Im Grunde genommen war bereits diese Schigymnastik ein Aufweichen der Stirnreihe. Ein Pfiff des Turnlehrers und schon hetzten alle Schüler zur Seitenlinie am Parkett des Turnsaales um sich dort der Größe nach, Augen geradeaus, Zehenspitzen am Linienrand, in Stillschweigen aufzustellen.
Barfuß, kurze, schwarze Turnhose, weißes Feinrippunterleiberl mit mittig aufgenähtem Emblem der Schule. Pfiff. Rechtsum. Marsch. Zweierreihe. Reihe. Viererreihe. Und nun das Ganze im Laufschritt. 70er Jahre. Wo erst die Oberstufler mit langen Haaren und sanftlinker Aufmüpfigkeit gegen die Ordnung zu rebellieren versuchten. Rock and Roll und Discosound.
Man kann die Macht der Musik gar nicht hoch genug einschätzen. Herbert K. hatte das selbst erlebt: Ra-Ra-Rasputin, Russia´s greatest love machine. Im peitschenden Rhythmus. Situps. Liegestütz. Kniebeugen. Pfiff. Stationenwechsel. Boney M.. Frank Farian. Zirkeltraining. Und der ganze Turnsaal robotet. Wird zu einer Einheit. Zu einer gleichförmigen Bewegung. Mit der in der Musik versteckten Botschaft: Rasputin, Russland. Irgendwie hat das Herbert K. bis heute geprägt. War sein politisches Erweckungserlebnis und führte zu einer ersten Auseinandersetzung mit dem Bolschewismus, mit dem Kommunismus. Seinem jugendlichen Schwanken zwischen totaler Ablehnung und Bewunderung. Seiner Suche nach stringenten Vergleichen.
Wie hatten das Hitler, Mussolini und Mao gemacht? Woran waren sie letztendlich gescheitert – abgesehen von den Chinesen. Und wie konnte es später passieren, dass aus Graz, der ehemaligen Hochburg unter dem Bürgermeister Alexander Götz, eine kommunistische Stadt wurde?
Ist es der Drang zur eigenen Machterhaltung, der die ideellen Grundlagen korrumpiert und das Fußvolk zum Spielball der Nomenklatura degradiert? Haider, Kärnten, Strache, Ibiza. Wenn man die Reinheit der Lehre den Disputanten opfert, dann hat man schon verloren. Nicht wir sind Kirche, sondern die Kirche sind wir. Sich nicht dem Wind beugen, sondern ihm die Stirn bieten. Die reine Lehre. Die Orthodoxie. Das war die Antwort für Herbert K.: Im Fundamentalen keinen Schritt zurück. Vorwärts. Marsch. So wie es Mussolini 1922 vorgezeigt hat. Mit seinem Marsch auf Rom. Und mit der Meloni könnte sich Herbert K. schon den einen oder anderen Wandertag vorstellen … Oder Mao. Der Lange Marsch. In einem Jahr 12000 Kilometer. Auch wenn nur gut 9000 von den 90000 Kämpfern lebend ihr Ziel erreicht hatten.
Na ja. Kommunisten. Da fühlte sich Herbert K. dann doch besser bei den alten Griechen aufgehoben. Leonidas. Sparta. Die Dreihundert. Es gilt sich in der Geschichte die richtigen Querverbindungen heraus zu suchen. Und daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen. Wie beim Jakobsweg. Da fragt niemand nach dem Weg, der Weg selbst ist das Ziel. Wird zur perfekten ideologischen Pilgerfahrt. Zum ehernen Guss aus Hingabe, Überzeugung und Gruppenzugehörigkeit. Mit Liedern, Symbolen und Einheitsgefühl.
Pilgern. Die Pilgerreise des Herbert K.. Von Bayreuth zum Ulrichsberg. Von Richard Wagner zum Kärntner Heimatgesang. Zuerst von Bayreuth nach Chemnitz. Jause mit Björn Höcke. Und dann in Etappen weiter über Karlsbad, Franzensbad, Marienbad, Pilsen und Krumau. Durch Tschechien. Uraltes, deutsches Siedlungsgebiet. Zumindest Bierbrauen können die Tschechen.
Ab Freistadt bis zum Ulrichsberg wird dann ohnehin jede Etappe zum Heimspiel. Auf die Oberösterreicher ist Verlass. Ried, Braunau. Mit abendlichem, geselligem Beisammensein. Gepflegtes Liedgut und zünftige Gespräche. Da kann sich im benachbarten Niederösterreich der Landbauer was abschauen. Ein Liederbuch allein macht noch keinen Sänger. Aber – Herbert K. gab sich da keinen Illusionen hin – von persischer Seite her schaut das Kulturverständnis halt doch ein wenig anders aus. Niavarani hin, Niavarani her, abzüglich der Körperfülle wirken schon beide ein wenig mediterran und mit einem starken Haaransatz versehen.
Es gilt schlicht die abendländischen Werte hochzuhalten. Aus den altgriechischen Idealen zu schöpfen. Athen. Sparta. Das hatte für Herbert K. nichts, aber schon gar nichts mit märchenlesenden Dragqueens zu tun, oder gar mit einer Loveparade. Man darf das alte Griechenland auf keinen Fall mit dieser LGBT Bewegung in einen Topf werfen. Vielmehr geht es darum, dass gestandene Männer die Jünglinge in das Leben einführen. Wenn dies offen und ehrlich geschieht – und da war sich Herbert K. absolut sicher – dann kann so ein junger Spund durchaus auch in seinem pubertären Suchen von einem väterlichen Freund mehr als nur profitieren.
Wie sehr hatte Herbert K. sich immer einen solchen Freund als seinen Mentor gewunschen. So einen wie den Jörg Haider.
Aber den hatte ihm der Petzner weggeschnappt.