Wer weiß in Zeiten von Silberstein & Co. überhaupt noch, was wahr ist und was nicht? Sicherlich nicht Christian Kern. Noch weniger der österreichische Wähler. Und am aller wenigsten Rainer Nowak. Immer dann, wenn Menschen nicht mehr genau wissen, was nun Faktizität oder doch eher Mythos ist, blüht Philosophie. Sie ist dann sozusagen das Aspirin, wenn die Koexistenz von zu vielen widersprüchlichen ‚Wahrheiten‘ Kopfschmerzen erzeugt. Zieht man hierzu eine x-beliebige Philosophiegeschichte aus dem Bücherregal, findet sich im Regelfall als erste Kapitelüberschrift „Vom Mythos zum Logos.“ Wobei, eine derartige Entwicklung kann lediglich rückblickend so erfasst werden. Die Griechen selbst kannten nicht einmal wirklich ein Wort für Lüge. So nannte man die realitätsverzerrende Redekunst eines Odysseus weniger ein unmoralisches Übel als vielmehr eine erfolgsbringende Tugend. Odysseus‘ Logos verzichtet auf moderne Wahrheitsansprüche und würde heutzutage am ehesten als erzählerische Kohärenz verstanden werden. Ob das alles, was da gesagt wird immer stimmt, ist im Grunde zweitrangig, wichtig ist, dass es Sinn macht. Dieser Leitgedanke des homerischen Logos findet sich dreitausend Jahre später in den Strategiepapieren populistischer Wahlkämpfe wieder. Sei es Trump, Macron, Kurz oder die neue Werbung von Hartlauer: narrative Logik braucht keine Evidenz, sie muss nur rund sein. Nicht selten erscheint das Mythische dagegen mit seinen offenen Widersprüchen und hinkenden Erklärungsversuchen näher an dem, was wir landläufig Wahrheit nennen, als die glattpolierten, elegant in Parteifarben gegossenen Erzählungen quadrierter Kreise. Für Hannah Arendt stehen Wahrheit und Politik sogar in gewissem Sinne auf Kriegsfuß. Politik besitze eine Fähigkeit einer kaum korrigierbaren Selbsttäuschung, die abseits dem umfassenden Weltdeutungsanspruch der mythologischen Erklärung einer ausgefeilten Ratio der Verblendung im Detail folgt. Der Mythos weiß im Letzten, dass er hinkt und jede seiner Geschichten zwanzig verschiedene Versionen besitzt. Unsere wahrheitsbesessene Welt erlaubt das jedoch nicht mehr. Die Wahrheitssuche ist an Perfektionismus erkrankt und halluziniert schon. Inhalte müssen so glatt und sauber sein wie die makellosen Äpfel, die unreif geerntet Erdboden nur als Aussortierungsgrund kennen. Wie kein anderer malt Homer in postmoderner Manier um die Gestalt des ithakischen Königs eine Ästhetik der Lüge. Dabei gilt es eines auszumerzen: die Hässlichkeit der Wahrheit. Es bleiben noch zwei Wochen Wahlkampf, lassen wir uns von seiner Schönheit bezirzen. Hat doch auch ein immerzu lügender Odysseus seine Irrfahrt – zwar erst nach zehn Jahren – schließlich beenden können.
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