Was hält das Leben für mich noch bereit? Soll es das schon gewesen sein? Arbeiten. Nach Hause gehen. Essen. Auf der Couch abhängen. Ab und zu ins Kino, ins Theater oder etwas Sport. Ist das wirklich das Leben, für das es sich zu leben lohnt? Oder ist das nur eine bürgerliche Illusion von Leben, die mich klein hält, die meine Träume ins Reich des Unmöglichen verbannt und mir nicht eine Sekunde lang erlaubt, zu glauben, sie könnten irgendwann einmal wahr werden? Muss ich aus dieser hemmenden Szenerie ausbrechen, um das echte Leben zu spüren? In all seiner Härte? Rau und kalt? Muss ich die zivilisierte Wildnis hinter mir lassen und mich in die echte Wildnis wagen? Muss ich ins Nichts starren, um mich endlich selbst zu sehen?
Das sind fragen, die man sich wohl nur dann stellt, wenn man gut behütet, gut ausgebildet, ohne Sorgen und Zukunftsängste aufwächst. Will Andrews ist so ein Mann. Ausgedacht hat ihn sich der amerikanische Autor John Williams. Und er schickt seine Romanfigur aus dem bürgerlichen Boston in Richtung Westen, dorthin wo die Wildnis regiert und längst Besitz von den dort lebenden Individuen ergriffen hat. Will Andrews stellt sich die eingangs erwähnten Fragen und sucht im Wilden Westen um 1870 die Antworten. Mit dem Zug kommt er nach Butcher’s Crossing, einem Ort, der eigentlich keiner Erwähnung Wert wäre, wäre er nicht Sinnbild, Kulisse und Prototyp einer Wildwest Kleinstadt, wie wir sie aus unzähligen Filmen kennen.
Für Will Andrews ist Butcher’s Crossing Ausgangspunkt einer Reise, die ihn verändern wird. Er trifft dort auf geschäftstüchtige Händler, auf fragwürdige Büffeljäger und auf Frauen, die ihren Körper für Geld und Whisky verkaufen. Kurzum. Er begegnet einem völlig neuem Leben, völlig Unbekanntem. Als Suchender wird er rasch zum „Opfer“ von Büffeljäger-Spinnereien. Irgendwo hoch im Norden, im Herzen der Rockys soll es ein unerforschtes Tal geben, indem tausende von Büffel weiden. Die besten Winterfelle und ordentlich Profit erwartet sich ein legendärer Jäger namens Miller. Antworten auf die Sinnfrage des Lebens, erhofft sich Will Andrews. So brechen sie zu viert (ein Wagenlenker und ein Häuter kommen mit) auf, in ein Abenteuer, das es längst zu einem Klassiker der amerikanischen Literatur geschafft hat.
In John Williams „Butcher’s Crossing“ reitet man gemeinsam mit Will Andrews tagelang durch die Prärie, so lange bis die Arschbacken wund und die Augen müde sind. Man lernt den Umgang mit der Flinte, das Häuten steifer Büffelkadarver und das Abhalten von hungrigen Wölfen. Und man lernt allerhand über das menschliche Sein, die Abgründe, Beweggründe und den Antrieb hinter dem, was wir Leben, Überleben nennen. Am Ende der Lektüre hat sich nicht nur der Hauptprotagonist Andrews verändert, sondern auch der Leser. 368 Seiten echtes, spürbares, stinkendes Abenteuer liegen hinter einem. Mit Wildwest-Romantik hat all das wenig zu tun. Fans von kargen Prärielandschaften, miesen Typen, viel Frischluft, Freiheit und Abenteuer kommen aber dennoch ganz auf ihre Kosten.
Ein amerikanischer Klassiker. Ein Wildwest-Abenteuer mit Tiefgang. Ein Wildwestroman, der das Lesen von Paulo Coelho unnötig macht.
Butcher’s Corrsing | John Williams
EUR 10,90 € [DE], EUR 11,30 € [A]
Online kaufen bei Wagnersche Innsbruck und Tyrolia.
dtv Literatur
Aus dem Englischen von Bernhard Robben
368 Seiten, ISBN 978-3-423-14518-3
9. Dezember 2016, LINK zum Buch
Der Autor:
John Williams wurde 1922 in Texas geboren. Trotz seiner Begabung brach er sein Studium ab. Widerstrebend beteiligte er sich an den Kriegsvorbereitungen der Amerikaner und wurde Mitglied des Army Air Corps. Während dieser Zeit entstand die Erstfassung seines ersten Romans, der später von einem kleinen Verlag publiziert wurde. Williams erlangte an der University of Denver seinen Master. 1954 kehrte er als Dozent an diese Universität zurück und lehrte dort bis zu seiner Emeritierung 1985. Er veröffentlichte zwei Gedichtbände und vier Romane, von denen einer mit dem National Book Award ausgezeichnet wurde.John Williams starb 1994 in Fayetteville, Arkansas. (dtv)