Als Kind war der Wiedereinstieg in den edukativen Alltag nach den Weihnachtsferien die erste und zugleich auch größte Überwindung des Jahres. Das hat sich kaum geändert. Und bei entsprechendem Alter und entsprechender Neigung ist der Rückfall in den Substanzmissbrauch rund um den 7. Jänner herum ziemlich gewiss.
Aber Kunst war sowieso schon immer die beste Droge, für Junge wie für Alte. Was am heimischen Markt derzeit so die Runde macht?
„Krabat“
Affektive Wirkung: Furcht und Zittern, Grusel, moralische Bestätigung, Ehrfurcht
Nebenwirkungen: Lust am Verkleiden und Nachspielen, steigendes Interesse an Okkultismus, sinkendes Interesse an der unmittelbaren Wirklichkeit
Gegenindikation: Bei großer Schreckhaftigkeit oder ausgeprägtem Realismus nicht zu empfehlen
Krabat ist arm, er muss betteln gehen, und das mitten im Winter. Wer so lebt, für den bedeutet Macht Sicherheit und wenn er sich in der schwarzen Magie übt, heißt das, das er abends den Bauch voll bekommt. Der Meister ruft Krabat zu sich, und der kann sich nicht entziehen. Er beginnt auf der Mühle zu arbeiten, und obwohl dort merkwürdige Dinge vor sich gehen und Krabat von den toten Lehrjungen hört, die vor da waren, lernt er weiter. Und doch bleibt Krabat sich treu – und bald auch seinem Mädchen, das die schönste Stimme im Dorf hat. Der Meister will nicht, dass seine Lehrlinge sich verlieben. Er ist ein schwarzer Magier und will Krabat auf seine Seite ziehen, ihn zu seinem Nachfolger machen. Nur wenn Krabats Mädchen den Mut hat, dem Meister die Stirn zu bieten und Krabat freizubitten, haben die beiden, und mit ihnen alle Lehrjungen von der Mühle, die Chance zu überleben.
Die Inszenierung von „Krabat“ am Theater Szenario ist altmodisches Theater im allerbesten Sinn, und dazu liebevollst ausgestattet und in Szene gesetzt. Die unheimliche Winterabendstimmung wird von der grandiosen musikalischen Begleitung unterstützt, das schlichte aber schöne Bühnenbild tut sein Übriges. Hier wird die Ästhetik nicht der Pädagogik geopfert, und die Lust nicht der Erziehung. „Krabat“ zieht einen in seinen Bann – und man genießt es von vorne bis hinten.
„Um Himmels Willen, Ikarus!“
Affektive Wirkung: Belustigung, Rührung
Nebenwirkungen: keine bekannt
Gegenindikation: Menschen mit Neigung zur Hyperaktivität könnte die Textmenge überfordern
Das Theater 7ieben&7iebzig ist die jüngste und zugleich mutigste Bühne in Innsbruck, die Kinder- und Jugendtheater anbietet.
Zugleich bespielen sie einen der interessantesten Theaterräume in Innsbruck, die ehemaligen Räumlichkeiten des Jugendlands in der Gumppstraße. Dieser Raum bleibt für „Um Himmels Willen, Ikarus!“, ein schlaues Zwei-Personen-Stück, fast leer. Einige kniehohe Quader sind sowohl Bühnenbild als auch Sitzmöglichkeit. Ein paar Amphoren und Korbflaschen gemahnen an das antike Griechenland.
Ikarus aber trägt Jeans und eine Baseballmütze und nennt seinen Vater „Däd“. Das kann Däd(alus) wiederum gar nicht ausstehen, außerdem versucht er fieberhaft aus seinem eigenen Labyrinth herauszufinden, und da muss Ikarus auch mal Abstriche machen. Der aber hat niemanden außer seinem Vater, keine Freunde, keine Mutter, nur seine blühende Fantasie und den Wunsch, Himmel und Meer zu berühren. Er ist mal ein vorpubertärer Quälgeist, mal ein liebenswürdiger Anarchist, der einfach in einer beschissenen Situation ist. Wie so viele Kinder. Däd bemüht sich also, Ikarus seine Träume zu erfüllen und ihn zugleich beschäftigt zu halten: Mit kleinen Theaterstücken, wilden Spielen und linkischen Zuwendungsversuchen. Am Ende fliegt Ikarus. Und stürzt ab. Aber es hat sich gelohnt.
Der griechische Mythos vom Erfinder Dädalus und seinem Sohn ist die Hintergrundfolie für ein nahegehendes, anspruchsvolles Vater-Sohn-Drama mit komischen Elementen. Hingebungsvoll und fast überzeugend gespielt von Fredi Fritz und Ines Stockner.
„Robin Hood“
Affektive Wirkung: vielseitig – von hysterischer Euphorie bis Brechreiz ist alles dabei
Nebenwirkungen: Ohrwürmer, Migräne, Abneigung gegen im Pulk auftretende Kinder
Gegenindikation: nicht geeignet für Kinder und Erwachsene mit ausgeprägtem Sinn für Ästhetik
Robin Hood tut, was er eben so tut: Pfeile verschießen, im Wald herumscharwenzeln und schöne Mädchen küssen, entführen und befreien. Das scheint ihm großen Spaß zu machen, weil er dazu ziemlich oft singt. Und auch tanzt. Das kann er hervorragend, fast so gut wie Bogen verschießen. Der Prinz, der Sheriff und der Steuereintreiber haben mit Robin weniger Freude, sie singen aber trotzdem auch. Am meisten freut sich Lady Marian in ihrem hübschen Kleid, als Robin sie ganz am Ende heiratete. Hoffentlich darf sie, wenn sie dann im Sherwood-Wald lebt, auch manchmal Hosen tragen, auf Bäume klettern und ihre eigenen Lieder singen. Wenn sie das darf, dann ist der Sherwood-Wald jedenfalls eine richtig heile Welt.
