Über seine Liebe zu allem Fahrbaren hat sich Jim Jarmusch bislang noch nicht geäußert, aber sie ist ein wiederkehrendes Motiv in seinen Film. Einer der klassischsten Jarmuschs, Night on Earth, spielt ausschließlich in fünf Taxis in fünf Weltstädten. Adam, der untote Protagonist aus seinem letzten Geniestreich Only Lovers Left Alive lebt im untoten Detroit und fährt Vintage-Sportwagen.
Busfahren & Gedichteschreiben
Paterson (bezeichnenderweise: Adam Driver), der dem neuesten Jarmusch seinen Namen gab, ist Busfahrer. Das ist mit Sicherheit eine der frustrierendsten Arten, sich auf vier Rädern zu bewegen. Wo die Taxifahrer aus Night on Earth noch mit ihren rappenden, blinden oder klerikalen Fahrgästen plaudern können, ist Paterson stiller Zuhörer ihrer Eskapaden. Was aber durchaus seinen Charme hat – oder zumindest seine Komik.
Komisch ist auch die Routine, mit der Paterson jeden Morgen um 6.15 aufsteht, seine Liebste Laura (Golshifteh Farahani) küsst und den immer gleichen Weg zur Arbeit geht.
„Paterson“ heißt nicht nur er, sondern auch die Stadt, in der er sein ganzes Leben verbracht hat. Das ist ein schönes Sinnbild für das Leben im 21. Jahrhundert: Da geht man vor die Tür, vielleicht auf der Suche nach etwas, mit einem Notizbuch voller Gedichte in der Lunchbox, und findet doch immer wieder nur sich selbst.
Paterson, New Jersey, ist eine Ostküsten-Kleinstadt wie viele andere. Der Anteil an Afroamerikanern, Hispanics, Muslimen ist hoch, die Kriminalität beachtlich. Eine Szene, in der zwei etwa 12-jährige Afroamerikaner in Patersons Bus sitzen und darüber disputieren, wie viele Leute ihr Boxer-Idol umgelegt hat, ist komisch – und dann bleibt einem das Lachen im Hals stecken.
Aber es geht nicht um große Politik, nicht um die großen USA, sondern das kleine, banale, vielfältige, liebenswerte Amerika, in das offenkundig so viele den Glauben verloren haben. Schon vor 25 Jahren sagte Jarmusch: „I’d rather make a movie about a guy walking his dog than about the emperor of China.“
Was ist es wert, gefilmt zu werden?
Jetzt hat er es getan. Jeden Abend führt Paterson „Marvin“, die potthässliche und eifersüchtige Englische Bulldogge seiner Laura spazieren – oder eher: Marvin führt ihn spazieren. Dann wird der Hund angebunden und Paterson kippt in seiner Bar im Schwarzenviertel ein Bier.
Eine gute Woche geht das so. Es passiert nicht viel. Am Donnerstag liest ihm ein Mädchen ein wunderschönes Gedicht über den Regen vor. Hin und wieder schreibt er selbst eines. Über seine Lieblingsstreichholzmarke zum Beispiel. Und wie sie die Zigarette seiner Liebsten anzünden.
Etwa nach dem ersten Drittel fühlt sich der von der Poetik des Blockbusters abgestumpfte Kinobesucher ein wenig veräppelt. Was ist das für ein langweiliger, eigentümlich verletzlicher Held, der seine in Prosa verfassten, prosaischen Gedichte fast ebenso routiniert schreibt wie er Bus fährt?
Aber mit welchem Recht erheben wir uns über Paterson? Ist unser Leben nicht ähnlich eingespielt, nicht ähnlich ereignislos, nicht ähnlich armselig (mit Hollywood-Maßstäben gemessen)? Und meinen nicht auch wir, dass ein wenig Kunst, ein wenig Liebe, ein wenig Freundschaft es lebenswert genug machen?Unser Leben kommt uns vielleicht nicht besonders filmreif vor. Jetzt hat Jarmusch einen Film darüber gedreht.
Would you rather be a fish?
Und es passiert nicht viel. Am Freitag bleibt Patersons uralter Bus stehen. Jeden Abend wird sein kleines Suburb-Haus unter der kreativ unerfüllten Hand von Laura ein wenig schwarz-weißer. Am selben Freitag droht ein junger Mann in der Bar, seine Freundin und sich selbst mit einer Spielzeugpistole zu erschießen. Am Samstag frisst Marvin Patersons Gedichtesammlung auf. Am Sonntag sitzt er in Patersons Nationalpark vor den Great Falls. Ein Japanischer Geschäftsmann mit Zen-Ausstrahlung schenkt ihm ein neues Notizbuch. Und Paterson beginnt wieder zu schreiben. Vielleicht eine Sisyphos-Arbeit. Womöglich frisst der Hund auch dieses Notizbuch auf.
„Would you rather be a fish?“, fragt Paterson in seinem neuesten Gedicht. Wärst du lieber ein Fisch? Wäre das Leben in einem Goldfischglas im Vergleich auch ganz okay? Ist es vielleicht gar nicht so weit davon entfernt?
Schwer zu sagen. Aber vielleicht ja doch. Weil uns, im Gegensatz zum Goldfisch, keine Perspektive vorgegeben ist. Paterson, der Film, ist wie eines von Pattersons Gedichten: Er spielt mit alltäglichen, banalen Ereignissen. Aber der Blick darauf ist sehr zärtlich und voll leiser Ironie.
Frederick Elmes’ Kameraarbeit ist (wieder einmal) hinreißend – die Bilder von Paterson im goldenen Herbst, von seinen chaotischen, nicht gerade schönen Straßen, von seinem durchaus schönen Wasserfall, seinen skurrilen Einwohnern, sind ein Kunstwerk für sich. Jarmusch liebt die USA. Und er wagt immer wieder einen neuen Blick auf sie. Jarmusch liebt die Menschen. Und er wagt immer wieder einen neuen Blick auf sie.
Absurd und beglückend
Paul Auster, der ein bekennender Jarmusch-Fan ist und dessen Charaktere in etwa gleich skurril sind, schreibt einmal: „Wenn man seine eigene Absurdität erkennen kann, so steckt darin ein befreiendes Glücksgefühl.“
Paterson verhilft zur Erkenntnis, dass auch die Absurdität der anderen etwas Beglückendes an sich hat. Unser und Patersons Leben mag trivial und zufällig sein, und unsere Versuche, dagegen anzugehen – Liebe, Alkohol, Poesie – sind vielleicht ohnmächtig oder werden vom Hund gefressen. Aber wir werden nicht müde, dagegen anzugehen. Und am nächsten Tag sitzen wir am Wasserfall und schreiben ein neues Gedicht. Man muss sich Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen. Also: Would you rather be a fish? Vielleicht ja, schon. Aber es wäre irgendwie, auf absurde Weise, schade um dich. Würde Jarmusch sagen.
Paterson ist in dieser Woche allabendlich um 20.35 im Leokino sehen. Als gutes Indie-Kino wird es Paterson mit etwas Glück ebenso endlos spielen wie Only Lovers Left Alive. Man kann es also genauso gelassen angehen wie Paterson selbst.
Trailer
Titelbild: (c) Mary Cybulski