Fast täglich wird von angesagten Online-Magazinen wie Pitchfork.com oder ähnlichen die neue „beste Band des Welt“ ausgerufen. In den allerseltensten Fällen hat das etwas mit Substanz, Qualität oder musikalischem Talent zu tun. Eher schon mit dem Coolness-Grad der Bandmitglieder oder mit der musikalischen Ausrichtung der Band.
Bei letzterer ist es besonders wichtig, dass die Musik nur Elemente und Aspekte beinhaltet, die auch wirklich gerade schwer angesagt sind. Es gibt ganz einfach Zeiten, in denen eine Band mit Jazz- oder, Gott bewahre, Blues-Einflüssen wenig weit kommt. Bitte unbedingt beachten! Auch mit Country gewinnt die neue „beste Band der Welt“ derzeit wohl keinen Blumentopf. Ich möchte das jetzt nicht unbedingt als musikalische Gefälligkeitssucht oder Mitläufer-Getue interpretieren. Aber doch damit, dass die neue „beste Band der Welt“ wohl gut daran tut, Erwartungshaltungen und Geschmäcker eher zu erfüllen als mit diesen zu brechen.
Damit sage ich nichts gegen angesagte Bands. Musikalisches Talent, Innovationsdrang und ein weiter musikalischer Horizont finden sich, unter Umständen, auch bei diesen. Aber diese Kriterien sind nicht notwendig, um zur „besten Band der Welt“ ernannt zu werden. Denkbar auch, dass diese Eigenschaften und Fähigkeiten hinderlich sein könnten. Wichtiger sind möglicherweise Beschreibungen und Rezensionen in den wichtigsten Musikmagazinen und Lob von den richtigen Kritikern. Es wäre auch anzuraten, sich auf dem richtigen Plattenlabel zu befinden. Bands, die über 9.0 Punkte auf Pitchfork bekommen sind außerdem ohnehin schon in aller Munde und haben gute Aussichten auf den begehrten Titel.
Wenn dann noch Zuschreibungen wie „absolut einzigartig“, „hier wird der Alternative Rock neu erfunden“ oder ähnliches kommen, dann festigt sich der Ruf und dieses Image mit der Zeit. Ob diese Zuschreibungen mit der Realität übereinstimmen, ist eher nebensächlich und interessiert zu diesem Zeitpunkt genau kein Schwein mehr. Ich stelle mir hype-affine Journalisten als faule Menschen vor, die entweder lieber Meinungen übernehmen und sich in kollektivem Rudel-Journalismus gefallen oder die schlichtweg keine Ahnung von Musik haben und das mit lautem Begriffs-Geklimper kompensieren müssen.
Wilco: „Dad-Rock“ und Spaß dabei!
Es ist noch gar nicht so lange her, da wurde „Wilco“ von einer ebenfalls wichtigen Online-Seite, der eher uncoole Begriff „Dad Rock“ umgehängt. Ein Wahnsinn jedenfalls, was sich „Wilco“ mit „Sky Blue Sky“ herausnahmen: Das war zum Teil 70er-Rock, nicht ironisch gebrochen, keine Meta-Ebene, nirgends! Keine Frage: Nach coolen Alben wie „Yankee Hotel Foxtrot“ musste man sich jetzt von Wilco abwenden. Und diese Gitarren-Soli! Was bitte sollte das? Nels Cline war kurz zuvor der Band beigetreten und brachte ein musikalisches Niveau in die Band, die sie augenblicklich aus der „Alternative-Rock“ Schublade hievte. Möglicherweise befreite. Aus anderer Sicht vielleicht auch verbannte.
Nun sage ich nicht, dass „Sky Blue Sky“ perfekt war. Die Soli von Nels Cline wirkten teilweise noch fehl am Platz. „Wilco“ hatten sich mit dieser Platte noch nicht gefunden. Klar war aber, dass mit Nels Cline ein musikalischer Innovator und Könner allerersten Ranges seinen Weg in die Band gefunden hatte. Der Rest der Band wusste nur noch nicht damit umzugehen. Nels selbst ist dabei bescheiden genug, um sich nicht in den Vordergrund zu spielen und die Band bestmöglich zu unterstützen. Schade dennoch, denn somit wurde lange Zeit nur live hörbar, zu was „Wilco“ im Stande wären. Bei „Wilco, the Album“ spielte Nels Cline gar nur eine untergeordnete Rolle und war bei den Studio-Aufnahmen zum Teil gar nicht dabei, sondern spielte seine Gitarrenparts nachträglich ein.
