(c) Anna Schöpf
Die besten Szenen sind uninszeniert
Letztens habe ich einen Kurzfilm gedreht. Leider ist die Veröffentlichung auf YouTube ein bisschen schwierig. Unmöglich, geradezu. Von den ungefähr 50 Studenten, die vorkommen, haben wir ungefähr vier Fünftel nicht gefragt, ob sie vorkommen wollen. Juristisch gesehen gilt, dass man, um ein Schauspieler zu sein, auch wissen muss, dass man einer ist. Einverstanden sein muss man, glaube ich, auch…
Wir haben einen Essayfilm gedreht und dafür mehr dokumentiert als inszeniert. Hätten wir den Chiller, der völlig paniert am Geiwi-Vorplatz herumgeflackt ist gebeten, überzeugend einen bekifften Bildungsschmarotzer zu mimen, hätten wir nie so schöne Bilder bekommen.
Ich habe beim Filmen zum ersten Mal verstanden, wieso es eine ziemlich undankbare Angelegenheit ist, Szene für Szene zu planen und zu inszenieren. Man hat ein BIld vom fertigen Produkt im Kopf, arbeitet – im Falle des durchschnittlichen Blockbusters – mitunter Monate an Kulissen und Kostümen, kurz: an einer Illusion. Und dann ist es meistens eh irgendwie scheiße und nicht so, wie man es sich vorgestellt hat.
Was dokumentieren wir, wenn wir dokumentieren?
Das Dokumentieren ist etwas ganz anderes. Man nimmt, was man an Bildern bekommen kann. Auch die können inszeniert sein oder sind es unvermeidlich, sobald das Gegenüber kapiert, dass es gefilmt wird. Und dann macht man sich daran, aus dem Material etwas zu basteln, etwas Neues, das vorher nicht da war. Was dann herauskommt, muss keineswegs die klassische ethisch einwandfreie, politisch aufgeladene und ästhetisch unzumutbare Doku sein. Viele junge (und ältere) Filmemacher nutzen dokumentarische Elemente, um dann daraus etwas krass Anderes und künstlerisch Hochwertiges zu machen.
Von diesen avantgardistischen Revoluzzern haben wir auch in Innsbruck einige – oder sie sind zumindest aus dem hiesigen Institut für Sprachen und Literaturen, Fachbereich Komparatistik, hervorgegangen, um dann in die große, weite Welt auszuscheren.
Bei einem etwas akademisch gehaltenen „Reality Check“ im Künstlerhaus Büchsenhausen haben kürzlich drei junge Filmemacher und eine Filmemacherin demonstriert, wie die New Wave of Documentaries aussehen kann: Schräg, vieldeutig, (tragi-)komisch, manchmal sogar glossy.
Im Fall von Momentum (sh. unten) von Boris Seewald und dem Innsbrucker Kameramann Georg Simbeni wird aus einem Typ, der allein in einem kahlen Raum ekstatisch tanzt, eine abgedrehte Geschichte und zugleich etwas, das nahe am Musikvideo vorbeischrammt.
Daniel Dlouhy, den viele als zukünftigen Direktor des Internationalen Filmfestivals Innsbruck kennen, macht seit Jahren erfolgreich Spielfilme und Dokumentationen in allen möglichen Längen. Viele seiner Dokus sind in Osteuropa gedreht – Nischenprodukte über durchaus große Themen, die einen Blick auf Welten eröffnen, von denen die meisten von uns gar nicht wissen, dass sie existieren. Ihre Wirkung verfehlen seine Filme jedenfalls nicht. Irritation ist, wie wunderbar, eine davon.
Er bringt schön auf den Punkt, dass die fehlende Kontrolle beim Drehen das Fundament der Dokumentation ist, sodass man sich vielleicht mit einer recht konkreten Idee und einer Handkamera bewaffnet ins Getümmel wirft und dann etwas völlig anders daraus wird. Und genau das ist auch das Reizvolle daran.
Was man auf der anderen Seite der Linse lernen kann
Einen eigenen laienhaften 5-Minüter mit miesen Effekten und verwackelten Bildern zu drehen hat mir zum einen eröffnet, wie viele Leute intensiv zusammenarbeiten müssen, damit etwas Sehenswertes entstehen kann – und dass genau das etwas vom Schönsten daran ist.
Ich habe außerdem zum ersten Mal im Leben verstanden, wieso es einen Editing-Oscar gibt. Ein falscher Schnitt, die Wirkung ist futsch und die ganze Szene kann in den Papierkorb gehen. Ein Hoch auf Männer und Frauen wie Jay Rabinowitz, Susan E. Morse oder Affonso Goncalves, die viele unserer Lieblingsfilme geschnitten haben, ohne dass unter den Laien irgendjemand ihre Namen kennt!
Wenn wir etwas dokumentieren, ist das kein Abbild der Wirklichkeit. Es sind verarbeitete und vermittelte Imaginationen, die einen sehr subjektiven Blick widerspiegeln. Das ist vielleicht ernüchternd. Aber es heißt auch, dass wir sie ungeniert weiter verarbeiten, verfremden und in neue Zusammenhänge stellen können. Der Dokumentarfilm ist nicht der pathologisch nüchterne Sozialwissenschaftler, wenn der Arthaus-Film ein Hipster, der Blockbuster ein skrupelloser Kapitalist und der Kurzfilm ein ADHS-Patient ist.
Einfach mal ausprobieren…
Dokus sind eine eigene Kunstform, und was sie so alles für Möglichkeiten bietet, können wir gar nicht abschätzen. Aber wir können es ausprobieren, wenn es sein muss mit Handykamera und MovieMaker. Seit YouTube ist sogar der Film – mit Abstand die teuerste Errungenschaft der Kunstgeschichte – eine demokratische Maibaumfete geworden. Und es spricht nichts dagegen, sich auch mal im Erklimmen eines neuen Aussichtspunktes zu üben und selbst hin und wieder ein kleines Filmchen zu drehen.
Das kommt von jemandem, die bei Urlaubsfotos heftige allergische Symptome entwickelt und niemals selbst welche macht und für die der einzig gerechtfertigte Verwendungszweck eines Selfiesticks in der Selbstverteidigung liegt.
Nichtsdestotrotz: An die Kameras! Weil man Filme deutlich anders konsumiert, wenn man selbst mal einen gemacht hat. Weil der Blick durch die Linse viele Dinge irritierend oder wunderbar anders aussehen lässt und die üblichen Sehgewohnheiten zu armseligen Neurosen macht. Und weil es einfach verdammt viel Spaß macht.