Das Alte Griechenland versammelte in seinen Reihen verschiedene Volksgruppen. Zwei davon waren die Dorer und die Ionier. Erstere, im Norden gelegen, hatten einen über die Weltmeere bekannten Helden: Herakles oder Herkules, wie die Römer später zu sagen pflegten. Das passte den Ioniern, weiter südlich gelegen, so überhaupt gar nicht und sie schufen sich ihren eigenen Helden: Theseus, Herakles Cousin zweiten Grades – schließlich besaßen schon die Alten Griechen jenen panhellenischen Geist, der besagte: „Grieche ist Grieche.“
Auch die österreichische Politik kennt derartige Entwicklungen: Ruft die eine Seite einen neuen Superhelden aus, dauert es nicht lange bis die andere Seite nachzieht. Herakles faszinierte vor allem durch seine Herkunft. Amphitryon, der thebäische König, war der Urgroßenkel des Zeus und ehelichte die schönste Frau, die jemals auf Erden gelebt hatte: Alkmene. Der Urgroßvater Zeus, vom Liebesspiel der beiden angetan, schlüpfte prompt in die Gestalt seines Urgroßenkels und verführte die schöne Alkmene als Amphitryon getarnt, welche sogleich guter Hoffnung war. Sie gebar Zwillinge: Herakles und Iphikles. Einer mit göttlichem, einer mit menschlichem Vater.
Übersetzt man die physischen Zeugungsakte in österreichische Politikgeschichte ist es durchaus legitim einem Franz Vranitzky die Zeusrolle in der Sozialdemokratie zuzusprechen. Sein Urenkerl und ebenso thebäischer König Michael Häupl aka Amphitryon (Wien mit Theben gleichzusetzen ist insofern gültig, weil der deutsche Politiker Georg Friedrich Kolb postulierte, Theben sei der einzige Stadtstaat im Böotischen Bund, der es dem Hausvater nicht gestattete, missgestaltete Kinder oder Kinder, von denen er meinte, sie nicht ausreichend ernähren zu können, auszusetzen oder anderweitig dem Tod anheimzugeben, etwas, das sonst nur die Wiener Kinderfreunden machen) stand dabei vor einem ähnlichen Scheideweg: Zwei Jungen, vielleicht nicht ganz Zwillinge: Werner Faymann und Christian Kern, von denen niemand wusste, wer der wahre Göttersohn und wer Häupls Eigenerzeugnis war.
In der griechischen Mythologie erzählt eine Variante, dass Amphitryon eine giftige Schlange ins Bett der beiden schlafenden Jünglinge legte. Das Ergebnis: Iphikles rannte erschrocken fort, Herakles erwürgte das Untier und hängte es sich um den Hals. Es wäre vielleicht zu gewagt Rudolf Hundsdorfer als Schlange von Häupl zu deklarieren, für eine Entscheidung zwischen dem allzu menschlichen Faymann und dem Göttersohn Kern hat es aber allemal gereicht. Herakles bescherte der Welt in Folge eine klassische Reihe von Heldentaten und brannte nebenbei gleich das neoliberalistische Troja nieder. Theseus, Herakles Cousin zweiten Grades und etliche Jahre jünger besaß zwar keine olympischen Wurzeln, baute seine Karriere ebenfalls auf seinem Familienstammbaum auf: sein Aufstieg war nicht der Einmischung des Vaters zu verdanken, sondern seinem Ableben.
Das trifft in einer gewissen Art und Weise auch auf den österreichischen Theseus Sebastian Kurz zu, der wesentlich vom politischen Ableben des Django Mitterlehner profitierte. Wenn uns die griechische Mythologie eines lehrt, dann, dass große Helden tief fallen können. Herakles wurde schließlich von seiner Stiefmutter, der Göttin Hera, in den Wahnsinn getrieben und tötete seine Familie. Theseus brachte für Athen viele Reformen, hob den Zentralismus auf und gab den Gros an Macht an die umliegenden Gemeinden (ja Athen hatte ähnliche politische Strukturen), wurde aber schließlich von seinem einstigen Gefährten im trojanischen Krieg Menestheus jeder Würde beraubt und vertrieben, das Resultat: eine tyrannische Herrschaft in Athen. Ob die Göttermutter der Sozialdemokratie (Joy Pamela Rendi-Wagner) einen Christian Kern in den Wahnsinn treibt oder gar ein Zögling aus der JVP den strahlenden Sebastian in naher Zukunft zu Fall bringen wird und Österreich wieder einmal eine Diktatur werden wird. Wir sind gespannt. Die Mythologie geht jedenfalls weiter…
Titelbild: (c) Jagadip Singh, Vienna glowing in early morning sun, https://www.flickr.com/