Gleich zu Beginn steht eine ganz konkrete Frage im Raum. Die Bäckerei füllt sich nur zögerlich, das ganz große Publikum würde wohl ausbleiben. Ich diskutiere mich Marco Annau, dem musikalischen Mastermind der Band, wer eigentlich genau das Publikum für die Özlem Bulut Band ist. Er kann mir die Frage nicht eindeutig beantworten.
Er meint aber im Verlauf des Gesprächs, dass ihr Konzert beim Jazzfestival Saalfelden blendend funktioniert hätte. Es kann also zumindest nicht schaden, wenn man eine gewisse Affinität zum Jazz hat. Dazu muss man Jazz gar nicht mögen, dessen Haltung und die Bereitschaft sich Neues, Überraschendes anzuhören ist ein aber gewisser Vorteil, wenn es um die Musik der Özlem Bulut Band geht.
Die eigentlich Stärke der Band ist in Innsbruck aber ganz offensichtlich eine Schwäche. Das Publikum bleibt weitestgehend aus. Die Band bewegt sich zwischen vielen Stühlen und setzt sich dann im Laufe ihres Konzertes erst recht und ganz bewusst auf gar keinen. Die Musik, größtenteils von Marco Annau komponiert und arrangiert, mäandert durch ein nicht klar verortbares Niemandsland zwischen türkischer Folklore, Jazz, Pop und noch einigem mehr.
Eigentlich trifft das „Zwischen“ dabei gar nicht zu, denn all diese Elemente sind in der grandiosen Musik an diesem Abend andauernd präsent. Es handelt sich nicht um eine „Stil-Aneinanderreihung“, bei der sich Stile und Einflüsse die Klinke in die Hand geben und fein säuberlich voneinander getrennt nacheinander „verwertet“ werden.
Nachdem die ersten Akkorde und Motive gespielt sind wird klar, dass hinter der Formulierung dieser Musik eine nicht zu unterschätzende Denkleistung steht. Man kann daher der Özelm Bulut Band an diesem Abend nicht dabei zusehen, welche Stile und Einflüsse exakt sie zu etwas Neuartigem vermengt, denn die Musik ist bereits vermengt, klingt in sich bereits so logisch und organisch – ganz so, als ob sie schon immer in dieser Form existiert hätte.
Das Konzert der Özlem Bulut Band: Grandios, trotz weniger Besucher
Warum aber straft das Innsbrucker Publikum diese hochinteressante Band mit Ignoranz? Gerade einmal um die 15 Gäste hatten sich in die Bäckerei Innsbruck verirrt. Möglicherweise aus genau dem hier schon beschriebenen Grund, dass die Musik der Özlem Bulut Band nicht exakt in einem Genre verortet werden kann.
Außerdem darf man darüber spekulieren, dass die „türkische Community“ in Innsbruck, die ja an sich durchaus vorhanden wäre, lieber klassische und althergebrachte türkisches Volkslieder gehört hätte. Das ist an sich durchaus verständlich, steht die Musik in diesem Fall doch für die zum Teil „alte“ und „wieder ersehnte“ Heimat. Sie ist ein ästhetischer Sehnsuchtsort. Sie stillt eine Sehnsucht nach Authentizität, nach der eigenen unverfälschten Kultur, nach einer klar umrissenen und definierten Heimat, ausgedrückt durch altbekannte, vertraute und bekannte Klänge und Lieder.
Die Musik der Özlem Bulut Band kann und will diese Erwartungen nicht erfüllen. Ihre Musik strebt nicht nach „Echtheit“ oder nach „Heimat“, sondern hat ihre eigenen Ansprüche an Authentizität und Heimat. Dazu ist es bezeichnend, dass ein Wiener Musiker, Marco Annau, Lieder mit stark türkischem und „orientalischem“ Einschlag komponiert und diese von einer in Wien lebenden Türkin interpretieren lässt, die natürlich ebenfalls kompositorischen Einfluss nimmt.
Außerdem erzählen die Texte von Özlem Bulut sehr wohl von ihren Erlebnissen, die sie machte, bevor sie nach Wien kam. Dass sie immer noch laut eigener Aussage viel in der Türkei und vor allem in Istanbul ist, macht die Sache noch komplexer. Zum Schluss spielt sie dann tatsächlich auch noch ein türkisches Volkslied – die Verwirrung ist endgültig perfekt.