Das alles änderte sich schlagartig mit „The Whole Love“. Bereits der erste Track führte bei Fans zu Begeisterungsstürmen: Endlich sei Nels Cline freigelassen worden! Endlich wusste die Band diese „Wunderwaffe“ wirklich zu nutzen. Aber es gab auch etwas krude Vorwürfe: Die Platte sei zwar großartig und die Band endlich in vollem Besitz ihrer musikalischen Möglichkeiten. Irgendwie sei die Platte aber eben auch nur das. Gab es einen anderen Grund für die Existenz dieser Platte als zu zeigen, dass die Band endlich aus dem Vollen ihrer musikalischen Möglichkeiten schöpfte?
Ich würde sagen: Ja. Wilco definierten auf dieser Platte, wer und was sie waren, sind und noch sein könnten. Nicht als reines Statement, sondern als Ausgangspunkt. Als Möglichkeitsraum. Auf „The Whole Love“ sind Ideen, Skizzen und Ausgangspunkte für weitere 20 Jahre Wilco vorhanden. „The Whole Love“ ist sozusagen ein Manifest, eine Darstellung der eigenen Möglichkeiten, ohne dabei ins Muckertum oder in Angeberei zu verfallen. „Wilco“ taten es ganz gelassen, bescheiden, lässig, ohne für großes Aufsehen sorgen zu wollen. Das machte „The Whole Love“ nur noch eindrucksvoller.
Und jetzt also „Star Wars“, das einfach mal kurzerhand als Gratis-Download veröffentlicht wurde und das im August dann als CD herauskommen soll. „Star Wars“ ist das schiere Gegenteil von „The Whole Love“. Auch wenn die Platte absolut nach Wilco klingt. Die Platte ist aber ein Art „Anti-Manifest“. Sie hat die Dringlichkeit, die „The Whole Love“ nicht hatte, gar nicht haben wollte. „The Whole Love“ gefiel sich in lässiger Entspanntheit, die Atmosphäre auf „Star Wars“ hingegen ist fiebernd, nervös. „The Whole Love“ war ein lässiges Manifest der Möglichkeiten. „Star Wars“ ist jetzt die deutliche Ausformulierung von ein paar Fährten, die „The Whole Love“ gelegt hat.
Wer beginnt schon eine Platte mit einem Track mit dem Titel „EKG“ und lässt danach nur schöne Liebeslieder folgen? Eben. Auch Wilco tun das hier naheliegenderweise nicht. Die Gitarre von Nels Cline ist präsenter denn je, oftmals legt er seine wüsten Gitarren-Sounds über die schönen, an sich logischen und nachvollziehbaren Tracks. Die Riffs sind energiegeladen und erinnern tatsächlich immer mal wieder an die 70er Jahre. Aber eben auch an Bands wie Sonic Youth. Dazu fällt auf, dass der Sänger und Mastermind von Wilco, Jeff Tweedy, noch nie mehr nach Bob Dylan geklungen hat. Dylan meets Sonic Youth also? Möglicherweise. Für diejenigen die Begriffe und Vergleiche brauchen, um Musik zu beschreiben oder überhaupt erst zu mögen und interessant zu finden.
Fakt ist: Wilco sind von den supercoolen Online-Seiten in letzten Jahren eher vernachlässigt worden. Und ihnen ist ein wenig das Etikett der uncoolen Rock-Musiker für langweilige Spießer umgehängt worden. Zum Glück. Denn so wurde ihnen von solcher Seite nie die Zuschreibung„beste Band der Welt“ angedichtet. Vermutlich wäre ihr musikalisches Material aber ohnehin nicht geeignet gewesen, sich an den sogenannten „Indie-Mainstream“ anpassen zu lassen. Einfach zu viele Americana-Einflüsse, zu viel „echter“ 70er-Jahre-Rock und zu viel Wurschtigkeit was neue Trends betrifft. Und zu viel musikalische Substanz.
Menschen ohne musikalische Scheuklappen können sich aber freuen. Denn Wilco sind die neue „beste Band der Welt“ für Menschen, die sich wirklich für Musik interessieren und nicht für Zuschreibungen und Rudel-Journalismus. „Star Wars“ ist der eruptive Ausbruch einer Band, der musikalische Grenzen und wie auch immer geartete außermusikalische Kategorien absolut egal geworden sind.
Somit ist für mich klar, dass eigentlich „Star Wars“ das Album der Woche ist. Aber möglicherweise sind solche Kategorien auch nicht für Wilco gemacht. Wer Wilco hört, der denkt nicht in Wochen, sondern in Monaten, am besten gleich in Jahren. Der freut sich einfach, dass „Wilco“ mit „Star Wars“ ein überzeugendes Statement abgeliefert haben, das aber sicher nicht für die Ewigkeit gelten wird. Und auch nicht soll. Wer „Wilco“ mag, der wartet schon auf die nächste Manifestation dieser Band, die sich möglicherweise aus früheren Alben ableiten lässt. Die aber in jedem Fall großartig sein wird.
Titelbild: Flavorwire