Geschäftiges Treiben in der Stadt. Eine Veranstaltung jagt die nächste. Jede einzelne kommt mir vollkommen sinnlos vor. Sinnentleert. Ich kann mir keine Haltung mehr dazu abringen, sie nicht einmal mehr uninteressant oder schlecht finden. Ich weiß, dass ich mich dazu nicht mehr positionieren kann. Ich schweige. Halte mich zurück. Lasse es über mich ergehen und gehe einfach nicht mehr hin. Ich gehe einen Pakt mit mir selbst ein und begebe mich in die beste Gesellschaft von drei fantastischen Musikern.
Löscht zu viel vom Immergleichen eigentlich die Differenzen aus? Ist es der Zustand der Neutralität, der zugleich so zermürbend und befreiend ist? Eine Gefühl der Indifferenz, ich muss mich nicht mehr verhalten. Endlich. Zu nichts mehr. Das Verhalten der Menschen zu und bei den einzelnen Veranstaltungen ist mir damit fremd geworden. Fast schon befremdlich erscheint mir diese Aufmerksamkeitsmaschinerie, die in immer kürzeren Abständen meine Aufmerksamkeit bündeln möchte. Ich bleibe neutral, werde ein Neutrum. Ständiges werden. Ganz ruhig.
Ich klicke kurz in die Veranstaltungen hinein, höre mir ein paar Sekunden Musik an von der Band oder von den Musikern, die den Rahmen der jeweiligen Veranstaltung mit Musik füllen möchten. Die Musik wirkt abgestanden. Fade. Es ist nicht nur so, dass sie mich nicht mehr interessiert. Sie stößt mich ab. Ich reagiere fast schon aggressiv und zugleich mit vollkommener Gleichgültigkeit und Gelassenheit. Ruhig ist es hier geworden. Leise. Die Sekunden der Musik die mich kurzfristig in ihrer Belanglosigkeit geärgert haben sind vergessen. Verhallt.
Es wirkt so als würde alles abgleiten. Die Inhalte die den Rahmen füllen sollten erfüllen mich nicht mehr. Erfüllung ist Notwendigkeit. Ist die Suspension von Beliebigkeit. Genau das ist auch die Problematik, denn die Notwendigkeit ist vorhanden. Alles ist zwingend. Notwendigerweise so. Die Ästhetik und die sich darin ereignenden Überraschungsmomente sind klar abgesteckt. Definiert. Die Ästhetik des Rauschens, der Indifferenz, die mir eigentlich sehr vertraut ist. Sie ödet mich an. Weil sie mir zu ähnlich ist? Brauche ich Schärfe, Klarheit und Komplexität als potentiell sich eröffnender Möglichkeitsraum?
Ich argumentiere. Rede. Mache mir die Mühe überzeugen zu wollen. Und überzeuge mich nicht mehr. Ich falle mir im Reden selbst mit meinen Gedanken ins Wort. Ganz so, als ob ich schon ganz wo anders stünde. Ich bewege mich ständig und kann dennoch nicht mehr benennen, wogegen ich mich stütze um die Orientierung nicht zu verlieren. Ich weiß nur, dass ich das Geländer immer wieder wegstoßen muss, damit ich falle oder zumindest wanke. Ich springe nicht, sondern suche mir neue Orientierungspunkte. Ich schlage alte Rahmen kaputt und nehme keine Rücksicht darauf, was sonst noch zu Bruch geht. Ich denke nicht mehr, ich lasse mich treiben. Wer sich herumtreibt ist mir egal. Wichtig ist mir, was mich umtreibt und antreibt. Ich habe keinen Antrieb mehr weil ich zu viel gekappt und kaputtgeschlagen habe.
Anderswo Hektik. Aktivität. Der Besuch von beliebigen Veranstaltungen um sich selbst zu bestätigen. Bestätigend stehen sie da, nicken zu den abgekarteten Mechanismen, warten auf ihre Schemata die dann auf vollste Zustimmung stoßen. Gerade in der Auflösung kommt es zu der paradoxen Situation, dass der Weg eine Einbahn ist und Auflösung nicht mehr genau benannt werden kann. Hauptsache etwas löst sich auf. Es ist Selbstzweck und erschöpft mich. Die Zuschauer werden zur Masse, zum amorphen Brei. Applaus, Zustimmung, Begeisterung. Euphorie. Ich fühle mich leer. Zugehörigkeit schafft Ausschluss, die Akzeptanz von kollektiven Schemata ist die Eintrittskarte. Ich gehöre nicht mehr dazu. Ich täusche Interesse vor, heuchle, während ich mich maßlos langweile.
