Herbert K. war einfach nur erschöpft. Geistig und auch körperlich. Monatelanges Wahlkämpfen und Verhandeln gehen an die Substanz. Kaum mehr eine Nacht im eigenen Bett. Die notwendigsten Kontakte zu Frau und Kind beschränken sich auf das notwendigste.
Tag für Tag das selbe abgedroschene Schmierentheater: Blut und Boden, Migranten, Systemparteien und Systemmedien, Migration, Festung Österreich, Euer Wille geschehe, Migration, schimpfen, anbatzen, Migration, Trump und Putin, Mahlzeit, Prost. Autogramme an angesoffene Jungspunde, Schulterklopfen für führergeile Neonazis, Verbrüderungen mit Impfschwurblern, danach ein gemischter Salat mit Putenstreifen, zwei Scheiben Vollkornbrot, ein halber Liter Apfelsaft, E-Mails checken, mit den Teamleitern telefonieren und ab ins Bett. Tagtäglich. Die einzige Abwechslung besteht darin, ein kurzes Video für diverse rechtsnationalistische Privatsender zu drehen oder der NGO vom Sellner ein Interview zu geben. So was schlaucht.
Die Revierkämpfe in der politischen Arena haben sich längst schon – und Herbert K. hat darauf verbissen hingearbeitet – zu einem Redewettbewerb der besten Märchen-erzähler verwandelt. Nicht die rohe Kraft der Männlichkeit, sondern die Lauterkeit des vermeintlichen Tölpels gewinnt zum Schluss die Prinzessin samt Reich und Krone. Ein Märchen eben. Man muss es nur so lange erzählen, bis all die enervierten Hausfrauen, kleinen Angestellten, Fabriksarbeiter und Handwerker, die am Abend zu müde sind um sich noch politisch zu informieren, das Happy End vom güldenen Schloss – und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute – liebend gerne glauben.
Herbert K. der Märchenonkel. Seid ihr alle da? Ja! Krawutzi Kaputzi! Was tut man nicht alles um zu gewinnen. The show must go on. Dann eben das nächste Mal. Gebt mir vier Jahre Zeit! Oder so. Gute Sprüche kann man immer übernehmen. Orban, Salvini, Geert Wilders und Trump hatten es geschafft. Starke Männer. Nicht so wie die Le Pen und die Weidel. Die Frauenriege. Die mussten noch warten. So wie er. War er etwa gar zu schwach, zu weiblich?
Fast erschrocken schüttelte Herbert K. den Kopf und verscheuchte diesen abstrusen Gedanken. Er war lediglich überarbeitet. Brauchte Entspannung. Ein Wochenende daheim, in den trauten vier Wänden. Handy weg, Radio aus, TV-Abstinenz.
Nach dem Abendessen ging Herbert K. ein wenig laufen. Locker, im mittleren Pulsbereich. Damit der Kopf frei wird. Automatisierte Bewegungsabläufe. Wenn da nur nicht diese Wurzel gewesen wäre. Ein Knick, ein Knack, und der brennende Schmerz im Knöchel ließ ihn innerlich fluchend nach Hause humpeln. Aber so schnell gibt sich ein Sportveteran nicht geschlagen. Eine Rossnatur. Herbert K. hatte einst die Hausapotheke seines Großvaters übernommen und wusste was zu tun war: Kwidzda´s Restitutions-Fluid, das Einreibe- und Frottiermittel für Pferde, angewandt zur Belebung und Kräftigung. Dazu Phlegmone, die rote Zugsalbe der erfolgreichen Veterinärmedizin. Einreiben, Umschläge machen und danach zwei Ivermectin gegen jede Art von Infektion.
Der blaue Dragoner würde bald schon wieder reiten! Vorsichtig sein lädiertes Bein ausstreckend legte sich Herbert K. auf seine Seite des Ehebettes, wünschte eine gute Nacht und versuchte sich zu entspannen. Körperlich und seelisch. Die Labsal der ehelichen Beistandspflicht. Halb benommen spürte er, wie ihm seine Frau die ledernen Zügel zärtlich überstreifte und ihn forsch auf den Bauch drehte.
„Los, mach mir den Hengst!“. Voll zitternder Vorfreude kam er auf alle Viere, gierig den elektrisierenden Druck ihrer Schenkel erwartend, warf seinen Kopf zurück, blickte bebend in die dominanten Augen seiner Frau, spannte seine Flanken und galoppierte wiehernd vor Lust in den Sonnenuntergang.
„Herbert!“, er riss die Augen auf, „Du träumst zu viel!“