Als junger Mensch hat man es leicht. Alles wirkt leicht. Von seinem Geschmack ist man felsenfest überzeugt. Später wird dann alles komplizierter. Mittlerweile kann ich nicht mal mehr ins Kino gehen, ohne in Reflexionen und Gedanken-Spinnereien zu verfallen. Aus einer klaren Liebe zum Kino früher wurde ein Vielleicht. Ein unter Umständen.
Aber was ist das denn eigentlich, dieses Kino? Früher hätte ich diese Frage ganz leicht beantworten können. Kino ist Illusion plus Utopie plus Narration. Eine Art Formel. Eine eigentlich einfache Rechnung. Immer wenn ich ins Kino ging, ging es mir um exakt diese Begriffe und darum, wie diese Themenfelder umgesetzt wurden. Überzeugte mich die Umsetzung und das Zusammenspiel dieser Aspekte, dann war ich vom Film begeistert.
Im Heute ist das komplizierter geworden. Ich gehe kaum mehr ins Kino. Ich sehe mir prinzipiell sehr viel weniger Filme an. Dennoch bin ich der festen Überzeugung, dass das „Open-Air-Kino“ im Zeughaus der beste aller möglichen Orte ist, um die Liebe dem Kino gegenüber aufzufrischen. Aus einer Vielzahl von Gründen, die ich thematisieren möchte.
Doch zuerst muss ich die oben angestellte „Rechnung“ noch kurz erklären. Die Gründe nennen, warum mir gerade diese Aspekte so wichtig sind und warum sie perfekt zusammenspielen und in einem symbiotischen Verhältnis stehen müssen.
Der Grund warum Kino für mich eine Illusion sein oder besser gesagt Anteile einer Illusion besitzen muss ist leicht erklärt. Kino ist nicht Realität. Aber Kino und Film generell beziehen sich auf Realität und gehen mit dieser Realität um. Gutes Kino hat die Aufgabe, zumindest für mich, der Realität Illusionen abzutrotzen.
Kino ist Wunschvorstellung, hat wahnhafte Züge. Wenn ich ins Kino gehen, dann möchte ich auch getäuscht werden, möchte gewissermaßen „Zaubertricks“ des Regisseurs vorgeführt sehen. Ich lasse mich im Kino bewusst täuschen, vorführen, verzaubern. Gerade die Wechselwirkung zwischen Realitätsbezug und reiner Illusion ist das reizvolle am Kino.
Ich möchte herausfinden, wo der Film die „Wahrheit“ erzählt und wo er halluziniert und imaginiert. Genau wenn diese Wechselwirkung dauerhaft ist und das Verhältnis in der Schwebe bleibt, fasziniert mich ein Film. Ich möchte zwischen Wahrheit und Illusion differenzieren, beides klar benennen. Ein guter Film verunmöglicht mir das, lässt diese Grenzen verschwimmen.
Damit einher geht das Verhältnis des Kinos und des Films, welches mit der Utopie eingegangen wird. Ein (guter) Kinofilm muss das Verhältnis zwischen Realität und Möglichkeit neu definieren. Kino schafft einen Ort, der eigentlich nicht existiert, der aber für wenigen Stunden denkbar und sichtbar wird.
Die Utopie ist der „Nicht-Ort“, der aber reale und verhärtete Orte in Bewegung bringt. Indem auf der Leinwand eine Utopie inszeniert wird oder zumindest utopische Aspekte in die Narration und Inszenierung mit einfließen, geraten das bisher Denkbare und das bis dahin Mögliche in Rollen. Selbstverständlichkeit und Natürlichkeit werden im Kino auf die Probe gestellt. Ihnen entgegen wird der schiere utopische Raum gestellt der zeigt, was auch noch möglich, denkbar und sagbare wäre.
Die Narration ist dabei die Umsetzung der hier beschriebenen Punkte. Es ist die ureigenste Aufgabe des Kinofilms zu erzählen. Das ist auf den ersten Blick eine triviale, ja beinahe banale Feststellung. Aber die Fokussierung auf die Narration lässt den Blick hin zum „Wie“ wandern.
Während ich mir bei der Fokussierung auf die Illusion im Film bewusst Sand in die Augen streuen lasse und mich fast schon willenlos täuschen lassen möchte, handelt es sich bei der Betrachtung und Analyse der Narration um den rationalen Teil der Kino-Rezeption. Ich betrachte, analysiere, versuche zu verstehen, wie mir der Film etwas erzählen möchte. Wie macht er mir den utopischen Raum greifbar und verständlich? Wie täuscht er mich, wie möchte er mich in seinen Bann ziehen?
Die Filme im Open-Air-Kino: Der Versuch am „Objekt“
Genau dieses Verhältnis dieser drei Kinofilm-Aspekte lässt sich beim „Open-Air-Kino“ im Zeughaus jeden Abend aufs Neue überprüfen. Dass das Verhältnis dieser der Themenfelder zu Reibeflächen und Widersprüchen führt, liegt dabei auf der Hand. Mehr noch als dass diese „Rechnung“ von mir schon vor geraumer Zeit gemacht wurde und ich deren Richtigkeit mehr und mehr anzweifle. Ich musste meine Thesen also am lebendenden Objekt vor Ort überprüfen. Stichprobenartig.