Lili Körber wurde 1897 in Moskau geboren. Dort war ihr Vater als Kaufmann tätig; er stammte aus Galizien (damals Teil des Habsburgerreiches), ihre Mutter aus Warschau (zum Russischen Reich gehörig). Lili Körber betrachtete Russland als ihre Heimat, sie sprach fließend Russisch, neben Deutsch und Französisch.
Mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs sah sich die Familie Anfeindungen ausgesetzt, der Vater musste vorübergehend sogar ins Gefängnis. Die Familie floh über Berlin nach Wien, wo sie sich dauerhaft niederließ. Lili studierte zunächst in der Schweiz, sodann an deutschen Universitäten. 1925 promovierte sie im Fach Germanistik. Sie kehrte nach Wien zurück, wo sie in der Folge lebte, sofern sie nicht auf Reisen war.
Ihre erste nachgewiesene Veröffentlichung stammt aus dem Jahre 1927 und erschien in der Arbeiterzeitung. In der Folge publizierte sie auch in der Roten Fahne, dem Organ der Kommunistischen Partei. Das zeigt bereits ihre politischen Sympathien. Ob und wie lange sie Mitglied einer Partei war, ist nicht ganz klar. Ab 1933 fungierte sie als Funktionärin beim „Bund proletarisch-revolutionärer Schriftsteller Österreichs“ (BPRSÖ), trat dort jedoch bald wieder aus. Wie mir scheint, schwankte sie in ihren Sympathien zwischen Moskau-treuen Kommunisten und Sozialdemokraten. Wohl aufgrund ihrer Russland-Besuche dürfte sie sich zunehmend von ersteren entfernt und letzteren angenähert haben. Als linientreue, ideologisch gefestigte Parteigenossin eignete sie sich gewiss nicht.
1930 besuchte sie die Sowjetunion und blieb fast ein Jahr lang dort. Für einige Wochen verdingte sie sich als Arbeiterin in den Putilow-Werken in Leningrad. Sie bediente eine Bohrmaschine. Nach der Rückkehr berichtete sie davon in ihrem ersten Buch Eine Frau erlebt den Roten Alltag, das 1932 erschien.
Im Januar 1933 besuchte sie Berlin. Was sie dort beobachtete, das verarbeitete sie im Roman Eine Jüdin erlebt das neue Deutschland. Das Buch erschien 1934 in Wien, wurde jedoch verboten – wegen Blasphemie. Inzwischen hat es unter dem Titel Die Ehe der Ruth Gompertz eine Neuauflage erfahren. 1935 unternahm sie als alleinstehende Frau eine Reise, die sie mit der Transsibirischen Eisenbahn bis Wladiwostok führte, von dort weiter nach Japan und China. Auch davon liegt ein Bericht vor, nämlich Begegnungen im Fernen Osten (1936). Dieses Buch ist 2020 ebenfalls neu aufgelegt worden; leicht aufzutreiben scheint es allerdings nicht zu sein.
Auf der Rückreise – wieder mit der Transsibirischen Eisenbahn – machte sie in Moskau Halt, um ihren Freund Franz Koritschoner zu überreden, die Sowjetunion zu verlassen. Offenbar sah sie die Gefahr, in welcher er schwebte, klarer als er selbst. Als kommunistischer Funktionär blieb er in Moskau, wurde prompt verhaftet, ins Lager gesteckt und später, nach dem deutsch-sowjetischen Pakt vom August 1939, an die Nazis ausgeliefert, die ihn 1941 in Auschwitz ermordeten.
Lili Körber gelang es, 1938 zunächst in die Schweiz zu flüchten. Dort erschien Eine Jüdin erlebt den Anschluss. In weiterer Folge gelangte sie über Paris und Lissabon in die Vereinigten Staaten, wo sie bis zu ihrem Lebensende (1982) blieb. Mit dem Schreiben ging’s drüben nicht mehr so gut, weswegen sie sich als Krankenschwester ausbilden ließ und in dieser Funktion arbeitete.
Amerika, Amerika
Ich sitze zwischen zwei Stühlen,
Der alten und neuen Welt,
Dort bin ich mit meinen Gefühlen,
Doch hier verdien ich mein Geld.
Dort schrieb ich glühende Verse
Und sang „Zur Freiheit, zum Licht!“
Hier spiel‘ ich auf der Börse
Und höre den Baseballbericht.
Oh neue Welt, die mir mein Ich zerriß,
Mein Selbstbewußtsein und mein Selbstvertrauen,
Du bist wie ein nicht passendes Gebiß,
Doch ohne Dich könnte ich nicht kauen.
Wie schon gesagt, sind ihre Werke bestenfalls vereinzelt in Umlauf; die meisten, scheint’s, überhaupt nicht. Ich hab’ die Ruth Gompertz gelesen sowie die Begegnungen, die wir zufällig in der Stadtbücherei in Innsbruck entdeckt haben. Eben erst ist ein antiquarisches Exemplar von Eine Österreicherin erlebt den Anschluss bei mir eingetroffen. Lili Körbers Bücher haben mich zutiefst beeindruckt: ihre umfassende Bildung, ihre Wachheit, was gesellschaftliche Beobachtungen angeht, aber auch – vielleicht am bemerkenswertesten – ihr treffsicherer Stil, manchmal geradezu leichtfüßig, quasi mit einem Lächeln, einem Augenzwinkern. Niemals strenge politische Linientreue, immer mit einem Blick auf persönliche Beziehungen sowie auf das, was man heutzutage „Spaß“ nennen würde. Auf Bildern jener Zeit lacht sie lustig, ein bisschen frech – ein Mädchen, das man nur zu gerne kennenlernen würde.
Nach Österreich ist sie nicht mehr zurückgekehrt – leider. Wie hätten wir so eine Frau brauchen können!
Lili Körber, Die Ehe der Ruth Gompertz (Leipzig: Gustav Kiepenheuer, 1988). Erstmals erschienen 1934 unter dem Titel Eine Jüdin erlebt das neue Deutschland.
Lili Körber, Begegnungen im Fernen Osten: Eine Reise nach Japan, China und Birobidschan im Jahre 1934 (Wien: Promedia, 2020). Erstmals erschienen 1936.
Walter Fähnders, „Lili Körber“, 20er Jahre (Dezember 2016) <https://litkult1920er.aau.at/portraets/koerber-lili/> [heruntergeladen 24. Oktober 2021]. Dort auch das Gedicht „Amerika“, zit. nach Sigrid Schmid (exilarchiv.de).