Ich musste ja in letzter Zeit einiges an Kritik einstecken. Vor allem meine Konzertkritik über das Festival von „Mother´s Cake“ im Treibhaus wurde zum Teil als unnötige „Befindlichkeitsbekundung“ abgetan. Mancher sprach mir gar meine journalistische Kompetenz ab und vermutete hinter meinem Text viel mehr versuchte Selbstbeweihräucherung als das Interesse, mich objektiv mit den Konzerten vor Ort auseinandersetzen zu wollen. Letztlich ginge es in meinen Texten immer nur um mich und um meine subjektive Meinung. Schließlich gäbe es ja noch etwas wie Objektivität. Darum möchte ich kurz meine Intentionen hinter meinen Konzert- und Kulturkritiken erläutern. Das alles quasi am lebenden Objekt, einem Kinderkonzert von Jeunesse, das unter dem Titel „Der Zauberlehrling“ über die Bühne ging.
Gleich zu Beginn muss ich dazu meine Position als Subjekt bestimmen. Meine Haltung dazu definieren und meine theoretischen Grundannahmen skizzieren. Es ist eigentlich einfach: Ich glaube nicht, dass es ein „Wesen“ gibt, das sich auf Konzerte begibt und diese von seinem naturgegebenen Geschmack her beurteilt. Es ist immer das Subjekt mit all seinen Bedingtheiten und seiner „Gemachtheit“, das zu Konzerten geht. Wer wissen möchte, wer ich bin, der muss lediglich wissen, welche Bücher ich gelesen habe, welche Musik ich gehört habe und welche Kunstwerke ich als wichtig erachte. Der Geschmack des Subjekts, in diesem Fall von mir, schult sich an den Kunstwerken, an den Kompositionen und an den Texten, die ich in meinem bisher 35-jährigen Leben rezipiert habe und noch rezipieren werde.
Ich gehe somit an die „Objekte“ subjektiv heran. So subjektiv, dass ich meine Texte meist mit einem „Ich“ beginne. Nicht weil ich mich in den Vordergrund stellen wollte, nicht weil ich ein übergroßes Ego hätte, sondern weil ich klar stellen will, dass ich mit meinem ganzen kulturellen Wissen und Unwissen an die kulturellen Phänomene herangehe. Ich lese sie, interpretieren sie, versuche sie zu verstehen. Wenn ich daran scheitere, dann werde ich auch mich zurückgeworfen, auf meine eigenen Bedingungen.
Mother´s Cake? Post-Rock? Oder doch ein Kinderkonzert?
Ich muss mich fragen: Welche Prozesse meiner eigenen ästhetischen Subjektivierung sind anders verlaufen? Warum ist mir die Musik von Chris Thile näher als die Musik von Mother´s Cake? Liegt es vielleicht, ganz banal, an meinem Alter? Daran, dass ich schon viel Musik gehört habe, die ein 20-jähriger noch nicht gehört hat? Kann ich darum auch sagen, dass mich vieles von DeWolff langweilt, weil ich dieses oder jenes Riff schon tausendmal gehört habe, während er für einen 20-jährigen vielleicht tatsächlich neu und aufregend ist?
Ich darf mich aber nicht nur auf ästhetische und kulturelle Diskurse verlassen, ich muss auch mein faktisches Leben ansehen und mit reflektieren. Ich lebe ein quasi bürgerliches Leben. Ich habe Frau und Kinder. Auch das spiegelt sich im Text über Mother´s Cake, der Ausdruck einer etwas abgeklärten Haltung zur Musik und zur Jugend ist und zugleich auch durchaus eine Sehnsucht thematisiert, doch noch dazugehören zu wollen.
Faktum ist: Meine ästhetischen Positionen, meine subjektiven Prägungen und meine Lebenssituation trieb mich am Freitag nicht zum nächsten großen Post-Rock Konzert, sondern zu einem Kinderkonzert. Der „Zauberlehrling“ stand auf dem Spielplan. Auf die Bühne gebracht wurde das von „Die Piloten“. Ich war mit zwei Mädchen unterwegs, eines von mir, eines nur „ausgeliehen“.
Wer zu einem solchen Konzert um 16:00 am Nachmittag geht, der trinkt nicht schon vor dem Konzert sein erstes Bier, sondern schließt sich beim Genuss eines Eistees an, den die beiden Mädels an der Bar geordert hatten. Der muss sich nicht damit beschäftigen, ob man das Bier mit in die Konzert-Location nehmen darf, sondern damit, ob eine der beiden Begleiterinnen nicht noch schnell vorher auf die Toilette muss. Weil aufstehen während eines Konzert halt doch irgendwie peinlich und lästig für die anderen Kinder rund herum ist, die auf Polstern auf dem Böden sitzen während die Eltern dahinter brav auf Stühlen Platz nehmen um ihre Sprösslinge im Auge behalten zu können.
Mein kulturelles Wissen verriet mir, abgesehen von meiner Rolle als Vater die bei solchen Konzerten entscheidend ist, dass es sich um Stück handelte, das ganz offenbar auf einen Text von Johann Wolfgang von Goethe Bezug nimmt. Außerdem wird mir im Verlauf des Stückes klar, dass es auch darum ging, Kinder für eine Vielzahl an Instrumenten, Klängen und Sounds zu begeistern. Die Narration war einfach und wurde immer wieder akustisch intensiviert und verstärkt. So können Kinder ab 6 der Erzählung problemlos folgen und bekommen besonders wichtige Situationen und Drehpunkte in der Geschichte auch noch akustisch veranschaulicht. Ganz im Vorbeigehen lernen sie dabei mehr über den Klang von Flöte, Violine, Maultrommel, singender Säge und vielem mehr.
