Ich muss einfach so ehrlich sein. Bisher habe ich die Wiltener Sängerknaben vor allem mit Muttertags-Konzerten in Verbindung gebracht. Mit Konzerten, bei denen schön gekleidete Knaben mit schönen Stimmen die Mütterherzen ganz schön höher schlagen lassen. Dann kam „Babel“, die aktuelle CD Veröffentlichung auf „col legno“, auf der sich der Knabenchor an Arvo Pärt versuchte. Diese Aufnahme hat mich, gelinde gesagt, vom Hocker gehauen. Es half nichts. Ich musste mich mit Johannes Stecher treffen und mit ihm über diese Veröffentlichung reden. Und meine eigenen Vorurteile ganz schnell revidieren. In einem schönen Gastgarten in Wilten nahm er sich Zeit meine Fragen geduldig zu beantworten. Im Laufe des Gesprächs wurde mir mehr und mehr klar: Ich saß dem Leiter eines Knabenchors gegenüber, der zu einem der besten Knabenchöre Europas gehört.
Ich bin über meinen Redaktionskollegen Martin Senfter auf die aktuelle CD „Babel“ aufmerksam geworden. Meine Frage ist dabei: Warum Arvo Pärt? Und wie lässt sich das mit meinem Bild in Einklang bringen, das ich bisher hatte? Sprich: Die Wiltener Sängerknaben, die brave und schöne Muttertags-Konzerte geben.
Beim letzten Muttertags-Konzert wollten die Sängerknaben ja unbedingt, dass wir Arvo Pärt singen. Bei diesem Konzert heuer haben wir zum ersten Mal offiziell die Arvo Pärt CD verkauft. Viele Leute waren ganz enttäuscht, dass wir keinen Arvo Pärt gesungen haben. Ich hätte Arvo Pärt aber nicht als passend erachtet.
Muttertags-Konzerte und ähnliche Konzerte sind für mich etwas, wo wir uns vom Repertoire her eher an Sachen wie Volksliedern orientieren. Vor allem authentische, alpenländische Volkslieder. Wir orientieren uns auch an Altösterreich. Also vor allem Strauß, Lehár oder ähnliche Komponisten. Natürlich spielt auch die Operette eine Rolle.
Neuerdings gibt es aber auch manchmal ein gutes Arrangement eines klassisch gesungenen Popsongs. Das eigentlich Wichtige ist aber die richtig gute Literatur. Eigentlich ist das schon lange so. Damit meine ich zum Beispiel Bach oder viele andere Komponisten, die ja auch für eine solche Besetzung geschrieben haben! Die Musik von Bach ist ja prädestiniert für einen Knabenchor! Natürlich ist auch Bruckner wichtig, der ja auch selbst Sängerknabe war. Er hatte dieses Klangbild ganz sicher sein Leben lang ihm Ohr.
Und jetzt natürlich auch Arvo Pärt, der uns gemeinsam mit col legno ausgesucht hat diese CD zu machen. Das Label ist an uns herangetreten um zu fragen, ob wir die neun Motetten, die Pärt ausgesucht hat, als erster Knabenchor der Welt aufnehmen wollen.
Ist es belegbar, dass die Wiltener Sängerknaben der erste Knabenchor der Welt sind, die das so aufgenommen haben?
Ich habe es nicht genau recherchiert. Ich weiß, dass es einzelne Aufnahmen gibt, z.B. vom Kings College Choir oder auch vom Windsbacher Knabenchor. Col legno sagt aber immer, dass wir die erste CD mit einem gemischten Knabenchor aufgenommen haben, auf der sich ausschließlich Werke von Arvo Pärt finden.
Es sind ja auch zwei Uraufführungen dabei. Zum einen „Die Hirtenkinder aus Fátima“. Zum anderen „Beatitudines“, die Seligpreisungen aus der Bergpredigt. In dieser Fassung wurde das zum ersten Mal aufgenommen. Arvo Pärt eignet sich meiner Meinung nach gut für einen Knabenchor. Pärt ist dabei zwar schwer realisierbar. Aber wenn es klappt und klingt, dann ist das ein Klang, der ein kleineres Vibrato hat als erwachsene Frauenstimmen zum Beispiel. Dieser Klang eignet sich für diese Musik dann ganz hervorragend.
Im Booklet-Text wird ja thematisiert, dass die Knaben erst in die Musik reinfinden haben müssen, dann aber regelrecht „reingekippt“ sind. Wir schwierig ist es, vom Geschmack von jungen Menschen ausgehend, sich dieser Musik anzunähern? Ist ihnen diese Musik fern?
