Die Bäckerei in Innsbruck ist ein Ort der Utopien. Ich behaupte außerdem, dass sich der Begriff Atopie gut dazu eignet, um die Bäckerei als einen Ort der singulären Möglichkeiten und ständigen Veränderungen zu beschreiben.
Die Utopie, vor allem wenn sie in Verbindung mit Musik steht, entwirft und verwirft wieder. Sie hat das bisher Unmögliche und bisher Noch-Nicht-Gedachte und das Noch-Nicht-Formulierte im Blick. Musik, die sich den Utopien verschreibt, ist sich völlig darüber im Klaren, dass es (noch) keinen Ort für sie gibt und dass dieser Ort darüber hinaus nicht dauerhaft sein kann.
Ein Ort wie die Bäckerei muss, meiner Meinung nach, Musik solcher Ausprägung die Möglichkeit geben, stattzufinden. Die Bäckerei ist „atoptisch“ in dem Sinne, als dass sie sich ständig in Bewegung befinden muss, kein Ort sein darf, der sich nur auf eine ganz bestimmte Szene bezieht und nur einer ganz konkreten Spielart von Musik einen Spielort anbietet. Offenheit ist hier Prinzip.
Möglicherweise ist es ein wenig spekulativ zu behaupten, dass Herbert Pixner mit „Pixners BACKstage“ sich genau aus diesem Grund die Bäckerei ausgesucht hat. Aber die Behauptung ist plausibel. Wäre es ohne weiteres möglich, eine Gruppe wie „Die Tanzgeiger“ auf die Bühne von einigen anderen Spielstätten in Innsbruck zu stellen, die sich mit der sogenannten „alternativen“ Kultur assoziieren lassen? Ich behaupte nein. Es wäre definitiv sehr schwierig, vielleicht auch unmöglich. „Pixners Backstage“ ist ein Projekt der Verortung und Ent-Ortung, das sich mit dem Konzept der Bäckerei vortrefflich vereinen lässt.
„Pixners BACKstage“ lässt sich meiner Meinung nach damit beschreiben, dass hier unter anderem Musik gebracht wird, die sich klar auf ihre Herkunft bezieht und deren ästhetischer und kultureller Rahmen ganz deutlich zu benennen ist. „Die Tanzgeiger“, die gestern spielten, sind ein perfektes Beispiel für diese Ausrichtung: Die Musik bezieht sich auf bestimmte Regionen, hat klare kulturelle Bezugspunkte und Kontexte. Man kann sich die Szenen, die diese Musik heraufbeschwört, bildhaft vorstellen: Bälle und Tanzveranstaltungen im ländlichen Raum. Diese Musik hat klare Funktionen, ist fest in gesellschaftliche Normen, Konventionen und Rituale eingebunden.
Das alles wäre jetzt aber nicht weiter nennenswert oder gar außergewöhnlich. „Ländliche“ Musik wird in den urbanen Kontext der „Bäckerei“ transferiert. Das wäre eine kleine Kontext-Verschiebung, vielmehr aber eigentlich nur ein Gag, der nicht lange interessant sein könnte. „Pixners BACKstage“ ist aber zum Glück noch um einiges mehr.
Beim zweiten Act des gestrigen Abends wurde der andere, für mich interessantere Strang dieses Projektes sichtbar. Lajkó Félix und seine Band waren deutlich schwerer zu verorten. Ist das klassische Musik? Folk? Jazz? Weltmusik? Ja und nein. Und alles zugleich. Der Gesang von Lajkó Félix erinnerte in einem Stück gar an Tom Waits. Im nächsten Moment glaubte man sich hingegen in einer ungarischen Kneipe zu befinden, wenig später in einem gediegenen Konzertsaal. Die Orte, die von der brillant spielenden Band evoziert wurden, waren mannigfaltig, widersprüchlich und ließen sich nicht auf einen Nenner bringen. Bilder überlagerten sich, verschmolzen, verschwammen und tauchten blitzlichtartig wieder auf.
Wenn dann auch noch Herbert Pixner sein diatonisches Akkordeon auspackt und gemeinsam mit dieser Band improvisiert, dann ist die Verwirrung perfekt. Die Musik verweist dann nicht mehr auf bestimmte Orte, Räume, Regionen und Kulturen, sondern betritt tatsächlich temporär Neuland und befindet sich dabei auf utopischem Niemandsland. In solchen Momenten blitzt das enorme Potential von Musik auf, die es sich traut, sich vorübergehend zu „ent-orten“. Diese Musik ist provokant und ganz sicher nichts für Puristen und Traditionalisten. Darin genau liegt die Provokation von diesem Projekt von Herbert Pixner.
Ich bin mir nicht sicher, ob das Projekt in jedem Augenblick auch aufgeht. Es wäre denkbar, die verschiedenen Spielarten mehr und stärker zu kontrastieren, entgegen zu setzen, gegeneinander auszuspielen. Letztlich bleibt die Musik der „Tanzgeiger“ nämlich relativ unberührt, unangetastet. Es eröffnen sich kaum neue musikalische Räume. Früheren Aufzeichnungen von „Pixners BACKstage“ zufolge sind es immer nur Momente, in denen solche Neu-Formulierungen stattfinden.
Möglicherweise ist sein Respekt der Volksmusik und der sogenannten „Weltmusik“ gegenüber zu groß. Vielleicht ist die Auflösung der Bezüge und der Verortung auch gar nicht seine Intention. Es ist denkbar, dass hier mehr der Weg dahin gezeigt werden soll, die zu dem Punkt führen, an dem solch „utopische“ Musik möglich ist und möglich wird. Das ist legitim. Persönlich bedauere ich es aber ein wenig und würde mir etwas mehr Radikalität und Respektlosigkeit wünschen.
Die Ansätze sind da. Es gab und gibt brillante und abenteuerliche, hochmusikalische Momente in diesem Konzept. Ich persönlich würde mir etwas mehr davon wünschen. Herbert Pixner hat aber, verständlicherweise, auch im Auge, das potentielle Publikum nicht vollständig zu verwirren und zu vergraulen.
Es ist ja auch durchaus schön, wenn sich Intellektuelle und traditionsbewusste Lederhosenträger in diesem Setting der Bäckerei gegenüber sitzen und friedlich vereint gemeinsam großartige Musik hören können. Dennoch: Was im Rahmen des utopischen Ortes „Bäckerei“ in Kombination mit „Pixners BACKstage“ möglich wäre, wurde zumindest gestern noch lange nicht ausgeschöpft. Das Potential wäre da, dass Pixners BACKstage vor allem eines schafft: Die beste aller musikalischen Welten! Dadurch entstünde ein ganz neuer Heimatbegriff, der grenzenlos ist. Heimat, neue Heimat!
Titelbild: Christoph Huber
Lasst den Pixner in seinem Backstage nur „pixnern“. Das ist richtig keine Volksmusik, es ist eine eigene Sendung mit Flair, sowie auch Pixner kein Fernsehentertainer ist.
Wenn man sich wohlfühlt und die Musik gern hat, dann passt es. Neue Musik eröffnet Horizonte…. So wie früher mal der „Liedercircus“.