine Schnur am Treppenabsatz ist schnell gespannt und dann ist die lästige Alte beseitigt.
So denkt sich das die ältere Frau (grandios: Ute Heidorn), während ihr Mann (nervtötend, aber gut: Klaus Rohrmoser), im Glauben, man müsse „das Vögeln neu erfinden“, eine andere Familie so gründlich zerstört, wie das nicht einmal ein Asteroid schaffen würde. Er hat jedenfalls Schwerkraft. Das Ergebnis: Ein junger Mann, Hannes, ist tot.
Die gemeinsamen Kinder „Dani“ und „Mani“ (schon die Namen verursachen schwere Depressionen – es spielen Sinikka Schubert und Johannes Gabl, beide hervorragend) dagegen meinen, überhaupt keine Schwerkraft zu haben. Die Scheiß-Meditation, das verfickte „Im-Moment-Sein“, das allseits propagiert wird, hilft da überhaupt nicht.Und das Warten auf die Scheiß-Liebe schon gar nicht. Da äußert sich nämlich die mangelnde Schwerkraft besonders: In der Unfähigkeit, jemanden an sich zu binden. Aber vielleicht vögelt Dani auch seine Schwester, wie Oli vermutet, und bleibt deshalb ewig Single.
Wenn man sich Olis und Bines Ehe anschaut, ist das aber definitiv vorzuziehen. Eine künstliche Symbiose, mit großer Mühe gekittet durch Bines permanenten Enthusiasmus und Olis scheinbare Vernunft (in Wirklichkeit steht er ja auf Dani).
Das Stück, aus der Feder des jungen Mühlviertlers Ewald Palmetshofer, dessen Faust sich schon einmal an einer Grete verschluckt hat, ist sprachlich brilliant, hochphilosophisch, witzig – und mit seinen permanent unvollendeten, unverbindlichen Sätzen auch voll im Zeitgeist. Der Weltgeist dagegen ist in Rente gegangen, oder überhaupt tot. Seither ist der Himmel eine Maschine, die Nummern zuteilt. Manche haben Glück und bekommen eine zugeteilt. Dann werden sie berücksichtigt. So wie die Kulturliebhaber in Tirol.
Wo es uns sonst noch hinzieht?
Nach St. Anton zum Filmfest, für die, die es abenteuerlich mögen – zumindest auf der Leinwand. Vom 23. bis zum 26. August.
Nach Schwaz zum naturnahen Woodlight Festival, wo Sportler und Geo-Catcher (?!) ebenso willkommen sind wie Musikliebhaber – auch wenn es letzteren unter Umständen ein bisschen zu alternativ zugehen wird. Von Mainstream über Desert Post Rock bis hin zu Electro Soul ist das Programm immerhin vielfältig. Am 26. August.
Noch einmal nach Telfs zum zweiten Stück, das man sich in diesem Jahr ansehen kann: Lampedusa, noch am 19., 20., 21., 22., 28. und 29. August.
Oder zu Resetarits & Ringsgwandl am 25. & 26. August. Ebenda.
Wir vom AFEU gendern ja kaum. Was ist eigentlich die weibliche Form von Kulturfex? Kulturhex?