War das Innsbrucker Publikum weitestgehend ausgeblieben, weil es mit dieser Verwirrung und diesen sanften Irritationen nicht umgehen kann? Denkbar wäre es. Wahrscheinlicher ist es aber, dass sich ein großer Teil der Menschen, die ein Plakat in der Stadt gesehen haben oder über andere Kanäle auf das Konzert aufmerksam gemacht wurden, die Musik erst gar nicht angehört haben. Schließlich passt die Musik von Özlem Bulut in keine Schublade.
Der „türkischen Community“ dürfte die Musik zu viel mit der Hybridität der Kulturen spielen. In der Jazz-Szene hat die Özlem Bulut Band, zumindest in Tirol, noch keinen nennenswerten Ruf. Außerdem hat die Musik der Band keine Chance jemals auf Ö3 gespielt zu werden. Für FM4 schließlich ist die Musik nicht „cool“ und trendig genug und zu wenig auf die Zielgruppe zugeschnitten. Die neuen Wanda werden wohl kaum aus der Özlem Bulut Band werden, obwohl der Schlagzeuger der Band, Jörg Mikula, nach dem Konzert eine ähnliche Lederjacke wie der Frontmann der besagten Band trug. Aber äußere Zeichen genügen nicht. Im kunstimmanenten Sinn könnten Wanda und die Özlem Bulut Band gar nicht weiter voneinander entfernt sein.
Abermals eine komplexe und nicht leicht aufzulösende Situation. Dennoch liegt die Lösung eigentlich auf der Hand: Man sollte sich die Özlem Bulut Band live ganz einfach anhören! Sie gehört zum Besten, was man weitum in diesem „Genre“ hören kann.
Die Stimme von Özlem Bulut ist faszinierend, ausdruck- und charakterstark. Die Band agiert bestens eingespielt, mit dem notwendigen Respekt voreinander, sich immer auch wieder Freiraum zu geben und überraschende Wendungen zu nehmen. Die Spielfreude der Özlem Bulut Band überträgt sich auch aufs spärliche Publikum, das sich am Ende gar zum kollektiven Tanzen hinreißen lässt.
Die Lösung für etwaige Vorbehalten gegen die Musik der Özlem Bulut Band ist somit leicht benannt: Erleben, was diese Band auf der Bühne macht und darüber staunen, mit welcher Leichtigkeit sie selbst komplexe instrumentale Passagen schultert. Unter den Händen dieser Band wird der Jazz im näheren und weiteren Sinn zum leichtfüßigen, tanzbaren Pop und die „orientalische“ Musik klingt, als wäre sie nicht nur in der Türkei, sondern auch an vielen anderen Orten zuhause, darunter natürlich auch Wien.
Exakt das ist auch, wenn man so will, die Provokation der Özlem Bulut Band: Hier gibt es keine authentische, unverfälschte und idealisierte Heimat mehr, sondern die Musik selbst schafft eine hybride, komplexe und faszinierende Heimat, die auch in der Lage ist mit Komplexität, Widersprüchlichkeit und Konflikten umzugehen. Statt „Heimat“ zu verteidigen wird hier einfach kurzerhand musikalisch eine neue Heimat formuliert. Nicht jede Band könnte das. Aber der Özlem Bulut Band ist am Mittwoch bei ihrem Konzert das Meisterstück gelungen, diese andere, neue Heimat ästhetisch und musikalisch grandios zu präsentieren.
Die Zeit der Özlem Bulut Band ist genau jetzt. Ich müsste mich schon sehr täuschen, wenn dieser fantastischen Band nicht bald der endgültige Durchbruch gelingen würde. Und wer weiß: Vielleicht klingt so auch der neue „Austropop“? Die Zeit der Özlem Bulut ist zweifellos gekommen. Im Moment. Im Heute. In Zeiten der großen Umbrüche und Veränderungen. Ihre Musik wirkt teilweise wie ein Kommentar auf ein neues, hybrides und vielfältiges Europa.
Hallo Markus,
Stimme dir zu, die Musik ist phantastisch, dein Kommentar ebenso.
Sie hat eine fabelhafte Stimme, kann viele Instrumente spielen und sie ist schön. Ihre Ausbildung in Österreich hat sicher ihr neue Horizonte eröffnet, somit ist ihre Musik vorallem ein schönes Bindeglied zwischen fernen Welten.
Sie wird vorallem in Europa weite Wege gehen und nicht nur das Publikum in Österreich, sondern in ganz Europa und in der Türkei wird die Vorbehalte schnell abbauen.
Lieber Gruss.