Ich könnte mich fragen, wie es den beiden Mädchen geht. Wie sie das Konzert erleben. Ich könnte mein eigenes Subjekt-Sein hintan stellen und reflektieren, wie ich mich fühlen würde, wenn ich zum ersten Mal eine singende Säge hören würde. Ich müsste nicht an zahlreiche, leicht surreale Filme denken und mir würden auch nicht einige mehr oder weniger gute Indie-Bands einfallen, welche die singende Säge früher einmal in ihren Sound eingebaut hatten, um noch ein wenig versponnener und mystischer zu klingen.
Ich würde einfach hinhören und mich wundern, warum das Instrument so klingt wie es klingt. Der Punkt ist aber: Ich kann es nicht. Ich kann über das Erleben der anderen bei einem solchen Konzert nur spekulieren, fabulieren. Ich selbst bin in meinem Ich-Sein gefangen, ganz auf mein eigenes kulturelles Wissen angewiesen. Als Vater habe ich aber selbstverständlich die Aufgabe, mich in die Welt meiner Kinder einzufühlen. Das gelingt mal mehr, mal weniger gut. In diesem Spannungsfeld von eigenem kulturellen Wissen und notwendiger Einfühlung in die Welt meiner Kinder wäre eine gelungen Konzertkritik über „Der Zauberlehrling“ denkbar. Hier muss ich diese schuldig bleiben und muss euch mit Andeutungen abspeisen.
Ich möchte nämlich etwas anderes tun. Ich möchte etwas feststellen: Wenn ich Konzertkritiken schreibe, dann schreibe ich immer nur über mich. Das stimmt. Ich wüsste auch nicht, worüber ich sonst schreiben sollte. Nicht weil ich narzisstisch veranlagt bin, sondern weil schlicht und einfach nur diese Ebene bleibt. Wer sich nicht selbst im Text einschreibt, der verschleiert letztlich nur die Bedingungen des eigenen Geschmacks und der verrät nichts über die Position, von der aus er sich auf ein kulturelles Phänomen hinbewegt. Der verrät nicht, dass wir es natürlich mit ästhetischen Positionen und kulturellen Objekten zu tun haben, an denen man seine eigene subjektive Meinung schärfen und verfeinern kann. Der täuscht vor, dass es so etwas wie Objektivität gäbe. Ich sage: der lügt.
Ich lege meine Bedingungen und meine Haltungen offen. Versuche so gut es geht meine subjektiven Aneignungsprozesse von Musik und Kunst darzulegen. Ich lege quasi mich offen, mein „Ich“. Ich mache mich verletzbar. Denn wer sich hinter einer wie auch immer gearteten Objektivität versteckt, der lügt nicht nur, der ist auch ein wenig feige.
Ich für mich weiß jedenfalls, wie ich mir die Konzertkritik der Zukunft vorstelle. Sie ist radikal subjektiv, radikal ehrlich und angreifbar. Sie provoziert schon allein deshalb, weil sich damit möglicherweise eine Welt auftut, die nicht die eigene ist. Für mich sind solche Kritiken ein mögliches Gegengift gegen Kritiken, die letzten Endes nur für die Leute geschrieben sind, die eh schon wussten, dass das Konzert großartig war. Gute Konzertkritiken sind für mich Einblicke in eine fremde Wahrnehmungswelt, die irritieren kann und irritieren soll.
"Der Zauberlehrling", oder: So sieht die Konzertkritik der Zukunft aus
Elfenbeinturmbewohner, Musiknerd, Formfetischist, Diskursliebhaber. Vermutet die Schönheit des Schreibens und Denkens im Niemandsland zwischen asketischer Formstrenge und schöngeistiger Freiheitsliebe. Hat das ALPENFEUILLETON in seiner dritten Phase mitgestaltet und die Letztverantwortung für das Kulturressort getragen.
lieber markus,
ohne feldforschung betrieben zu haben kommt mir vor, als waer die von dir erlaeuterte subjektivitaet common sense. oder bin ich naiv?
jeder mensch der eine konzertkritk oder sonstiges schreibt, erzaehlt in erster linie von sich selbst. manchmal wird „gefaellt mir“ mit „gut“ verwechselt, geb ich zu. oft dominiert die irgendwann gefasste meinung. gerne gefaellt, was vielen gefaellt, oder muß, sonst wird der artikel nicht veroeffentlicht und das kann sich das boersel auf dauer nicht leisten.
im allgemeinen kommt mir vor, negatives wird nur in faellen absoluter notwehr geschrieben. (sehr schoen dazu: http://www.laut.de/Andreas-Gabalier/Alben/Mountain-Man-96519).
auch kommt mir vor, es gibt weder zeit in den leben noch platz in den medien fuer fundiertes, selbstverstaendlich subjektives fuer und wieder. was ich sehr bedauere.
letztlich, wenn hin und wieder hingewiesen wird auf diese subjektivitaet, kann das fuer die beschriebenen, die schreiberinnen und die leserinnen nur gut sein. deshalb, großes danke dafuer!
mit besten grueßen aus dem osten, st