Er hielt Ausschau nach seinem Freund Werner – immerhin hatten sie sich lange Zeit nicht mehr gesehen. Doch er konnte ihn nirgends entdecken. Wahrscheinlich würde er sich wieder mal verspäten. Als Paul endlich an ihrem üblichen Platz ankam, fand er dort nicht Werner, sondern Heinz und Christian, die ihn hämisch grinsend in Empfang nahmen. „Na Opa, heutzutage heißt es früher aufstehen. Sonst wird’s nix mit dem großen Business. Da verkauft sich ja sogar der türkische Honig besser als du“, pflaumte Heinz ihn an. „Ach Jungs, ihr wisst doch, es geht nicht ums Geld. Es geht darum den Kindern eine Freude zu bereiten.“, sagte Paul. „Ach was, aus welcher Zeit stammst du denn? Natürlich geht’s ums Geld, oder warum glaubst du, dass wir heuer schon im August antanzen mussten?“, fragte Heinz. „August? Wir sind Weihnachtsmänner. Unsere Saison beginnt im Dezember. Was redet ihr da für einen Unsinn?“, entgegnete Paul ungläubig. „Wirst schon sehen Opa“, antwortete Heinz und drehte sich um.
Paul war irritiert. War es wirklich erst August? Paul konnte das einfach nicht glauben. Er hatte noch nie wirklich darüber nachgedacht, welcher Monat eigentlich war. Er hatte sicher immer auf den Anruf verlassen, wenn der Marktleiter sich meldete und ihren Einsatz verlangte. Ja das stimmte schon, in den letzten Jahren war er immer seltener richtig ausgeruht und der Elan fehlte ihm – er hatte das aber auf sein, doch schon recht fortgeschrittenes Alter geschoben. Fünf Minuten vor Öffnung des Marktes trudelte Werner endlich ein. Er schlenderte seelenruhig beim Mitarbeitereingang herein und stolperte fast über eine Erdbeere, die beim Aufbau der Obstabteilung auf den Boden gefallen war. Eine Erdbeere? Eine Erdbeere mitten im Winter?
„Hallo Werner, hier oben. Komm, mach schnell. Gleich geht es los. Die Leute warten schon vor der Türe. Du weißt doch, heute gibt’s uns billiger, wie immer am ersten Tag. Komm schnell!“, schrie Paul Werner entgegen, der gerade an den Bananen vorbeischlenderte und überhaupt nicht gestresst wirkte. „Ach Paul, bin ja schon da. Na wie geht’s?“, gähnte Werner Paul ins Gesicht. „Du bist mir aber einer. Die Sorglosigkeit der Jugend hätte ich auch gerne. Ach Werner, komm her – wie siehst du denn aus? Mach doch mal die Mütze gerade und die Brille ist ja auch ganz verschmutzt, warte ich helfe dir.“, sagte Paul. Als er auf Werner zuging sprang plötzliche jemand hinter dem Bananen Regal heraus. Paul erschrak. Wer war das? Was war das? So ein Wesen hatte Paul noch nie gesehen. Zwei lange Ohren, eine Stupsnase, Barthaare und offenbar ein fröhliches Gemüt. Immerhin lachte es.
„Das ist mein Freund Franck“, erklärte Werner, der offenbar Pauls überraschten Gesichtsausdruck bemerkt hatte. „Wir kennen uns seit diesem Sommer, als ich im Laden vorbeischaute, weil ich ja meine Mütze hier vergessen habe. Damals waren Franck uns seine Freunde gerade im Laden. Sie sind die Weihnachtsmänner des Frühlings. Ziemlich witzige Truppe.“ August. Erdbeeren. Bananen. Frühlings-Weihnachtsmänner? Paul verstand die Welt nicht mehr. Was ist nur aus dem guten alten Weihnachten geworden? Paul hatte keine Zeit lange darüber nachzudenken. Die Ladentüren öffneten sich. Gestresste Mütter, überforderte Großmütter und Großväter strömten durch den großen Eingang in das Geschäft. Nun hieß es stramm stehen, lächeln und verführerisch aussehen. Heute geht es eben doch ums Business.