Zunächst sind Kinder ja einmal sehr offen. Sie haben auch Vertrauen. Sie wissen, dass die Sängerknaben für viele etwas Besonderes sind. Deshalb singen wir auch besondere Werke. Die Knaben gehen also relativ offen an die Musik heran. Sie reagieren auch erstaunlicherweise auf die Musik von Arvo Pärt. Was haben wir die Pausen in den Stücken geübt! Die Pausen, die wirklich ganz ruhig sein müssen. Da darf man auch nicht zappeln. Es darf kein Geräusch geben. Das ist für Kinder schwer.
Allein das Proben dieser Musik hat aber einen Effekt gehabt, wenn auch vielleicht nur für wenige Minuten: Die Kinder und Jugendlichen wurden ruhiger. Plötzlich gab es eine Pause, man wartete ein paar Sekunden. Dann sagte ein Kind: „Ich höre einen Vogel zwitschern“. Damit will ich sagen, dass Geräusche, die einem sonst nicht bewusst sind, plötzlich wahrgenommen werden.
Die Musik von Arvo Pärt führt einen auf eine aufmerksame, konzentrierte Ebene. Auch die Kinder – wenn auch nur vorübergehend. Das hält nicht zwei Stunden an, es sind mehr ein paar aufmerksame Minuten. Sie driften dann wieder ab. Dann muss ich auch mal eine „Predigt“ halten und sie konzentrieren sich wieder und sind wieder ein paar Minuten richtig am Punkt. Das gelingt natürlich auch immer wieder bei Konzerten.
Ich denke, dass die Musik „schwer“ ist, weil sie so viel Ruhe und Konzentration, Gehör und Intonation braucht und erfordert. Aber sie hat eine unglaublich starke Wirkung, auch auf die Ausführenden selbst. Die Kinder und Jugendlichen singen es ganz „normal“, ganz wie sie Bach oder Bruckner singen. Nicht alle lieben Pärt, aber es gibt eine große Akzeptanz und eine große Selbstverständlichkeit. Das finde ich sehr beachtlich und sehr erfreulich. Die jüngsten Kinder sind ja 6 oder 7 Jahre alt oder es gibt natürlich auch Sängerknaben in der tiefsten Pubertät. Die hören natürlich, wenn sie unterwegs sind, etwas ganz anderes.
Das interessiert mich: Wie gehen Sie mit dem Geschmack der Sängerknaben um? Greift man diesen auch auf? Findet auch Pop- und Rockmusik Einzug? Lässt sich das mit diesem Klangköper sinnvoll verarbeiten?
Leicht ist es sicher nicht. Es muss ja auch klingen! Wir haben hin und wieder Popsongs, die ich arrangiert habe. Wir haben da oft Dinge probiert, dann aber zum Teil wieder verworfen. Ich hatte das Gefühl, dass es nicht wirklich funktioniert, es nicht richtig gut geworden ist. Allerdings gibt es sehr wohl ein paar Nummern, die sich eignen und die auch gut funktionieren. Diese Nummer lieben sie natürlich auch!
Wir singen aber auch den Donauswalzer oder den Kaiserwalzer. Auch die deutschen Volksliedbearbeitungen von Brahms, Schumann, Schubert usw. sind uns wichtig. Vor allem auch bei Muttertags-Konzerten oder in China. Die Asien-Tourneen sind voll mit solchen Programmen. Da wird auch hin und wieder ein kleiner Sketch einbaut.
Arvo Pärt ist da eine andere Sache. Arvo Pärt gehört in eine Kirche, zumindest die Motetten. Diese Kirche muss eine gute Akustik haben, fast ein wenig kathedralartig sein, optimalerweise. Dann kann das eine unglaubliche Wirkung haben, wenn die Musik piano oder pianissimo durch die Kirche „leuchtet“. Dann kommt eine richtige forte Stelle. Das ist schon gewaltig. Die Umgebung ist in dieser Sache einfach enorm wichtig.
Ich werde auch gefragt, ob wir einen reinen Arvo Pärt Abend machen würden. Wir bauen aber vorerst die Stücke in unsere Hofkirchenkonzerte ein. Auch generell in die geistlichen Konzerte. Wir sind damit sehr erfolgreich. Einen ausschließlichen Arvo Pärt Abend kann es nur geben, wenn wirklich alles stimmt. Es bräuchte eine richtig gute und passende Kirche und ein interessiertes Publikum.
Von Wilten an die Spitze der (Musik)welt
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Elfenbeinturmbewohner, Musiknerd, Formfetischist, Diskursliebhaber. Vermutet die Schönheit des Schreibens und Denkens im Niemandsland zwischen asketischer Formstrenge und schöngeistiger Freiheitsliebe. Hat das ALPENFEUILLETON in seiner dritten Phase mitgestaltet und die Letztverantwortung für das Kulturressort getragen.
Das außerordentliche, weitreichende Repertoire der Wiltener Sängerknaben muss viel mehr gewürdigt werden.
Vielen Dank für diesen wunderbaren Artikel.