Ein Parteiführer im Landtag muss entsetzt feststellen, dass ihm ein anderer Parteiführer über Nacht in der Nähe seines Hauses ein Asylheim einrichten will.
Ein kurzes Telefonat zwischen den beiden, und das Heim wird jetzt anders belegt. Wahrscheinlich wird man darin Frauen mit Kleinkindern eine Notunterkunft bieten.
Der eine Parteiführer konnte seine Idylle im Großraum der Hauptstadt wieder frei halten.
Der andere, aus dem nahe liegenden Tal heraus für Asyl zuständig, konnte durch seinen schnellen Umschwenken in der Besiedlungspolitik punkten, indem er jetzt Platz für Frauen in Not hat.
Dazwischen ist noch ein paar mal die Szenebeschreibung dramatisiert worden: Entlegen, ohne Öffis, ohne Integrationsmöglichkeit, toxisch männlich!
Jetzt ist wieder alles klar und die beiden Parteiführer können standesgemäß weiterleben.
Bei dieser Gelegenheit wird deutlich, dass alle in Tirol „standesgemäß“ untergebracht sind. Ein paar Privilegierte können sich dabei den Wohnort selbst aussuchen, die meisten müssen freilich sehen, wo sie bleiben.
Zumal die Privilegierten immer streng darauf achten, dass niemand un-standesgemäß in der Nachbarschaft einzieht.
In einem frühen „kapitalistischen Witz“ wurde den Arbeitern empfohlen, immer am Feind dran und in seiner Nähe zu bleiben, damit die eigene Lebensqualität steigt.
Und in der Tat waren im Tal drunten meist die Schlote, Kaschemmen und Wasserwehre installiert, während auf den Anhöhen rundum die Fabrikinhaber mit den Privatlehrern für ihre Kinder zu residieren pflegten.
Wenn du als Arbeiter am Kapitalisten dran bleiben konntest, hattest du wenigstens gute Luft und Vogelgezwitscher, wenn du auf einer Decke vor der Villa das Nachtlager aufschlagen durftest.
Am Qualitätsunterschied beim Wohnen hat sich bis heute nichts geändert.
Erstens dürfen nur die wählen, die eine Staatsbürgerschaft haben, und diese resultiert wie zu feudalen Zeiten meist aus dem Besitz.
Zweitens kriegst du als Politiker keine Stimmen zusammen, wenn du in einer miesen Gegend unter Habenichtsen wohnst.
Also bleibt drittens die Hilflosigkeit der Massen, ihr Schicksal zu verändern.
Ein Blick in die Wohnsituation der Volksvertretung im Landtag zeigt quer über die Parteien hinweg, dass es in Tirol einerseits politisch taugliche Wohngebiete und andererseits vernachlässigbare Durchfahrtsgebiete gibt.
Den Verkehrsunfug auf der Fernpassstrecke und im Wipptal kann man politisch nur durchbringen, wenn die dort Wohnenden keine politische Vertretung haben.
Als Politiker im Sonnenschein wohnend muss man sich kritische Massen immer fernhalten, denn die Habenichts verstellen bald einmal das Sonnenlicht auf der PV-Anlage, wenn man nicht auf der Hut ist.
So gesehen war dieser kurze Asyl-Ausreißer zwischen den Politführern neulich ein guter Test, ob wohl noch alle standesgemäß wohnen im Land.
Der Test ist gelungen, das exquisite Refugium für die politische Kaste kann wieder beschwerdefrei bewohnt werden.
STICHPUNKT 24|85 // Helmuth Schönauer 28/10/24