Viele werden es noch nicht bemerkt haben, aber in dieser Woche ist Innsbruck ein bisschen grüner als sonst üblich. Das Leokino ist mit ein bisschen Urwald dekoriert, hier und da gibt es Veranstaltungen zum Plastiksparen, auf dem Domplatz wird aus abgelaufenen Lebensmitteln gekocht, eine Ausstellung hat das Wegschmeißen von ebensolchen zum Thema.
Das Innsbruck Nature Film Festival ist wieder angelaufen. Es ist inzwischen eine große Sache, mit über 600 Einreichungen aus der ganzen Welt, mit der Vergabe von gleich mehreren Awards und mit aufwändigen Nebenveranstaltungen. Aber man muss sehr zufällig darauf stoßen, oder ganz gezielt hingehen, um die Veränderung im Stadtbild wirklich zu bemerken.
Wie sehen wir die Natur?
Es besteht jedenfalls kein Zweifel, dass das Festival eine durch und durch ökologische Angelegenheit ist. Komischerweise stört das kein bisschen. Vielleicht, weil dem ganzen Projekt auch ein großes Stück echter Auseinandersetzung zugrunde liegt.
Es geht nämlich nicht nur um die Natur, darum, wie schön sie ist und wie sehr wir sie schützen müssen (und wie sehr das moralisch richtig ist), sondern es geht auch um unseren Blick auf die Natur. Oder eher um die verschiedenen Blicke, die man auf sie haben kann – von romantisch-verklärend bis radikal materialistisch. Jede Perspektive hat ihre Berechtigung, aber nicht jede ist realistisch.
Eröffnet wurde am Dienstag einerseits mit einem Fachvortrag zu „Climate Changes“, andererseits mit der sehr ungewöhnlichen, weil poetischen und doch zurückhaltenden Dokumentation Hurricane. Zwischen diesen zwei Polen scheint sich das INFF zu bewegen: Hard facts und soft images.
Wer hier die grünen Weltverbesserer im Propaganda-Verdacht hat – Klimawandel ist schließlich ein überstrapaziertes Thema – möge sich zurückhalten. Erst kürzlich ließ der amerikanische Ökonom Paul Krugmann verlautbaren, das Klima würde viel zu wenig diskutiert. Nur wenn wir vereinfachen, gibt es nichts Neues mehr zu sagen.
Denn natürlich ist ein Naturfilmfestival auch hochpolitisch. Es geht um Armut und Verteilungsgerechtigkeit genauso sehr wie um schöne Bilder.
I venture where I please
Im Eröffnungsfilm wird dem Hurricane Lucy, der 2013 vom Senegal über die Karibik bis nach Louisiana fegte, eine Stimme verliehen. Lucy tritt als Ich-Erzählerin auf, als echte Person; und nicht umsonst spricht man vom „Auge des Sturms“. Damit schließt der Film an die Mythen der Karibik an – esoterisch? Oberflächlich betrachtet, ja. Aber grundsätzlich geht es um einen Blick auf Naturereignisse, der gerade nicht wertet. Wir müssen die Natur nicht verniedlichen oder verklären. Wir müssen sie auch nicht unbedingt fürchten und zu beherrschen versuchen. Ein Wirbelsturm zerstört, aber er ermöglicht auch.
„I venture where I please“, sagt Lucy an einer Stelle – und das ist doch unser größtes Problem. Auch der Versuch, den Klimawandel einzudämmen, ist letztlich ein Versuch, zu kontrollieren, was sich unserer Kontrolle entzieht. Und es fällt uns schwer, das zu akzeptieren.
Darüber sollten wir vielleicht ein wenig mehr nachdenken. Und dazu ist der Rahmen des INFF insgesamt nicht ganz geeignet.
Wasser predigen und Bio-Apfelsaft trinken
Natürlich ist das Fazit aus den unangenehmen Fakten der Klimawissenschaft und den dramatischen Bildern im einen oder anderen Film: Wir müssen unsere Attitüde deutlich ändern. Punkt.