Auch das Landesjugendtheater übt sich seit vielen Jahren in der Bildungsarbeit. Es folgt dabei zwei pädagogischen Grundsätzen: Die Leute „da abholen, wo sie sind“, nämlich im musikalischen Disney-Wunderland – und sie „auf die Zukunft vorbereiten“. Ja, die liegt dann ihm bunten Musical-Einerlei am Tiroler Landestheater. Alle glücklich und zufrieden. Das kritische Theater und die kritische Jugend bitte woanders, am besten auf der Straße. Aber was man nicht leugnen kann: Die Kleinen waren gut unterhalten. Mütter, Väter oder Babysitter, die gut abschalten können, machen ihren Kindern mit „Robin Hood“ ziemlich sicher eine Freude – wenn sie auch wenig nachhaltig ist – ohne dabei selbst allzu viel Schaden zu nehmen.
Das Ensemble, man muss es ihm lassen, ist zum Teil komödiantisch recht begabt und die Slapstick-Sequenzen lassen keine Wünsche offen und nur wenige Augen trocken.
Fazit
Meinem ständigem Theaterbegleiter, einem ziemlich wiffen Elfjährigen, hat jedenfalls „Krabat“ am besten gefallen, dicht gefolgt von Ikarus. Robin Hood bleibt besser unerwähnt.
Man fragt sich: Warum werden Kinder für dumm verkauft? Warum mutet man ihnen nicht mehr zu? Es mag sie irritieren, wie das schlichte Bühnenbild von „Um Himmels Willen, Ikarus!“ oder Ikarus‘ Tod, oder überfordern, wie die vielen Anspielungen auf Religion, Mythos und Metaphysik, wie in „Krabat“. Aber nur so lernt man als Mensch etwas über sich selbst.
Denn wie sagte J. R. R. Tolkien über den Eskapismus: „Warum einen Mann verachten, wenn er aus einem Gefängnis auszubrechen versucht, um nach Hause zu gehen? Oder, wenn er, weil ihm das nicht gelingt, an anderes denkt und von anderem redet als von Gefängniswärtern und Gefängnismauern?“
In Zeiten diesen brauchen wir, Kinder wie Erwachsene, Räume, in die wir von Zeit zu Zeit flüchten können. Aber keine quietschbunten Fantasie-Räume, sondern solche, die wir tatsächlich bewohnen und aus denen wir Kraft schöpfen können. Dafür ist die Kunst (nicht zuletzt) da.
Wer dieser Empfehlung folgt, muss sich etwas beeilen, „Krabat“ ist nur noch am 13. & 14. sowie 20. & 21. Jänner, jeweils um 19.00 im Haller Lobkowitzgebäude im Salzlager zu sehen. Ob Bestechungsgelder helfen, um noch an Karten zu kommen, ist mir leider nicht bekannt, bei Kulturschaffenden hilft das aber oft (Stichwort Förderungen) – offiziell sind die Vorstellungen jedenfalls ausverkauft.
„Um Himmels Willen, Ikarus“ ist im Theater 7ieben&7iebzig in der Gumppstraße noch am 27. Jänner und am 10. und 23. Februar zu sehen. Auch andere Stücke wie etwa „Oh, wie schön ist Panama“ (ab 3) und „Schlafen Fische?“ (ab 9, auch dieses ein Stück, das sich mit dem Tod befasst) laufen noch bis ins Frühjahr hinein. Vom Theater 7ieben&7iebzig werden wir aller Wahrscheinlichkeit noch hören.
Robin Hood wurde (gute Besuchszahlen?) noch in den Jänner (12. & 13., 19. & 20., 26. & 27.) hinein verlängert. Kinderfreundlich jeweils um 15.00.#
Titelbild: (c) Mathias Brabetz Photography
Also ich finde Robin Hood super!!!!
Finden Sie es nicht ein wenig übertrieben, dass man von einem Märchen-Musical für Kinder, in der viel Arbeit und Zeit steckt, so streng zu bewerten und schreiben dass es Folgen wie Brechreiz gibt. Meiner Meinung gibt es viel mehr positive Kritikpunkte die man erwähnen könnte.
Lg
Sehr geehrte Frau Haas,
bitte unterlassen Sie solche Zeitungsartikel über ein Thema von dem Sie keine Ahnung haben. Ihr elf Jahre alter Theaterbegleiter ist nicht die Mehrheit der vielen jungen Zuschauer.
Hochachtungsvoll
Matthieu Fischer
Lieber Herr Fischer,
es gehört leider zur Natur der Kritik, dass sie nicht auf Ahnung, sondern auf Meinung basiert. Ich gehe davon aus, dass meine Leserinnen, wie Sie, selbstständig beurteilen können, ob sie mich in der fraglichen Sache für kompetent halten oder nicht. Es steht ihnen, wie Herr Torskyj unter diesem Beitrag demonstriert, absolut frei, eine andere Meinung zu haben.
Leider war mir die Masse der jungen TheaterbesucherInnen nicht zugänglich. Ich meine aber, dass die Meinung eines Kindes in der Beurteilung von Kindertheaterstücken eine bessere Grundlage ist als die Meinung einer einzelnen Erwachsenen, nämlich meine.
In Zukunft werde ich mich bemühen, Kulturverantstaltungen quantitativer zu bewerten, eventuell über Fragebögen. Das ist auch als ernst gemeinter Vorschlag ans Landesjugendtheater gedacht.
Herzliche Grüße,
Susannah Haas
Also ich find Susannah Haas super!!!!