Joseph Beuys´ Sager „Jeder Mensch ist ein Künstler“ wird wohl alle seine Filz- & Fett-Werke überdauern. Was er allerdings nicht detailliert genug erklärte, ist, wieviel es dazu braucht, a) ein Mensch und dann b) ein Künstler zu sein und als solcher (an)erkannt zu werden.
Punkt a) lassen wir einmal weg, das würde den Rahmen des Alpenfeuilletons sprengen. Aber wieviel unkünstlerische Mühe es kostet, Künstler bzw. Künstlerin zu werden, das hat Beuys wohlweislich verschwiegen.
Also als Allererstes brauchst du dazu einmal das nötige Outfit. Auf jeden Fall einen Hut oder ein Käppi, bei Frauen darfs auch ein Turban sein. Aber keinesfalls ein Kopftuch. Die Haare darunter müssen, egal ob früh oder spät, wirr und unfrisiert aussehen, notfalls teuer so gestylt.
Das Gewand ist seit den Zeiten des Existenzialismus bevorzugt von Kopf bis Fuß schwarz. Das zumindest ist praktisch und nicht teuer. Für Künstlerinnen ist die Sache ein bisschen komplizierter, denn da muss das Outfit je nach Kunstsparte entweder aus überaus sexy, engen Bustiers oder aus schwarz oder wahlweise afrikanisch-bunten, formlos weiten Fetzen bestehen. Das heißt, frau muss bei der Wahl ihrer Kunstsparte von Anfang an schon ihre figürlichen Möglichkeiten mitberücksichtigen. Was jedenfalls gar nicht geht, sind biedere Jeans und Pulli oder gar Rock und Bluse. In solchem Gewand schaust du ja aus wie die Nachbarin vom Supermarkt. Solcherart gewandet könntest du ein Genie sein und keiner würde dich erkennen.
Was das Makeup anbelangt, sind Frauen wieder im Vorteil, denn sie können sich die hagere Gesichtsform und die vergeistigte Blässe notfalls anschminken, welche für das Image des (Hunger)Künstlers unabdingbar sind. Sollten Sie BrillenträgerIn sein, ist jedenfalls ein ausgefallenes Gestell erforderlich. (Ausnahme: Musikbusiness, da sind Brillen ein no-go!) Fehlsichtigkeit erfordert also eventuell eine finanzielle Vorinvestition in späteren Ruhm, außer bei SchriftstellerInnen, da kann eine hässliche 0815-Brille sogar von Vorteil sein.
Doch das wären jetzt erst die äußeren Voraussetzungen der Künstlerexistenz. Daneben braucht es vor allem auch noch eine passende Künstlerbiografie. Da muss sich bereits von Jugend an Außerordentliches abzeichnen. Mit einem Lebenslauf von Volksschule – Abitur – Beruf ist es schon aus mit der Karriere, bevor diese begonnen hat. Auch hierin war Beuys wieder Vorbild und Vorreiter, denn er hat sich seine aufregende Biografie in einem kompakten Kunstwerk aus Lügen und Wahrheiten so perfekt zusammengeschustert, dass wirklich ein ganz außerordentlicher Künstler aus ihm wurde. Wenn du so eine gut gestrickte Lebensgeschichte vorweisen kannst, ist es eigentlich schon ziemlich egal, was für Kunstwerke du dann schaffst oder ob du überhaupt nur mit deiner Biografie und im richtigen Outfit mit den richtigen Leuten zusammen im richtigen Kaffeehaus sitzt. Das weltbewegende Werk, von dem bei großen Künstlern immer die Rede ist, das interessiert dann eh keinen mehr.
Also wir sehen: Künstler oder Künstlerin zu sein, ist keine ganz einfache Sache, deshalb schafft auch nicht jeder ein Künstlerdasein. In Wahrheit ist es, wenn du die Spesen abrechnest, ein schlecht bezahlter Fulltime-Job — vor allem, wenn du neben all der Imagepflege auch noch darauf bestehst, ab und zu ein sogenanntes Kunstwerk zu erschaffen …