Das Festival und sein ganzes Drumherum möchte aber auch deutlich machen: Die Welt retten muss keine freudlose Sache sein. Ganz im Gegenteil. Auch wenn wir eingangs noch festgestellt haben, dass wir, um die 3-Grad-Grenze nicht zu überschreiten, unseren Lebensstil vereinfachen müssen, ist das etwas bäuerliche Bio-vom-Berg-Buffet alles andere als karg. Botschaft angekommen. Wir machen ernst mit dem Naturschutz, aber ohne Ideologie und möglichst ohne Selbstgerechtigkeit.
Das INFF schafft also irgendwie, was die Grünen allerorts seit ihrer Gründung nicht hinbekommen: Es stellt still und unspektakulär sein eigenes belaubtes Modell neben unsere fetten BMWs. Das ist viel wirkungsvoller als die gängige Moralpredigt, weil die Aggression fehlt. Wir sitzen alle im selben Boot. Wenn wir an den menschengemachten Klimawandel glauben, dann haben wir alle zusammen Mist gebaut. Bio-Apfelsaft wird uns nicht den Kragen retten, aber er rückt die Dinge vielleicht in ein gute Verhältnis. (Der Erlös des ganzen Festivals wird im Übrigen in ein Naturschutzprojekt investiert)
Das, was wir so unbekümmert „Natur“ nennen, ist – ob wir das wollen oder nicht – unsere Lebensgrundlage. Und eigentlich lässt es sich in diesem Bewusstsein ganz gut leben.
Trotzdem hilft uns die leidenschaftliche Beschäftigung mit dem Thema nicht unbedingt, die Unberechenbarkeit, die grundsätzliche Unsicherheit zu begreifen.
Wir meinen gerne, dass wir über schöne Bilder auch die Sache begreifen. Das tun wir nicht. Auch Naturdokumentationen sind menschengemacht. Wir haben – das wird schon deutlich – eigentlich relativ wenig begriffen.
Highlights im restlichen Festival
Spektakulär und doch ganz naturwissenschaftlich ist der Film Lights on Earth, der mit einer neuartigen optischen Technik Klein- und Kleinstlebewesen sichtbar macht, die von sich aus strahlen. Moderiert vom großen David Attenborough. Heute, um 18.45 im Leokino.
Auch der künstlerische, entfremdende Blick auf die Natur hat im INFF seinen Platz: Heute wird ab 16.50 eine Auswahl animierter Kurzfilme gezeigt, die mit Humor, Zynismus oder Tragik unser Verhältnis zu unserer natürlich Umwelt porträtieren. Besonders spannend: Way of Giants und Fruit.
Pura Vida ist die dokumentierte Geschichte eines jungen Schweizers, der mit seinem Fahrradboot den Amazonas befährt. Über die Sehnsucht nach Harmonie und dem Weg into the wild. Heute um 22.35.
In Magical Moors dagegen geht es endlich um das Naturschöne. Jan Haft, einer der renommiertesten Naturfilmer Europas, hat sich einem unbeachteten Teil unserer heimischen Landschaften gewidmet. Die scheinen tatsächlich etwas Magisches zu haben. Morgen um 17.45.
Ein besonderes Anliegen ist dem Festival die Förderung junger Filmemacher. An beiden Nachmittagen kann man sich die Arbeiten von Nachwuchstalenten aus Europa, Nord- und Südamerika zu Gemüte führen.
Die werden auch bei der Preisverleihung am Freitagabend berücksichtigt. Insgesamt acht Awards werden vergeben und die mit den Hauptpreisen ausgezeichneten Dokus im Anschluss gezeigt. Und dann geht’s zum Feiern in die gegenüber liegende Machete.
Hier das vollständige Programm samt Rahmenveranstaltungen.
Titelbild und Bild: (c) Thomas Steinlechner