Ich verlasse die Veranstaltungen zunehmend immer früher. Manchmal schon in den Pausen. Zunehmend beginne ich Veranstaltungen zu ignorieren, die mir früher die Welt bedeutet haben. Jetzt stehe ich da. Mit einer Welt, die nicht mehr die meine ist. Dicht besiedelt, dicht gedrängt, Aktivität vortäuschend, während ich eigentlich nur Ruhe suche. Zeit zum Nachdenken. Die Möglichkeit, mir nicht mehr selbst in Wort zu fallen. Ich rede immer weniger. Wenn ich rede, dann versuchsweise über Dinge, die mir etwas bedeuten. Gar nicht so einfach bei der zunehmenden Verödung der Dinge, die mich früher begeistert haben. Ich überlege ernsthaft, ob ich noch schreiben soll. Noch sprechen. Oder nur mehr genau hinhören soll in der Hoffnung, dass mir die Bedeutung dann wieder klar wird. Die Substanz wieder sichtbar.
Es wirkt so, als hätte ich alles übertüncht, überschrieben, überschrien. Ich war zu laut, habe mich zu einfacher Schemata und Muster bedient. Jetzt versagt meine Stimme. Alles ist verschwommen, nicht mehr griffig genug. Im selben Moment suche ich die Art von Kunst und Musik, die mir keinen direkten Zugriff mehr erlaubt. Die sich entzieht. Die einfache und vorhersehbare Schemata vermeidet. Das Leben ist eine Schimäre mit zu vielen Evidenzen. Zu viel von konstruierter Eindeutigkeit, die mich krank macht. Zu vieles als Selbstzweck, als Tun um zu Tun. Ich sehne mich danach nicht mehr tun zu müssen, sondern nur noch zu tun, wenn etwas drängt. Entschleunigung als Ziel.
Ich höre noch ein wenig Musik. Es sind die Bach-Interpretationen von Chris Thile. Die Musik fließt ruhig, ist in sich absolut logisch aufgebaut. Die Musik drängt mich nirgendwo hin, sie stellt nichts aus und Thile stellt sich nicht als virtuoser Musiker vor, der er zweifellos ist. Die Musik wirkt mühelos. Fast demütig spielt er die Musik und doch gewagt, kühn. Die kühle Wärme dieser Liedkonstruktionen berührt mich wie schon lange nichts mehr. Vielleicht liegt es daran, dass Bach immer wieder Schemata und Anleitungen entworfen hat, diese aber zum Ausgangspunkt für neue Möglichkeiten werden? Die Konstrukte sind sich nie selbst genug, sie wirken fast wie Übungen an Anregungen, um sie zu überschreiten. Ständige Bewegung.
Es könnten sein, dass ich der Welt gar nicht abhanden gekommen bin. Es ist denkbar, dass es nur an der Inkompatibilität mit dieser einen Stadt liegt. Ich muss raus. Ich muss weg. Womöglich für immer. Oder ich muss mich einfach nur anders zu dieser Stadt verhalten, muss einen neuen Zugang zu ihr finden. Sie hat mich erschöpft, weil ich intensiv alles aus ihr an Möglichkeiten abschöpfen und nutzen wollte. Zu wenig war dabei wichtig, zu vieles substanzlos und oberflächlich. Jetzt bin ich selbst pure, stille Oberfläche, die leicht zittert und keine Klarheit mehr findet.
Ich bin der Welt abhanden gekommen!
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Elfenbeinturmbewohner, Musiknerd, Formfetischist, Diskursliebhaber. Vermutet die Schönheit des Schreibens und Denkens im Niemandsland zwischen asketischer Formstrenge und schöngeistiger Freiheitsliebe. Hat das ALPENFEUILLETON in seiner dritten Phase mitgestaltet und die Letztverantwortung für das Kulturressort getragen.