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Morgengrauen

Ein neuer Herbert.

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Der Fasching war für Herbert K. eine herausfordernde Zeit. Und das liegt nicht nur daran, dass er ein Kärntner ist. Dieser Zwang zu kollektiver, aufgesetzter Lustigkeit, diese puderbezuckerten Faschingskrapfen, die ihm jedes mal Sodbrennen verursachen, und dazu diese albernen Kostümierungen. Dabei hatte er sich so auf sein erstes Faschingsfest im Kindergarten gefreut. Wie aufgeregt die anderen Gruppenkinder und er schon Tage zuvor waren! Als Indianer wollte Herbert gehen, aber als ein richtiger, ein Häuptling. Mit buntem Federschmuck, Friedenspfeife und Tomahawk. Schließlich hatte ihm ja die Oma versprochen ein tolles Kostüm zu besorgen.

Nie zuvor und auch später nicht, hatte sich Herbert K. jemals derart deplatziert und unwohl gefühlt, wie zwischen all diesen Cowboys, Indianern, Prinzessinnen und Feen. Nur mühselig gelang es ihm seine Enttäuschung und Wut hinunter zu schlucken und die aufsteigenden Tränen zurück zu halten. Voller Fleiß hatte ihm seine Großmutter persönlich ein Kostüm gehäkelt. Aus juckender, kratzender, grauer Schafwolle. Lange Kniestrümpfe mit bei den Zehen aufgenähten Krallen aus weißem Filz. Genauso bei den Fäustlingen, die fast bis zu den Ellenbogen reichten. Dazu ein grauer Rollkragenpullover, eine alte, wollene Strumpfhose von irgendeiner Cousine, und am Hinterteil ein zopfig geflochtener Schwanz samt Quaste. Das schlimmste aber war die Mütze, mit breiten Klappen, unterm Kinn zugebunden und mit zwei abstehenden, durch Karton verstärkten Ohren.

„Noch ein schwarzes Naserl, ein paar aufgemalte Schnurrbarthaare – und fertig ist unser Wölfchen!“

Peinlicher geht´s nicht. Kichernd zogen ihn die anderen Kinder am Schwanz, zupften an seinen Ohren und fragten ihn, ob er eine Maus, oder – igitt! – gar eine Ratte wäre. Herbert K. das Wölfchen. Der kleine Wolf. Wütend riss er sich zuhause das Kostüm herunter, lief in sein Zimmer und warf sich weinend aufs Bett.

Nie mehr würde er sich verkleiden! Nie mehr! Denen würde er es zeigen! Allen! Ab heute war er ein Wolf! Ein Werwolf!

Doch auch mit zunehmendem Alter lief es weder im Fasching, noch auf den ersten Kellerpartys wirklich besser. Flaschendrehen. Das war schon immer so ein Glücksspiel. Diese Peinlichkeit, wenn ihm ein frühreifes Gasthauskind einen lolitahaften Altvaterschmatz auf die Wange drückte! Diese Mädchen wussten damals schon mehr, als er sich selbst heute in seinen Träumen vorzustellen wagte. So konnte es nicht weiter gehen. Nein.

Man muss aus seinen Niederlagen lernen. Stärker werden. Zäh wie Leder. Stählern. Wenn schon ein Wolf, dann kein Armin, sondern Leitwolf. Anführer. Nicht er würde mit der Meute heulen, sondern die Meute mit ihm. Geduld und List. Tarnen und täuschen. Sich verstellen, verkleiden. Und was sind denn die Politik und diese Demokratie anderes als ein billiges Faschingskränzchen? Die Roten, eine aussterbende und zerstrittene Rasse; die Schwarzen, Sklaven ihrer Eitelkeit; die Grünen, eine gescheiterte Kommune; – und die Neos? Hyperaktive Baumumarmer am Gängelband einer besserwisserischen Gouvernante! Er, Herbert K., wird sie alle vor sich hertreiben, bis sich die einen selbst zerfleischen, die anderen in ihrem Auwald verstecken und die schon zu kurz gekommenen mit eingekniffenen Schwänzen sich untertänig vor ihm auf den Boden werfen. Die sollten ihn jetzt alle so richtig kennenlernen! In voller Aktion. Kraft und Freude. Eine Festung aus Tradition, Treue und Heimat. Die Alpenfestung! Sein Reich, sein Volk! Volkskanzler!

Freudig erregt rückte er seine Brille zurecht und marschierte zur Garderobe. Stolz sah er in den Spiegel. Ob er sich nicht doch einen Bart wachsen lassen sollte? Einen Schnurrbart? Prüfend hielt er sich Zeige- und Mittelfinger senkrecht unter die Nase. Nein. Was ihm da entgegenblickte war kein Wolf. Nicht einmal ein Wölfchen. Das war ein Frettchen.

Ein armseliges Frettchen.

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